Stichwahl
Moldau – zerrissen zwischen EU und Russland
Mit der Moldau könnte sich ein weiterer EU-Anwärter vom Westen abwenden. In der Stichwahl tritt die prowestliche Amtsinhaberin Maia Sandu gegen einen prorussischen Kandidaten an – und wirft Russland vor, Stimmen gekauft zu haben.
Von Thomas Roser
Die um ihre Wiederwahl bangende Frau an der Spitze der Republik Moldau wittert nicht nur ihren Arbeitsplatz, sondern auch ihr Land in Gefahr. „Wir müssen bei den Präsidentschaftswahlen die Demokratie retten, damit wir bei der Parlamentswahl im nächsten Jahr eine Chance auf eine faire Abstimmung haben“, sagt die prowestliche Staatschefin Maia Sandu vor der Stichwahl gegen ihren prorussischen Herausforderer Alexandr Stoianoglo am Sonntag. Die Wähler dürften nicht zulassen, dass „gekaufte Stimmen über das Schicksal des Landes entscheiden“.
Wendet sich nach Georgien mit der Republik Moldau ein weiterer ex-sowjetischer EU-Anwärter vom Westen ab? Trotz des Sieges im ersten Wahlgang droht Präsidentin Sandu ausgerechnet durch den Mann die Ablösung, den sie vor zwei Jahren selbst aus seinem Amt geschasst hatte: Der damalige Generalstaatsanwalt Stoianoglo war nach der umstrittenen Haftentlassung eines wegen Geldwäsche verurteilten Oligarchen in den Verdacht der Korruption geraten, Sandu hatte ihn 2022 seines Postens enthoben.
Erster Wahlgang knapper als erwartet
Vor der ersten Wahlrunde, bei der die Präsidentin gleichzeitig ein Referendum über den EU-Beitritt als Verfassungsziel anberaumen ließ, prognostizierten die Umfragen ihr noch eine problemlose Wiederwahl. Doch nicht nur der hauchdünne Sieg der EU-Befürworter fiel mit 50,35 Prozent zur Freude Moskaus deutlich knapper aus als erwartet.
Auch bei der ersten Runde der Präsidentschaftskür fuhr Sandu mit 42,49 Prozent der Stimmen ein merklich bescheideneres Ergebnis ein als vorab prognostiziert. Während der zweitplatzierte Stoianoglo (25,95 Prozent) im zweiten Wahlgang auf den Löwenanteil der Stimmen der ausgeschiedenen Bewerber hoffen kann, sind die Chancen für Sandu begrenzt, sich zusätzliche Stimmen zu erschließen.
Kriminelle Gruppen hätten mit Hilfe einer „ausländischen Macht“ versucht, die Lage im Land mit Manipulationen und dem Kauf von 300 000 Stimmen zu „destabilisieren“, so Sandus Vorwurf nach dem ersten Wahlgang in Richtung Moskau: Millionen seien ausgegeben worden, „um Lügen und Propaganda zu verbreiten“.
Trotz eindeutiger Hinweise auf massive Stimmenkäufe ist das unerwartet schwache Ergebnis der proeuropäischen Kräfte laut Analysten aber nicht nur den Anstrengungen Moskaus anzulasten: Angesichts der optimistischen Umfragen hatte Sandus siegessicherer Wahlstab offenbar nicht nur ihre Aussichten überschätzt, sondern auch den Leidensdruck der Landsleute unterschätzt.
Im Stimmenstreit agiert die Landesmutter nun wesentlich streitlustiger als zuvor. Hatte Sandu vor der ersten Wahlrunde ein TV-Duell mit ihren zwei aussichtsreichsten Rivalen im letzten Moment noch allzu selbstsicher platzen lassen, nützt sie nun jeden Moment zur direkten Konfrontation.
Konfrontation im TV-Duell
Bei einem TV-Duell ohne Moderator trieb die 52-Jährige am Wochenende ihren fünf Jahre älteren und von ihr als „Mann Moskaus“ gegeißelten Rivalen mit unbequemen Fragen immer wieder in die Enge: Weder vermochte Stoianoglo von Russland finanzierte Projekte für das Land zu benennen noch überzeugend zu erklären, warum er als Inhaber eines rumänischen Passes zwar selbst von den EU-Privilegien profitiert, aber das EU-Referendum boykottiert hat.
Er habe den Volksentscheid boykottiert, weil sich die Präsidentin mit dessen Ansetzung einen Wahlvorteil verschaffen wollte, so der von den oppositionellen Sozialisten (PSRM) nominierte Stoianoglo. Während er ein weiteres TV-Duell wohlweislich platzen ließ, nutzte Sandu dessen kurzfristige Absage entschlossen zu einem Solo-Auftritt. Zur europäischen Integration gebe es für ihr Land „keine Alternative“, so ihre Botschaft: „Wir müssen diesen Weg fortsetzen.“
Selbstkritisch räumt Sandu „Fehler“ ein – und gelobt die Auswechslung korrupter Würdenträger. Doch ob die bei öffentlichen Auftritten fast ausschließlich Rumänisch sprechende Hoffnungsträgerin der proeuropäischen Regierungspartei PAS die EU-skeptischen und oft Russisch sprechenden Sympathisanten der Opposition überhaupt erreichen kann, ist fraglich.
Wie beim EU-Referendum droht dem zwischen West und Ost zerrissenen EU-Anwärter erneut eine lange Wahlnacht – mit ungewissem Ausgang: Der Kampf um den wuchtigen Präsidentenpalast in Chisinau ist völlig offen.