Krieg ist ein relativ junges Phänomen
Mord und Totschlag: Als der Krieg in die Welt kam
Bewaffnete Konflikte gibt es, seit es Menschen gibt. Doch wann datiert der erste „echte“ Krieg? Seit wann tragen Gruppen des Homo sapiens Streitigkeiten gegeneinander mit organisierter Gewalt und speziellen Werkzeugen zum Töten aus? Eine historische Spurensuche.
Von Markus Brauer
Wann war das erste blutige Gemetzel in der Geschichte des Homo sapiens, in dem sich Menschen gegenseitig erstachen, erschlugen, erwürgten?
Mord und Totschlag gibt es, seit Menschen existieren. Doch das Phänomen des Krieges ist dem Prähistoriker Harald Meller zufolge ein historisch vergleichsweise junges Phänomen. Es gebe ihn mutmaßlich erst seit 15.000 Jahren, sagt der Landesarchäologe von Sachsen-Anhalt. „Das entspricht etwa einem Prozent der Menschheitsgeschichte.“
Als der Krieg in die Welt kam
Gemeint ist hier Krieg im Sinne eines organisierten, unter Einsatz erheblicher personeller Mittel mit Waffen und Gewalt ausgetragenen Konflikts. Ein brachiales Hauen und Stechen, an dem planmäßig vorgehende, rivalisierende Gruppen beteiligt sind, die mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln ihre Interessen durchzusetzen versuchen und dabei eine Vielzahl an Todesopfern und verheerenden Verwüstungen in Kauf nehmen.
Vor dem Jungpaläolithikum (circa 43.000 bis 10.000 v. Chr.) wäre Krieg aufgrund der „damaligen Lebensweise des hochmobilen Jagens und Sammelns“ nicht rational gewesen, erläutert Meller. Zusammen mit dem Historiker Kai Michel und dem Evolutionsbiologen und Anthropologen Carel van Schaik hat er das jetzt erschienene Buch „Die Evolution der Gewalt. Warum wir Frieden wollen, aber Kriege führen. Eine Menschheitsgeschichte“ (dtv, 2024, 368 Seiten 28 Euro) verfasst.
Für Kriege hätten die Grundlagen gefehlt, betont der Archäologe. „Damit meine ich vor allem eine hohe Bevölkerungsdichte, Sesshaftigkeit und einen Anreiz, sich um Land oder Ressourcen zu streiten.“
Wann wurde die erste Bluttat begangen?
Die Menschen hätten sich schon immer die Köpfe eingeschlagen. "Aber nur individuell und gelegentlich, nicht massenweise und beständig“, fügt Meller hinzu. „Den ersten belegbaren Mord gab es in der Altsteinzeit, vor etwa 430.000 Jahren, nahe Atapuerca in Spanien.“
Gleichwohl gebe es Hoffnung auf ein Ende des Krieges, meint der Prähistoriker. „Viele Staaten haben sich demokratisiert und dem Recht unterworfen und führen kaum noch Kriege. Das ist ein Prozess, der lange noch nicht abgeschlossen ist.“
Atapuerca, vor 430.000 Jahren: Der erste Mord
Die paläontologische Ausgrabungsstätte von Atapuerca, etwa 20 Kilometer nordöstlich der spanischen Stadt Burgos gelegen, ist eine der bedeutendsten Fundorte von steinzeitlichen Fossiliene in Europa. Hier wurden in der Höhle Sima de los Huesos (Knochenhöhle) zahlreiche bedeutende Beweise für die Anwesenheit und Lebensweise von Hominiden vor einer Million Jahren entdeckt.
In der Sima de los Huesos, einem kleinen Gebirgszug nördlich von Ibeas de Juarros in der Provinz Burgos, wurden die Überreste von mindestens 32 Arten der Hominini unterschiedlichen Alters und beiderlei Geschlechts gefunden – so Fossilien von Homo antecessor, Homo heidelbergensis, Homo neanderthalensis und Homo sapiens.
Eingeschlagener Schädel aus der Knochenhöhle
In der Höhle Sima de los Huesos fanden Archäologen Knochen von mindestens 28 Urmenschen. Einer der Schädel weist deutliche Verletzungen auf, die auf eine Bluttat vor rund 430.000 Jahren hinweisen.
Ob es sich bei dem Opfer um einen Mann oder eine Frau handelt, können die Paläoanthropologen bis heute nicht eindeutig sagen. Sicher sind sie sich allerdings darin, dass es sich um einen Mord handelt.
Mit den Methoden der modernen Forensik haben die Forscher zwei Kopfverletzungen oberhalb des linken Auges untersucht. Die zwei Löcher deuten darauf hin, dass der Schädel zweimal gespalten wurde.
Der Urmensch dürfte im Streit von einem eigenen Sippenmitglied oder einem Fremden ermordet worden sein, indem ihm mit einer Waffe zweimal der Schädel eingeschlagen wurde. Und der Täter? Er liegt möglicherweise in einem der Knochenhaufen in der Höhle.
Wann kam der Krieg in die Welt?
Die ersten bewaffneten Konflikte waren Kämpfe zwischen Individuen und noch keine echten Kriege – also länger anhaltende und organisierte Konflikte in größerem Maßstab. Davon zeugen fossile Relikte gewaltsam getöteter Neandertaler, die Gletschermumie „Ötzi“ oder eben der Mensch von Atapuerca.
„Krieg ist eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“
Wenn es zutrifft, was der preußische Militärtheoretiker Carl von Clausewitz (1780-1831) in seinem 1832 posthum erschienenen Hauptwerk „Vom Kriege“ schreibt, dass „Krieg eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“ ist, dann muss es schon in den frühen Gruppen Regelungen gegeben haben, die verbindliche und auf Gewalt und Macht beruhende Entscheidungen beschlossen.
Was macht Konflikte zum Krieg?
Der Schweizer Ethnologe Jürg Helbling definiert Krieg als „geplante und organisierte bewaffnete Auseinandersetzung zwischen autonomen Gruppen“. Damit sind auch Konflikte aus jenen Zeiten impliziert, als es noch keine organisierten Staaten gab. Also schon in der Jungsteinzeit, lange bevor dort komplexe, hierarchische Gesellschaften entstanden.
Der Grund, warum ausgerechnet vor rund 11.000 bis 10.000 Jahren die ersten Werkzeuge zum Töten verwendet wurden, liegt nahe: Vor rund 11.000 Jahren veränderte die Neolithische Revolution zunächst in Afrika und im Nahen Osten die Gesellschaft grundlegend.
Rund drei Jahrtausende später erreichte diese Veränderung der Jäger- und Sammlergesellschaft auch Mitteleuropa. Die Menschen wurden sesshaft und betrieben auf dem Land Ackerbau und Viehhaltung. Sie begannen, Vorräte und Besitz anzuhäufen. Dinge, auf die Konkurrenten neidvoll ein Auge warfen.
Nataruk, 8000 v. Chr.: Das erste Massaker
Die weltweit ältesten Spuren eines kriegerischen Dramas fanden Archäologen bei Nataruk am Westufer des Turkana-Sees im heutigen Kenia und Tansania, einer Wiege der menschlichen Evolution.
In dieser Einöde starben vor rund 10.000 Jahren 27 Männer, Frauen und Kinder. Die Spuren des Massakers sind die ältesten bekannten Indizien für eine Gewalttat, die auf einen Kampf zwischen zwei Gruppen einander fremder Menschen hindeuten.
Die prähistorische Bluttat ist zugleich der erste sichere Beleg für die äußerst gewalttätige Vergangenheit des Homo sapiens. Und sie beweist, dass schon die frühen Jäger-und-Sammler-Kulturen Konflikte ausfochten, welche die Kriterien eines Krieges erfüllen.
Tollense, um 1250 v. Chr.: Die erste Schlacht
Als erste nachgewiesene Schlacht auf deutschem Boden ist das Gemetzel im Tal des Flusses Tollense um 1250 v. Chr. in die Annalen eingegangen. Dort, nahe des heutigen Ortes Altentreptow in Mecklenburg-Vorpommern, fanden Spatenforscher insgesamt 12 000 Knochen von 144 Menschen. In den Schädeln klafften Löcher, die wohl von Keulenhieben herrührten. In einem der Köpfe steckte noch eine Pfeilspitze.
Die Gegend um Tollense war in der frühen Bronzezeit eine wichtige Handelsroute. Den Angreifern ging es vermutlich um ihre Kontrolle oder sie griffen Händler an, raubten sie aus und töteten sie anschließend. Möglicherweise waren bis zu 2000 Männer an der Schlacht beteiligt.
Rioja-Alavesa, um 3300 v. Chr: Der erste Krieg
Doch schon 2000 Jahre vor Tollense kam der Krieg nach Europa. Und es war kein kurzes Scharmützel zwischen kleineren Gruppen, sondern ein Waffengang, der über Monate, vielleicht sogar Jahre andauerte.
Dies belegen Analysen eines steinzeitlichen Massengrabs in Spanien, in dem mindestens 338 Tote liegen. Die meisten von ihnen weisen Spuren schwerer Verletzungen auf, wie ein Forscherteam um die Archäologin Teresa Fernández-Crespo von der Universität Valladolid in einer im Fachmagazin „Scientific Reports“ erschienenen Studie berichtet.
Im Jahr 1985 war ein Baggerfahrer bei Bauarbeiten zufällig auf die Begräbnisstätte von San Juan ante Portam Latinam, rund 32 Kilometer nordwestlich der Kleinstadt Laguardia in der baskischen Provinz Rioja-Alavesa (Nordspanien), gestoßen. Radiokarbondatierungen ergaben, dass die Toten hier zwischen 3380 und 3000 v. Chr. bestattet worden waren.
Frühestes Zeugnis systematischen Mordens in Europa
Das Massengrab von Rioja Alavesa gilt als frühestes historisches Zeugnis, dass es schon vor mehr als 5000 Jahren lange organisierte und systematische Konflikte mit wiederholten Kämpfen zwischen größeren Gruppen gab. Steinzeitliche Vorläufer der Schlachten und Feldzüge, die seit der Antike bis zum heutigen Tag ausgetragen werden.
„Die potenzielle Dauer von mindestens Monaten bis Jahren, die Zahl der direkten Opfer, die männlich dominierte Demografie und die in der Rioja-Alavesa-Region identifizierten möglichen sozialen und ökonomischen Folgen deuten darauf hin, dass dieser gewaltsame Konflikt weitreichendere Folgen hatte als zuvor für diese Zeit bekannt“, resümieren die Wissenschaftler in ihrer Studie.