Mit viel Romantik in die neue Spielzeit im Backnanger Bürgerhaus
Die erst 16-jährige Violinistin Ilva Eigus und die Südwestdeutsche Philharmonie Konstanz unter Leitung von Gabriel Venzago begeistern am Samstagabend im Backnanger Bürgerhaus.
Von Thomas Roth
Backnang. Gabriel Venzago, Chefdirigent der Südwestdeutschen Philharmonie Konstanz, überrascht beim Eröffnungskonzert der Spielzeit 2023/24 im Backnanger Bürgerhaus gleich zu Beginn mit einem dramaturgischen Experiment. Dazu hatte er zunächst Giovanni Gabrielis „Sonata Pian’e Forte“ für Orchester gesetzt. Beim Konzert in Backnang platziert er dann einen Trompeter, einen Englischhornisten und zwei Posaunisten auf der der Bühne gegenüberliegenden Empore. Ein gelungenes Überraschungsmoment mit geschichtlichem Hintergrund: Im Dom San Marco zu Venedig war es Mitte bis Ausgang des 16. Jahrhunderts üblich, Instrumentalchöre in eine Art Call-Response-Situation zu stellen. Durch den langen Hall in San Marco entstanden dadurch spacige Sounds, eine Art Urform des Raumtonverfahrens.
Gleichzeitig markiert Giovanni Gabrielis „Sonata Pian’e Forte“ den evolutionären Übergang von der Renaissance zum Barock. Der venezianische Kirchenmusiker am Markusdom in Venedig war einer der Ersten, der mit dynamischen Anweisungen in seinen Partituren arbeitete. Zu seinen Lieblingsschülern zählte übrigens Heinrich Schütz. Er gilt als bedeutendster deutscher Komponist des Frühbarocks. Venzago eröffnet die Backnanger Klassikspielzeit mit berührenden, erhabenen Renaissanceklängen – sehr festlich.
Venzago eröffnet die Backnanger Klassikspielzeit mit berührenden, erhabenen Renaissanceklängen – sehr festlich.
Kaum ein Instrumentalkonzert hat die Kritik so gespalten wie das Violinkonzert von Peter Tschaikowsky bei seiner Uraufführung im Jahr 1881. Von „restlos begeistert“ bis „nicht zitierfähig“ war danach so ziemlich alles zu hören und zu lesen. Was soll’s, mag sich der russische Komponist gedacht haben. Denn bei seinem ersten Klavierkonzert war es genauso. Mit seiner Gelassenheit sollte er, wie man heute weiß, recht behalten.
Ein richtiger Gassenhauer ist das Werk geworden. Und was früher noch als fast unspielbar galt, meistert die hochbegabte Nachwuchsgeigerin Ilva Eigus aus der Schweiz ruhig und souverän. Hochgeschwindigkeitsläufe, atemberaubende Arpeggien, chromatische Oktavläufe oder aber auch lange, elegische Melodiebögen wie in der Canzonetta und vieles mehr fordert Tschaikowsky in seinem kompositorischen Geniestreich – und die 16-jährige Virtuosin liefert.
Ohne aufgesetzte Attitüde, ganz bei sich, spielt sie auf den Punkt, dem makellosen Klang verpflichtet. Ihre Stradivari gibt dankbar zurück, was Eigus von ihr will. Vor allem in den hohen Lagen der tiefen G-Saite entfaltet das Instrument seinen ungemein weichen, vollen Klang.
Ilva Eigus gestaltet das Werk musikalisch „comme il faut“, wie es sich gehört. Man hat das Gefühl, dass sie bei Gabriel Venzago in sehr guter musikalischer Obhut ist. Dementsprechend dynamisch feinfühlig begleitet die Südwestdeutsche Philharmonie Konstanz dieses schöne Werk und Ilva Eigus nimmt hochverdient minutenlange Standing Ovations entgegen.
Ein psychischer Befreiungsschlag sollte sie werden, auf dass sich endlich alles wieder zum Guten wende: So in etwa war die seelische Ausgangslage 1846, in der sich Robert Schumann an seine zweite, die C-Dur-Sinfonie, heranwagte. Ein Wagnis deshalb, weil Beethoven seine neun Sinfonien bereits geschrieben hatte. Was sollte da noch kommen?
Mit strahlendem C-Dur, mit Trompeten, Tutti und am Ende wuchtigen Paukenschlägen wendet sich alles zum Guten.
Und doch waren die groben musikalisch-thematischen Skizzen relativ rasch gefunden, allein die detaillierte Ausführung wie etwa die Instrumentierung zog sich dann aber doch noch annähernd zwei ganze Jahre hin. In diesem hochenergetischen, hochemotionalen Werk spürt man die Gefühlslagen des Komponisten fast subkutan: diese unwiderstehliche, treibende, nicht enden wollende Rhythmik einerseits oder wie im langsamen 3. Satz, dem Adagio espressivo, diese unfassbar schöne Melodik. Schumann nimmt dabei kleine Anleihen von Beethoven („An die ferne Geliebte“, D-Dur-Sinfonie 2. Satz) und Johann Sebastian Bach („Musikalisches Opfer“).
Mit hoher Intensität durchlebt Gabriel Venzago diese Emotionen und führt seine Musiker durch sie hindurch: pianissimo, fortissimo, schwelgerisch, kompromisslos rhythmisch bis hin zur C-Moll-Stelle im vierten Satz: Da wird doch nicht auf einmal noch zum guten Schluss Trauer oder Melancholie aufkommen? Nein. Falsche Fährte. Mit strahlendem C-Dur, mit Trompeten, Tutti und am Ende wuchtigen Paukenschlägen wendet sich alles zum Guten. Und so endet dieses denkwürdige Eröffnungskonzert im Backnanger Bürgerhaus, das deutlich mehr Besucher verdient gehabt hätte.
Traditionskonzerte Auch die Backnanger Traditionskonzerte mit Dirigent Rainer Roos fallen in das Genre Klassik: das Neujahrskonzert mit der Strauss-Capelle Wien am 14. Januar und das classic-ope(r)n-air am 15. Juni, das 2024 unter dem Titel „Heimat, Lebensfreude, Weltmusik!“ stehen wird. Zudem gibt das Stuttgarter Kammerorchester am 17. Dezember ein Weihnachtskonzert.
Oper Mit „La Traviata“ von Giuseppe Verdi wird am 3. März zum ersten Mal seit Langem wieder eine Oper in Backnang gezeigt – und zwar als Kammerstück, nur von einem Pianisten begleitet. Die Oper werde so aufs Wesentliche reduziert, sagt Kulturamtsleiter Johannes Ellrott. Ergänzend zur Aufführung wird ein Opernworkshop mit dem Ensemble in Kooperation mit der Jugendmusik- und Kunstschule angeboten.
Streichmusik Das Genre Klassik komplettiert ein Konzert der vierköpfigen vielseitigen Formation Salut Salon am 19. November. „Die vier Frauen erkunden ihre Instrumente auf kreative Weise: Da wird Klavier über Kopf, die Geige im Nacken gespielt. Das ist etwas ganz Besonderes“, sagt Ellrott.