Belauschte Kindergespräche

„Meine Mama ist immer müde!“

Zwischen „Brawl-Stars“-Fachgesprächen und erschöpften Eltern: Wer Kindern auf der Autorückbank zuhört, erfährt einiges über deren Leben und sich selbst, hat unsere Autorin beobachtet.

Auch wenn es nicht so aussieht: Manchmal wird es geradezu philosophisch auf der Rückbank.

© Imago//Dasha Petrenko

Auch wenn es nicht so aussieht: Manchmal wird es geradezu philosophisch auf der Rückbank.

Von Lisa Welzhofer

Wer Kinder auf der Autorückbank durch die Gegend kutschiert, braucht kein Radio. In Ruhe der sorgsam zusammen ziselierten Spotify-Playlist zu lauschen, kann Mutter dann ebenso vergessen, wie endlich mal den siebenstündigen Podcast mit der Lieblingsautorin zu hören, für den sonst keine Zeit ist. Aber wer braucht das schon, wenn die kindliche Lebenswelt in Miniatur-Dialogen nach vorne drängt, die sich kein Dramaturg so gut ausdenken könnte!

Sitzen da zum Beispiel zwei heranwachsende Buben, bekommt die Chauffeuse schon mal einen ebenso tiefen wie kryptischen Einblick in die Logik des Computer-Spiels „Brawl Stars“. Es geht um HPs, Tanks, Buffs, Nerfs oder Metas. Sie erfährt, dass Power Ups die Hitpoints des Brawlers verbessern und in Zone 3 die Mitte für Kontrolle sorgt („Junge, das ist so krass!“) – oder so ähnlich.

Versucht sich das Fahrpersonal pseudo-interessiert einzuschalten, wird es meist peinlich:

Am besten aus „Brawl-Stars“-Gesprächen raushalten

Mutter: „Sagt mal, performt Melodie oder R-T besser in den Nerfs?“

Rückbank: „Oh Mann, Mama, du kapierst es echt nicht!“

Und so nimmt man denn als Eltern irgendwann hin, dass man manche Zeitzeichen wahrscheinlich ebenso wenig kapieren wird wie die Nachrichten von der Börse (was waren noch mal gleich diese Leerverkäufe?). Und sich deshalb am besten auf die Rolle der teilnehmenden Beobachterin beschränken sollte (das wäre übrigens auch für die Börse ratsam).

Erst wenn sie unbelassen bleiben, entfalten sich tatsächlich die ganze Schönheit, Drolligkeit und Klugheit dieser Kinderplaudereien. Manchmal allerdings auch deren ganze schonungslose Sicht auf die Welt und ihre strampelnden Eltern darin.

Vor ein paar Jahren zum Beispiel – die Mutter war gerade noch rechtzeitig von der Arbeit zum Kindergarten gerast, um Tochter und Freundin von dort wiederum zum Kinderturnen zu bugsieren – entspann sich zwischen Autokindersitzen und bei einer Brezel gegen den gefürchteten Post-Kita-Kohldampf folgender Dialog:

Tochter: „Mama, kommen wir zu spät zum Turnen?“

Mutter: „Nein, nein, das schaffen wir noch!“

Tochter zu Freundin: „Gell, wenn wir mit deiner Mama fahren, kommen wir immer zu spät!“

Freundin: „Meine Mama muss halt auch viel arbeiten!“

Tochter: „Meine Mama arbeitet auch viel!“

Freundin: „Meine Mama hat jetzt eine neue Arbeit und ist immer sehr müde!“

Tochter: „Meine Mama ist auch immer müde!“

Mutter: (Schluck!)

Manchmal ist auch einfach Sendepause

Der Philosoph Byung-Chul Han, der schon 2010 über die „Müdigkeitsgesellschaft“ schrieb (das Leistungssubjekt kann heute alles – bis es nicht mehr kann), hätte hier seinen endgültigen empirischen Beweis gehabt.

Gott sei dank geht es nicht immer so philosophisch und kulturpessimistisch dahinten zu. Manchmal ist Sendepause, dann wird einfach nur unter Kopfhörern bei Hörspielen und Fußballsongs gechillt. Die Mutter weiß auch das zu schätzen – und lässt dann das Radio aus.

Lauschangriff In loser Folge erzählen wir in unserer Serie von Gesprächen aus dem Alltag, die nicht zu überhören sind.

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Erstellt:
21. Januar 2025, 06:08 Uhr

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