Schwarz-roter Koalitionsvertrag
Migrationspolitik der neuen Koalition: Kommt jetzt ein neuer Kurs?
Eine Migrationswende hatte der wahrscheinlich künftige Bundeskanzler Friedrich Merz während seines Wahlkampfs versprochen. Jetzt liegt der Koalitionsvertrag vor. Wie viel ändert sich wirklich?

© dpa/Patrick Pleul
Wie genau die Zurückweisungen von Asylbewerbern umgesetzt werden sollen, ist noch nicht klar.
Von Rebekka Wiese
Für Markus Söder ist es eine historische Wende. „Das ist wieder ein Zurück wie vor 2015“, sagte der CSU-Chef bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags. Er meinte damit: Die Migrationspolitik werde sich jetzt grundlegend ändern, ganz anders werden, als es seit der Flüchtlingskrise vor zehn Jahren der Fall gewesen sei.
Damit hat die schwarz-rote Koalition den Tonfall für ihren Kurs in der Migrationspolitik gesetzt. Im Wahlkampf hatten vor allem CDU und CSU immer wieder davon gesprochen, eine grundlegende Wende in der Migrationspolitik einleiten zu wollen – vor allem in Bezug auf Menschen, die sich in Deutschland um Asyl bewerben. Jetzt liegt der Koalitionsvertrag vor. Wie stark fällt die Wende nun aus?
Streit um Zurückweisungen
Das größte, aber strittigste Vorhaben in der Migrationspolitik von Schwarz-Rot ist der Plan, Asylbewerber an den deutschen Grenzen zurückzuweisen. Der wahrscheinlich künftige Kanzler Friedrich Merz (CDU) spricht sich schon lange dafür aus. Es ist rechtlich umstritten, ob das möglich ist.
Im Koalitionsvertrag heißt es nun dazu, die angestrebte Regierung wolle die Zurückweisungen „in Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn“ vornehmen. Das war schon im Sondierungspapier von Union und SPD festgehalten geworden. Was genau das heißt, ist trotzdem noch nicht klar: Sollen die betroffenen Staaten lediglich über Deutschlands neues Vorgehen informiert werden? So scheinen es viele in der Union zu verstehen. Oder bedeutet die Formulierung, dass die Nachbarländer zustimmen sollen? Das ist die Auslegung in der SPD. Bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags wollte Merz sich nicht festlegen. Es ist damit schwer einzuschätzen, wie sich das Vorhaben auswirken wird – und ob es zu Konflikten zwischen den Koalitionspartnern führt.
Harte Linie im Innenministerium
Da die CSU das Innenministerium übernimmt, wird es an ihr liegen, das Vorhaben umzusetzen. Man kann davon ausgehen, dass sich der künftig verantwortliche Minister wohl eher für eine harte Linie aussprechen wird.
Andere weitreichende Anliegen, die die Union gern umgesetzt hätte, haben es allerdings nicht in den Koalitionsvertrag geschafft. In den zuvor bekannt gewordenen Papieren hatten CDU und CSU unter anderem durchsetzen wollen, Asylverfahren in Drittstaaten auszulagern. Im Koalitionsvertrag findet sich das nicht mehr. Allerdings will sich die künftige Regierung bei der EU dafür einsetzen, das sogenannte Verbindungselement zu streichen. Das ist eine EU-Regelung, laut der man Schutzsuchende nur in einen Staat schicken darf, zu dem sie einen persönlichen Bezug haben. Das hatte Drittstaaten-Modelle bislang verhindert.
Mehr sichere Herkunftsstaaten
Schwarz-Rot will außerdem die Liste der sicheren Herkunftsstaaten um weitere Länder ergänzen. Im Koalitionsvertrag genannt werden Indien, Tunesien, Marokko und Algerien. Das hat in der Summe wohl einen Effekt, allerdings einen überschaubaren. Aus keinem dieser Länder kommen derzeit besonders viele Schutzsuchende. Im laufenden Jahr machten sie weniger als vier Prozent der Asylerstanträge aus.
Die legalen Zugangswege für Schutzsuchende will die neue Koalition stark einschränken. Programme, mit denen die Bundesregierung schutzbedürftige Menschen unter besonderen Bedingungen freiwillig aufgenommen hatte, sollen beendet werden. Der Familiennachzug, der bisher für die engsten Angehörigen subsidiär Schutzberechtigter möglich war, soll für zwei Jahre ausgesetzt werden.
Die Flüchtlingsrechtsorganisation Pro Asyl kritisierte dieses Vorhaben scharf. „Die Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte ist für Familien, die auf der Flucht getrennt wurden, eine Katastrophe“, sagte die rechtspolitische Sprecherin Wiebke Judith dieser Redaktion. „Es verlängert deren Leiden unnötig und bringt vor allem Frauen und Kinder in Lebensgefahr.“ Wer legale Wege versperre, zwinge Menschen auf lebensgefährliche Fluchtrouten. Judith forderte, dass der legale Fluchtweg Familiennachzug stattdessen erleichtert werden müsste. „Das würde das Leid der auseinandergerissenen Familien lindern und die Integration in Deutschland fördern.“