Ausstellung zum Kinderzimmer
Mein Raum – mehr als vier Wände
In Deutschland haben die meisten Kinder ein eigenes Zimmer. Aber wovon hängt es überhaupt ab, ob man sich in einem Raum wohlfühlt?

© Kunsthalle Karlsruhe
Wann fühlt man sich wohl? In einem Raum können die jungen Ausstellungsbesucher selbst tätig werden und die Polsterelemente so arrangieren, dass sie dazwischen toben, turnen oder es sich gemütlich machen können.
Von Adrienne Braun
Ausgerechnet eine Zimmerpflanze? Spielsachen, Ball und natürlich Buntstifte würde man in einem Kinderzimmer erwarten, aber nicht Kaktus und Gummibaum. Bei einer kleinen Umfrage in der neuen Kinderausstellung der Kunsthalle Karlsruhe rangieren sie überraschenderweise gleichauf mit Spielen, Malsachen und Musikboxen. Das sind die Dinge, die aus Sicht der Kinder „einen Raum zu deinem Raum machen“.
Das Karlsruher Museum hat ein interessantes wie lebensnahes Thema vorgenommen: „Mein Raum. Mehr als vier Wände“. Kunst und interaktive Stationen wollen das Bewusstsein schärfen für das, was selbstverständlich erscheint: Wann fühle ich mich in einem Raum überhaupt wohl? So kann man mit Taschenlampe und Farbfolien in einer Puppenstube unterschiedliche Lichtstimmungen erzeugen und begreift: Es sind mitunter nur kleine Dinge, die Wohlsein erzeugen – Licht, Gerüche, Geräusche. Die schönste Wohnung verliert an Lebensqualität, wenn direkt vor dem Fenster die Züge vorbeirasen.
Zehn Quadratmeter sollte das Kinderzimmer haben
Aber hat ein Kind überhaupt Anrecht auf ein eigenes Zimmer? Ja, werden die meisten Kinder heute rufen – und das immer lauter, je älter sie werden. Das Mädchen, das auf einer Zeichnung von Anna Lea Hucht auf dem Bett fläzt, scheint ein typischer Teenager zu sein. Jedes Detail in dem Zimmer ist beredt. Das unordentliche Bettzeug scheint „kein Bock aufzuräumen“ zu rufen. Die Thermoskanne erzählt von Rundum-Versorgung und die Musikanlage vom individuellen Geschmack als Ausdruck einer autonomen Persönlichkeit.
Das Gesetz schreibt kein Kinderzimmer vor. Beim knappen Wohnraum wäre eine solche Vorschrift ohnehin schwer umzusetzen. Trotzdem ähneln sich die Ergebnisse diverse Studien und haben rund Dreiviertel der Kinder in Deutschland ein eigenes Zimmer. Das aber sollte mindestens zehn Quadratmeter groß sein, so die offizielle Empfehlung. Zehn Quadratmeter sind in den meisten Bundesländern auch das Minimum, wenn man für einen Neubau öffentliche Mittel bekommen will.
Zehn Quadratmeter scheinen nicht viel zu sein – aber wären für Kinder früherer Jahrhunderte der reinste Luxus gewesen. Wer in der Bauernstube groß wurde, die man auf einem 150 Jahre alten Gemälde von Johann Sperl bestaunen kann, der hatte keinerlei Privatsphäre. Vermutlich war es auch kühl auf den großen Steinen am Boden. Das Licht war spärlich.
Dafür konnten Kinder sich ihren eigenen Raum draußen in der Natur erobern. Heute, da in den Städten Spielplätze Mangelware sind und im öffentlichen Raum für Kinder und Jugendliche keine Angebote vorgesehen sind, bleibt letztlich nur das Kinderzimmer als Ort zum Spielen, Lernen, Großwerden.
Bis ins 19. Jahrhundert waren Kinderzimmer eine Rarität und bestenfalls in den Häusern wohlhabender Familien zu finden. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden in deutschen Wohnungen auch Kinderzimmer für die breitere Bevölkerung. Zweihundert Jahre zuvor hatte Jean-Jacques Rousseau zwar als Erster die Kindheit als etwas Kostbares bezeichnet, das es zu schützen gilt.
Dass Kinder aber auch ein Recht auf Autonomie haben, ist ein junger Gedanke. Erst 1975 wurde das in Deutschland von der Politik klar formuliert und „ein kindliches Eigenterritorium“ gefordert, „das vor dem Zugriff anderer gesichert und von den Eltern respektiert werden sollte“.
Lebensgefühl Kinderzimmer
Auch in der Kinderliteratur spielen Räume eine wesentliche Rolle – ob es Höhlen sind, Verstecke oder kleine Geheimnisse, die unterm Bett verstaut werden. Obwohl auf den wenigen historischen Gemälden in der Karlsruher Ausstellung eigentlich nur Zimmer zu sehen sind, vermitteln sie erstaunlich präzise auch ein Lebensgefühl.
In die „Zimmerecke im Bauernhaus“, die Hans Thoma 1861 malte, fällt wohlig die Sonne durchs Fenster, der Maler scheint das tröstliche traute Heim nachgerade zu idealisieren. Dem Mädchen, das auf einem Gemälde von Otto Laible Handarbeiten verrichtet, bleibt dagegen nur die Sehnsucht: Sie sitzt am offenen Fenster, während draußen die Boote auf dem Wasser tänzeln. Manchmal ist die eigene Wohnung auch Gefängnis.
Kinderausstellungen sind eine Seltenheit
Anders als Kinderzimmer sind Kinderausstellungen bis heute eine Seltenheit. Das kleine Publikum ist für die meisten Museumsexperten nicht interessant genug. Die Karlsruher Ausstellung beweist, dass es gar nicht immer den ganz großen Aufschlag benötigt, um auch jungen Menschen neue Perspektiven auf das Vertraute zu ermöglichen.
Ob es die irrwitzigen Fotografien sind, bei denen man von oben in Zimmer schaut. Oder ob es der Kurzfilm von Susanne Kutter ist, bei dem die Wohnzimmerwand eingedrückt wird und das Mobiliar zusammengeschoben wird und lautstark zu Bruch geht.
Wie nebenbei werden die kleinen Besucher angeregt, das Selbstverständliche zu hinterfragen und vielleicht auch ein gesundes Maß zu entwickeln zwischen den eigenen Rechten als Individuum einerseits und einem Gutmaß an Bescheidenheit und Dankbarkeit andererseits. Denn das eigene Leben könnte auch anders ausschauen – nicht nur ohne Kinderzimmer, sondern auch ohne Bleibe – wovon das „tragbare Schutzzelt“ des Künstlerduos Lucy und Jorge Octa eine Ahnung gibt.
Ausstellung
Junge Kunsthalle KarlsruheHans-Thoma-Str. 4, geöffnet Di - Fr 9 bis 17 Uhr, Sa und So 10 bis 18 Uhr, bis 21. September