Waffenkunst vor 7000 Jahren
Mit Pfeil und Bogen auf die Jagd gehen
In Südspanien gefundene Überreste von Bögen und Pfeilen demonstrieren, wie ausgeklügelt jungsteinzeitliche Jäger vor 7000 Jahren ihre Waffen fertigten. Unter den Funden sind auch kunstvoll verdrillte Bogensehnen aus Tiersehnen, die zu den ältesten Europas gehören.
Von Markus Brauer
Die Fundstätte von Schöningen bei Helmstedthat den Blick auf die vor 300.000 Jahren lebenden Menschen revolutioniert. Sie zeigt, dass die damaligen Bewohner – vermutlich die gerade im Entstehen begriffenen Neandertaler – bereits versiert Waffen herstellen konnten.
Schöninger Speere: Die ältesten Jagdwaffen
Die Fundstätte in einem Braunkohletagebau in Niedersachsen lag damals an einem Seeufer. Weltberühmt ist sie heute vor allem wegen der bislang zehn dort gefundenen Speere, die bis zu 2,5 Meter lang sind. Sie gelten als die mit Abstand ältesten vollständig erhaltenen Jagdwaffen weltweit.
Die Funde aus Kiefern- und Lärchenholz zeugen von langer Erfahrung in der Holzbearbeitung, technischem Know-how und von komplexen Arbeitsvorgängen. Die Jagdwaffen waren nicht einfach nur Stöcke mit Spitzen, sondern technisch fortgeschrittene Werkzeuge.
Erfindung des Bogens vor 54.000 Jahren
Der Bogen ist eine sehr viel jüngere Erfindung. Seit der ausgehenden Altsteinzeit, vielleicht schon vor 54.000 Jahren, zeigen archäologische Funde, dass Pfeil und Bogen als Jagdwaffe genutzt wurden. Seit der späten Jungsteinzeit ab 9500 v. Chr. wurden sie auch als Kriegswaffe eingesetzt.
Für ihre Bögen verwendeten die Menschen der Steinzeit überwiegend Eibenholz (Taxus baccata), für die Pfeile jedoch verschiedenste Materialien und Formen. Die Pfeilspitzen bestanden meist aus Steinen, Knochen oder Holz, wie archäologische Funde und Verletzungen an steinzeitlichen Knochen belegen.
Doch aus welchen Materialien und mit welchen Methoden die Menschen damals ihre Bogensehnen und Pfeilschäfte herstellten und womit sie Bögen und Pfeile zusammenbauten, ist kaum bekannt. Diese Komponenten der Ausrüstung sind leicht vergänglich und haben daher auch nur selten die Zeit überdauert.
Bogen-Ausrüstung aus spanischer Höhle untersucht
Jetzt hat ein Forscherteam um Ingrid Bertin von der Autonomen Universität Barcelona (UAB) außergewöhnlich gut erhaltene organische Überreste von Pfeilen und Bögen näher untersucht, die spanische Bergleute bereits im 19. Jahrhundert gefunden hatten.
Die Artefakte lagen in der Höhle von Los Murciélagos in der südspanischen Provinz Granada und waren durch die Höhlenluft ausgetrocknet und konserviert.
„Eine solche Konservierung bietet eine seltene und außergewöhnliche Chance, die Elemente zu erforschen, die wegen ihrer vergänglichen Natur in der Archäologie sonst meist fehlen“, erklären die Forscher. Unter den Funden sind zwar keine Bögen, aber Bogensehnen, Reste von Pfeilen samt Schaft, Pfeilspitzen und Federn sowie Kleber und Fasern, um diese zusammenzuhalten.
Die Studie ist in der Fachzeitschrift „Scientific Reports“ erschienen.
First evidence of early neolithic archery from Cueva de los Murciélagos (Albuñol, Granada) revealed through combined chemical and morphological analysis Naturehttps://t.co/APNEGLzZ93 — Ordo Fraterna Fibonacci (@OrdoFibonacci) December 7, 2024
Jagd-Equipement aus der Jungsteinzeit
Die Analysen ergaben, dass die prähistorische Bogen-Ausrüstung zwischen 5300 und 4900 v. Chr. hergestellt wurde und damit rund 7000 Jahre alt ist. Sie wurde wahrscheinlich als Grabbeigabe in die Höhle gelegt. Nur ein Pfeilschaft erwies sich als bedeutend jünger. „Er stammt aus der Bronzezeit“, berichten die Archäologen.
Eine Besonderheit sind die beiden steinzeitlichen Bogensehnen. Anders als ältere Funde bestehen die Artefakte aus Los Murciélagos aus kollagenhaltigen Tiersehnen oder Tierbändern. Sie zählen damit – neben der Sehne im Bogen der berühmten Gletschermumie Ötzi – zu den ältesten tierischen Bogensehnen, die jemals in Europa gefunden wurden.
Tiersehnen für Bögen verwendet
Die in Spanien gefundenen Bogensehnen stammen von drei, in der Region heimischen Tierarten: Rehen, von der Gattung Capra sp., die mehrere Arten von Ziegen und Steinböcken umfasst, sowie von der Gattung Sus sp., zu der Wildschweine und Schweine gehören.
„Die Identifizierung dieser Bogensehnen markiert einen entscheidenden Schritt in der Erforschung der neolithischen Waffen. Wir konnten nicht nur die Verwendung von tierischen Sehnen für ihre Herstellung bestätigen, sondern auch die Gattung oder Art des Tieres identifizieren, von dem sie stammen“, erklärt Bertin.
Um daraus Bogensehnen zu machen, verdrillten die prähistorischen Erbauer die einzelnen Tiersehnen zu drei Millimeter dicken und rund 30 beziehungsweise 60 Zentimeter langen Konstrukten.
„Mit dieser Technik konnten starke und flexible Seile hergestellt werden, um den Bedürfnissen erfahrener Bogenschützen gerecht zu werden“, erläutert Raquel Piqué von der UAB. „Dieses Maß an Präzision und technischer Meisterschaft, bei dem jedes Detail zählt, zeugt von der außergewöhnlichen Kenntnis dieser jungsteinzeitlichen Handwerker.“
Oliven- und Schilfholz für die Pfeilschäfte
Die Analysen zeigten zudem, woraus die bis zu 30 Zentimeter langen Pfeilschäfte bestehen: Die steinzeitlichen Jäger konstruierten sie aus lokal wachsenden Baumarten: Weidenholz (Salix sp.), Olivenholz (Olea europaea) und Schilfholz (Phragmites sp). Die bis zu einem Zentimeter dicken, geraden Zweige wurden entrindet, teilweise angespitzt und dann glatt poliert.
Dass zur Herstellung von prähistorischen Pfeilen auch Schilfrohr zum Einsatz kam, hatten Archäologen schon lange vermutet. Die Funde aus Spanien bestätigen dies nun endgültig. „Diese Art von Material verleiht einem Pfeil Steifigkeit, gute Schlagfestigkeit, stabilen Flug mit mäßiger Rotation, ein hohes Maß an Zielgenauigkeit und eine wuchtige Durchschlagskraft“, schreibt das Team mit Blick auf Flugversuche von Nachbauten.
Gezielte Holzauswahl für ballistische Eigenschaften
Zudem wurde nun erstmals überhaupt ein Pfeil aus Olivenholz aus der Jungsteinzeit identifiziert. „Schwerere Pfeile aus dichtem Holz wie Olivenholz haben tendenziell weniger Windwiderstand und behalten ihre Flugbahn besser bei, insbesondere über längere Distanzen. Zudem kann Olivenholz zu einer sehr glatten Oberfläche poliert werden. Ein glatter Pfeilschaft verringert die Reibung beim Verlassen des Bogens, was zu einem gleichmäßigeren und präziseren Flug führt“, schreiben die Experten.
Die jungsteinzeitlichen Jäger kombinierten in den Schäften auch härteres Olivenholz mit leichterem und flexiblerem Weiden- und Schilfholz. „Diese Integration bietet einen harten und dichten Vorderteil, ergänzt durch einen leichten Rücken, was die ballistischen Eigenschaften der Pfeile deutlich verbessert“, erklärt Bertin.
Dekoration aus Birkenpech und hölzerne Spitzen
Zusätzlich waren die Pfeilschäfte teilweise mit schwarzem Birkenpech beschichtet, wie chemische Analysen ergaben. Dieses teerartige zähe Material entsteht, wenn man Birkenrinde kontrolliert erhitzt. Das Pech imprägnierte und festigte wahrscheinlich den Schaft, könnte aber auch zu dekorativen Zwecken verwendet worden sein, vermuten die Archäologen.
Die Pfeilspitzen aus der Höhle bestehen ausschließlich aus Holz ohne Stein- oder Knochenprojektile, wie die Analysen enthüllen. Die Spitzen und die Federn wurden jeweils durch Fasern aus Tiersehnen und wahrscheinlich auch mithilfe des Birkenpechs als Kleber am Schaft befestigt.
Belege für steinzeitliches Know-how
Die Forschenden schließen aus der Vielfalt der verwendeten pflanzlichen und tierischen Materialien, dass die prähistorischen Jäger bereits ein umfassendes Know-how besaßen in Bezug auf die Eigenschaften organischer Materialien und deren Verarbeitung zu Pfeil und Bogen. Demnach waren diese jungsteinzeitlichen Gemeinschaften technisch versierter als bislang gedacht.
„Die Entdeckungen tragen dazu bei, das Verständnis der handwerklichen Praktiken und des täglichen Lebens prähistorischer Gesellschaften zu bereichern“, sagt Piqué.