Mehr Schwung ins Leben bringen
Das Rote Kreuz bietet als Angebot aktivierende Hausbesuche an. Dabei geben Übungsleiter älteren Alleinlebenden oder Pflegebedürftigen eine Stunde lang sportliche oder geistige Impulse, um ihr Wohlbefinden zu verbessern oder ihnen einfach Zeit zu schenken.
Von Carolin Aichholz
Allmersbach im Tal. Wenn Karin Pieper die Wohnung von Familie Bonin in Allmersbach betritt, leuchten stets die Augen von Inge Bonin. Bereits seit einem Jahr besucht Übungsleiterin Pieper die Seniorin einmal pro Woche. „Seelenzeit“ nennen die Organisatoren vom Deutschen Roten Kreuz (DRK) diese Stunde. Währenddessen beschäftigt sich Karin Pieper nur mit Frau Bonin und ihrer Gesundheit, ihrem Wohlbefinden – und beide haben dabei viel Spaß und Freude. Das Angebot gibt es bereits seit über zehn Jahren im Rems-Murr-Kreis.
Nach einem Schlaganfall lag Inge Bonin im Koma und war auch nach dem Erwachen stark auf Hilfe und Pflege angewiesen. Doch ihr Mann Heino erkannte schnell, dass sie gleich wieder etwas tun wollte, damit es ihr besser ging: „Sie ist eine Kämpferin.“ Durch Zufall stieß er auf einen Flyer vom DRK über den aktivierenden Besuchsdienst. In Absprache mit seiner Frau hat er eine ersten Schnupperstunde organisiert. Wenn eine Pflegestufe vorliegt, übernimmt die Pflegekasse die Kosten dafür. „Natürlich auch, damit ich vom enormen Pflegeaufwand ein wenig entlastet werde“, sagt Heino Bonin. Seitdem kommt Karin Pieper, die auch als Altenpflegerin arbeitet, einmal pro Woche zu den Bonins nach Hause.
Sie ist eine von 30 Übungsleitern im Rems-Murr-Kreis, hauptsächlich engagieren sich Frauen, jedoch auch immer mehr Männer. Das erfreut Karin Gericke, die die Besuche und Ehrenamtlichen beim DRK koordiniert. „Denn der Bedarf wächst und zwar schneller, als es unsere Zahl an Ehrenamtlichen tut.“ Doch auch die steigenden Anfragen seien ein gutes Zeichen. „Weil es bedeutet, dass die Menschen länger alleine in ihren eigenen vier Wänden leben können“, sagt sie. „Wir führen oft Wartelisten, bis wir Termine vergeben können. Und wir suchen immer mehr Freiwillige, die sich engagieren wollen“, sagt Karin Gericke.
Keulen und Ballspiele begeistern alle
Bei den Bonins beginnt die Stunde mit einem kleinen Plausch beim Kaffeetrinken. Dann kommt Karin Piepers Sporttasche zum Einsatz. Die ist gefüllt mit kleinen Gewichten und Übungsgeräten. Jede Woche besucht sie damit vier Frauen.
„Als Erstes schwingen wir die Keulen“, kündigt sie an. Die beiden schwingen ihre Arme, später kommen auch die Beine dazu. „Und jetzt diagonal abwechselnd“, sagt die Übungsleiterin und macht es vor. Diese Übung soll die Koordination anregen. Dann lassen die beiden ihre Keulen mit ihrer gummierten Seite auf den Boden fallen und versuchen, sie wieder aufzufangen. Das ist gut für die Reaktionsschnelligkeit.
Die wird auch bei der nächsten Übung trainiert: Karin Pieper wirft Inge Bonin einen weichen pinken Gummiball zu. „Der ist überall schon wegen seiner Farbe der Renner“, sagt Karin Pieper. Oft machen die beiden auch Kräftigungsübungen für die Muskulatur als Sturzprävention, erklärt sie. „Manchmal legen wir uns auf eine weiche Matte und proben das Umdrehen oder Aufstehen. Im Fall eines Sturzes ist es sinnvoll, das schon vorher geübt zu haben.“
Auch geistige Impulse werden gegeben
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Im Anschluss lassen die beiden Frauen ihre Schultern kreisen. Alle Gelenke und Bänder werden danach gedehnt. „Ich fühle mich nach ihrem Besuch immer lockerer und nicht mehr so steif“, sagt Inge Bonin. Das merkt auch ihr Mann Heino, wenn die beiden zusammen spazieren gehen. „Und ich war einfach froh über das Angebot, weil es mich nach dem Schlaganfall auch entlastet hat“, gibt er zu. Und inzwischen macht ihr das immer so eine Freude.
Inge Bonin macht alles begeistert mit, was Karin Pieper vorschlägt. Und die will ihren Klientinnen stets neue Herausforderungen bieten können. „Uns wird nicht langweilig“, sagt die Altenpflegerin. „Und wenn doch, dann spielen wir während unseren Übungen nebenher ein bisschen Stadt, Land, Fluss.“ Auch Gedächtnisübungen oder Gesellschaftsspiele können gespielt werden. Karin Piepers „Mädels“, wie sie sie nennt, seien allerdings vor allem scharf auf den sportlichen Teil. „Die sind alle so fit und wollen die ganze Zeit nur schaffen“, sagt sie und lacht. Das ist für Karin Gericke auch der große Vorteil der Hausbesuche. „Die Übungsleiter können individuell entscheiden, was dem Senior am meisten bringt und ihm auch Spaß macht“, sagt sie. „Oft ist es auch schön für die Besuchten, wenn sich jemand einfach ein bisschen Zeit nur für sie nimmt.“
Einsamkeit im Alter wird zur Belastung
Im Alter werde auch die Einsamkeit der Menschen ein immer größeres Problem, vor allem bei Verwitweten oder Alleinstehenden. Auch darum wird Wert darauf gelegt, dass stets derselbe Übungsleiter einen Senior besucht. „Da schauen wir, dass es harmoniert, und dann bauen die beiden meist auch eine besondere Bindung zueinander auf“, sagt Karin Gericke. Piepers berufliche Vorbildung als Altenpflegerin ist dabei ein dicker Bonus für ihr Ehrenamt. „Das ist für uns natürlich ein Gewinn, aber nicht notwendig“, sagt DRK-Koordinatorin Karin Gericke. Interesse am Menschen, Kontaktfreude, Offenheit und Geduld seien vollkommen ausreichende Voraussetzungen. Die bringt Karin Pieper definitiv mit. Als sie eine Weile aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in ihrem Beruf arbeiten konnte, fand sie durch Zufall die Anzeige des DRK. „Ich konnte nicht nur daheim rumsitzen und habe mich da gleich angesprochen gefühlt und es ausprobiert.“
Da habe sie sofort bemerkt, dass es ihr selbst auch viel Spaß macht. „Es hält mich selbst ja auch fit. Und man bekommt so viel von den Leuten zurück.“ Darüber ist sie immer sehr dankbar, ebenso wie ihre Klientin Inge Bonin. „Diese Besuche bringen einfach mehr Schwung in mein Leben.“
Ausbildung Das DRK bildet Übungsleiter aus, stellt ihnen die notwendige Ausrüstung zur Verfügung und bezahlt pro Besuch eine Aufwandsentschädigung. Interessierte können sich bei Karin Gericke per E-Mail an
Karin.Gericke@drk-rems-murr.de melden.
Kurse Der nächste Kurs findet im März statt, ein weiterer wird im Herbst angeboten. Das Erste-Hilfe-Wissen wird dabei ebenfalls aufgefrischt. Auch die Begleitung eines erfahrenen Übungsleiters ist Teil der Ausbildung.
Weitere Informationen Weitere Informationen und Kontaktmöglichkeiten für interessierte Senioren oder potenzielle Übungsleiter sind im Internet zu finden unter https://t1p.de/AktivierendeHausbesuche.