Tierschützer klagen an
Müssen die Eisbären im Karlsruher Zoo leiden?
Das Eisbär-Jungtier im Karlsruher Zoo sorgt für Begeisterung – aber heizt auch die Debatte über die Haltung von Eisbären in Zoos aufs Neue an. Tierschutzorganisationen plädieren seit Jahren für einen Zucht-Stopp. Doch leiden die Tiere wirklich?
Von Janina Link
Jüngst hat im Karlsruher Zoo Eisbärennachwuchs das Licht der Welt erblickt. Die Fotos des tapsigen Eisbär-Babys lösten bei den meisten Menschen wohl Entzückung aus. Tierschützer jedoch kritisieren die Haltung von Eisbären in Zoos scharf. Die Stuttgarter Wilhelma setzte unter die Eisbärenhaltung schon vor Jahren einen Schlussstrich, da das Verhalten der Tiere laut Aussage des Wilhelma-Direktors Thomas Kölpin zum Ende hin „nicht optimal“ gewesen sei. „Es sind leichte Stereotypien aufgetreten, dafür haben wir immer mehr Kritik geerntet. Insofern waren wir uns schnell einig, keine Eisbären mehr zu halten“, so Kölpin damals.
Nadia Wattad vom Deutschen Tierschutzbund hat eine klare Meinung: „Aus Tierschutzsicht lehnen wir die Haltung von Eisbären in Zoos ab“, sagt sie unserer Zeitung. Der Tierschutzbund stelle sich zwar nicht grundsätzlich gegen Zoos, aber gegen die Haltung von Arten, deren natürlichen Lebensanforderungen in Gefangenschaft nicht genügend berücksichtigt werden können. Und dies sei auch bei Eisbären der Fall, so Wattad. Zoos könnten in keiner Weise den natürlichen Lebensraum von Eisbären realistisch nachahmen, so die Tierschützerin. „Sowohl Klima als auch Lebensraum der Eisbären weichen völlig von dem ab, was wir den Tieren hierzulande bieten können. Eisbären sind perfekt an arktische Verhältnisse angepasst, ertragen strenge Temperaturen, jagen und legen im natürlichen Lebensraum viele Kilometer zurück. All dies können und müssen sie im Zoo nicht.“
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Stereotypierate von Eisbären in Zoos ist hoch
Dass in Zoos der natürliche Lebensraum der Eisbären nicht realistisch nachgeahmt werden kann, ist auch Timo Deible, Pressesprecher des Karlsruher Zoos, klar. „Wir können nicht die Arktis nachbauen“, sagt er. „Müssen wir ja aber auch gar nicht. Es geht ja auch nicht um eine artgerechte, sondern um tiergerechte Haltung. Eine artgerecht Haltung – das wäre eine Haltung mit allem, was in der Natur passiert. Eine tiergerechte Haltung hingegen bedeutet, dem Tier alles zu geben, was es braucht und dafür zu sorgen, dass es sich fortpflanzen kann und keine Qualen leiden muss, wenn es zum Beispiel eine Krankheit bekommt.“
Ein häufig hervorgebrachter Kritikpunkt von Tierschützern ist die geringe Gehegegrößen. Auch Wattad sieht das kritisch: „In der Wildnis durchqueren Eisbären Reviere von Tausenden Quadratkilometern. Die Gehegegrößen in deutschen Zoos hingegen sind aufgrund des begrenzt zur Verfügung stehenden Raums viel zu klein – meist nur wenige hundert Quadratmeter groß.“ Die Folge davon: die Tiere würden – wie auch zuletzt in der Wilhelma in Stuttgart – deutlich erkennbare Stereotypien entwickeln, also Verhaltensauffälligkeiten, wie ständiges Hin- und Herlaufen, Schwenken des Kopfes oder das Schwimmen der immer gleichen Strecke. „Die hohen, vielfach belegte Stereotypierate von Eisbären in Zoos ist ein deutliches Indiz für anhaltendes und erhebliches Leiden der Tiere“, sagt Wattad.
Beschäftigungen, die auf den Jagdtrieb der Eisbären einzahlen
Diese Probleme sind dem Karlsruher Zoo nicht fremd. „Wir hatten auch schon Eisbären, die zu uns kamen und gewisse Stereotypie-Probleme hatten“, so der Pressesprecher. „Da muss man immer auch unterscheiden, wie stark diese auftreten. Jeder kennt diese krassen Bilder von einem Tier, das auf ein paar Metern hin und her läuft. Aber es gibt auch weitaus abgeschwächtere Formen und Stereotypie-Verhalten.“ Nicht immer sei Stereotypie-Verhalten ein Zeichen für ein Leiden. „Es gibt auch manch angelernte Verhaltensmuster, die man durch Training und Beschäftigung wieder wegbekommen kann.“
In den vergangenen Jahrzehnten hätten Zoos hinsichtlich der Tierbeschäftigung dazugelernt. So würden gezielt Beschäftigungen ausgearbeitet, die auf den Jagdtrieb der Eisbären zielen. „Natürlich können Eisbären in der Natur hunderte von Kilometern laufen und schwimmen“, sagt Deible. „Aber kein Eisbär tut das freiwillig“ – sondern wenn er es muss. Zum Beispiel aufgrund des Wechsels der Jahreszeiten, wenn an einer Stelle kein Futter mehr zu finden ist, oder wegen der Partnersuche.
„Was den Artenschutz betrifft, so muss man da weit vorausschauen“
Der Karlsruher Zoo stehe vor allem wegen der Artenerhaltung hinter der Eisbärenhaltung. Doch Artenschutzargumente könnten laut Wattad nur auf wenige Tierarten angewandt werden – und nicht auf Eisbären, da sie nicht ausgewildert werden können, so die Tierschützerin. Deible hält dagegen: „Beim Luchs hätte vor 20 oder 30 Jahren auch noch keiner gesagt, dass er ausgewildert wird“, sagt er. „Das ist keine Sache von heute auf morgen. Was den Artenschutz betrifft, so muss man weit vorausschauen. Was ist denn, wenn wir in 20 bis 50 Jahren in bestimmten Subpopulationen nur noch wenige Tiere haben, die genetisch sehr verarmt sind? Dann kann es durchaus sinnvoll sein, an solchen Gebieten Tiere zur Bestandsstützung hinzuzugeben.“
Ein weiteres, von Zoos hervorgebrachtes Argument: der Eisbär als „Botschafter seiner Art“ sensibilisiere die Zoobesucher für das Verschwinden seines Lebensraumes. Während Wattad das „stark anzweifelt“, ist Deible der Meinung, die Popularität des Eisbär-Babys könne sinnvoll eingesetzt werden. „Durch die Emotionalität entsteht bei so einem Tier wie dem Eisbär immer auch ein gewisser Hype, den können wir gar nicht verhindern. Wenn Menschen so ein Tier vor sich haben, dann bekommt das Wort Klimakrise wirklich ein Gesicht.“