Mehr von solchen Gerichtsverfahren
Der Osmanen-Prozess in Stuttgart ist Werbung für den modernen Rechtsstaat
Stuttgart DiesesGerichtsverfahrenwar pure Werbung für den modernen, funktionierenden Rechtsstaat. Wie das Richterquintett um den Vorsitzenden Joachim Holzhausen 50 Tage lang den Prozess gegen sieben Mitglieder der inzwischen verbotenen Gruppe Osmanen Germania Boxclub geführt hat, verdient es, als Beispiel für die Ausbildung junger Juristen genommen zu werden: transparente Entscheidungen der Richter, ihr behutsamer, zum Ziel führende Umgang mit Angeklagten, ihren Verteidigern, Zeugen und Sachverständigen, ihre diplomatische Verhandlungsführung. Im Stammheimer Gerichtssaal überzeugte die Kraft der vorgebrachten Argumente, nicht die von Parolen. Das Urteil der 3. Jugendstrafkammer des Stuttgarter Landgerichts verdient das Prädikat „Im Namen des Volkes“.
In Stuttgart entschieden die Richter überDeliktevon gefährlicher Körperverletzung über räuberische Erpressung und Menschenhandel bis hin zu Drogenhandel und dem Versuch, einen Zeugen zu einer Falschaussage anzustiften. Die angeklagten Straftaten umfassten nicht das, was vor allem Hessens Polizei über die Osmanen mühsam zusammentrug: ihre Waffengeschäfte; ihre Verflechtung in ein Netz – aus türkischem Nachrichtendienst, der türkischen Regierungspartei AKP, der Lobbyorganisation Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD), die sich jetzt Union Internationaler Demokraten nennt, und den Osmanen. Ein Netz, dessen Fäden beim türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan enden. Mit den Osmanen als Schlägertruppe sollten Kritiker in Deutschland bestraft, Kurden gehetzt, ein tiefer Staat aufgebaut werden. Dafür erhielten sie Geld für Waffenkäufe.
Ob das je angeklagt wird, ist fraglich. Zu sehr haben diese Ermittlungen unter politischem Einfluss gelitten. Die Osmanen waren nicht mehr und nicht weniger als ein Spielball von Politik und Nachrichtendiensten. Dass das hessische Landesamt für Verfassungsschutz und die Inlandsgeheimen des Bundes Akten dem Gericht ihre Erkenntnissen zu der Gruppe verweigerte, ist ebenso bezeichnend wie ein geheim abgehaltene Informationsaustausch im Kölner Bundesamt für Verfassungsschutz. Von ihm kehrten Ermittler in die Bundesländer ohne Erkenntnisse zurück und baten ihre Behördenchefs, künftig nicht mehr an solch unsinnigen Besprechungen teilnehmen zu müssen.
Der schon ängstliche Umgang der Bundesregierung mit Erdogans Spielchen in Deutschland ist dem Deal geschuldet, den die Europäische Union 2016 mit der Türkei schloss, um die Einreise von Flüchtlingen in die EU und damit vor allem die Bundesrepublik zu begrenzen. Hessens Landtag täte gut daran, sich in einem Untersuchungsausschuss mit den Ermittlungen und Recherchen seiner Landesbehörden zu den Osmanen Germania zu beschäftigen – und vor allem mit der Frage, warum viele der erfolgreichen Ermittlungen zu keinen Anklagen und Gerichtsprozessen führen.
Wie tief Erdogans Netzwerk in Deutschland reicht, wird am Beispiel des Parlamentarischen Staatssekretärs im Bundeswirtschaftsministerium, Oliver Wittke (CDU), deutlich: Besuch des UETD-Kongresses, bei dem Osmanen erstmals für Sicherheit sorgten, Referate bei der UETD und Teilnahme an einem umstrittenen Islamseminar des Vereins in Sarajevo.
Aus dem Osmanen-Verfahren sollten Politiker und Regierende eine Lehre ziehen:Um den Rechtsstaat zu stärken, ihn attraktiv zu machen, braucht Deutschland mehr Holzhausen, mehr offene Kooperation der Sicherheitsbehörden auf Bundes- und Länderebene. Aber keinen Wittke und keine geheimdienstlichen Spielchen.
franz.feyder@stuttgarter-nachrichten.de