Wie die Wine-Moms den Alkoholkonsum zum schicken Lebensstil verklären
Mütter, die sich mit Wein trösten
Es begann als harmloser Internet-Scherz: ein Glas Wein oder auch mehr gegen die Last zu trinken, unter der Mütter täglich leiden. Inzwischen zelebrieren die sogenannten Wine-Moms das Trosttrinken als coolen Lebensstil. Das ist nicht mehr ganz so harmlos.
Von Lena Högemann
Jeden Tag das Gleiche: Das Kind braucht etwas zu essen, muss zur Kita gebracht und auch wieder abgeholt werden, vorher die Frühstücksbox packen, die Freizeit organisieren und abends die Einschlafbegleitung. Und es gibt diesen Berg von Dingen, die sonst noch erledigt werden müssen. Mutter sein ist anstrengend.
Natürlich können auch Väter das alles übernehmen und viele tun es auch, aber die so genannte Care-Arbeit ist noch immer sehr ungleich verteilt. Frauen wenden durchschnittlich 44 Prozent mehr Zeit für diese unbezahlte Sorge-Arbeit aus, das sind 79 Minuten mehr jeden Tag. Diese Lücke hat das Bundesfamilienministerium berechnet.
Es ist also durchaus nachvollziehbar, wenn Mütter öffentlich zeigen, dass sie erschöpft sind. So wie diese Mutter im sozialen Netzwerk Instagram: Eine Frau in Kapuzenpulli und Leopardenleggins kriecht über den Fußboden ihrer Küche, sie atmet schwer.
Der Text in dem Instagram-Reel verrät uns: Diese Frau hat gerade das Abendessen gemacht, die Kinder gebadet und aufwendig ins Bett gebracht. Dann zieht sich die Frau in dem Video an der Theke in der Küche hoch, wo eine Rotweinflasche und ein Glas stehen. Feierabend hat sie jetzt, verrät sie uns. Und dass sie sich jeden Tag ab 17 Uhr genau nach diesem Moment sehnt.
„Das Glas Wein wird zum Statussymbol“
Viele Mommy-Bloggerinnen wie sie posten Inhalte, in denen ihr anstrengender Alltag als Mutter mit Alkohol erträglicher wird. Einige von ihnen nennen sich Wine-Moms.
Die Autorin Natalie Stüben, die Online-Kurse für ein Leben ohne Alkohol anbietet, schreibt in ihrem neuen Buch „Frauen und Alkohol“ über Wine-Moms: „Das Glas Wein mutiert zu einem Statussymbol.“
Sie beschreibt, wie Mütter versuchen, den letzten Rest ihres alten Ichs in das Leben als Mutter zu integrieren. Bei Wine-Moms werde das Glas Wein zur „Me-Time“, als Pause und Erholung inszeniert, als etwas, das Müttern guttut.
Alkohol lässt einen schlechter schlafen
Das Problem an der Sache: Durch den Alkohol wird das Leben als Mutter in Wirklichkeit gar nicht leichter. Wenn wir Alkohol getrunken haben, schlafen wir schlechter. Wir schlafen zwar schneller ein, aber der Alkohol stört die Schlafphasen, weswegen wir weniger erholt sind.
Die Autorin Susanne Mierau beschreibt in ihrem Buch „Das Schlafbuch für die ganze Familie“ einen regelrechten Negativkreislauf durch den abendlichen Alkoholkonsum. „Der Alltag mit Kind wird als noch anstrengender wahrgenommen, um sich abends wieder ein Glas Wein oder Bier zu gönnen, um jetzt wirklich mal zu entspannen“, schreibt Mierau.
Brustkrebs-Risiko steigt
Zur Wahrheit gehört auch, dass Alkohol ungesund ist. Durch Alkoholkonsum können über 200 Krankheiten entstehen, darunter verschiedene Krebsarten, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Typ-2-Diabetes. Für Frauen steigt das Risiko für Brustkrebs, wenn sie regelmäßig Alkohol trinken.
Die Pädagogin Nicola Hengels-Stitou, der bei Instagram 254 000 Menschen folgen, hat sich gegen den Kult der Wine-Moms ausgesprochen. Sie sagt, es gehe ihr nicht darum, dass Eltern keinen Alkohol trinken sollten. „Aber dass da suggeriert wird, dass es normal sei, sich die Elternschaft erträglich zu saufen, das kritisiere ich“, sagt die Influencerin.
„Betrink dich lieber, als dich zu beschweren“
Autorin Natalie Stüben, die selbst nüchtern lebt, kritisiert die Bewältigungsstrategie der Wine-Moms. „Betrink dich lieber, als dich zu beschweren“, fasst sie es zusammen. Sie zitiert eine Studie, die nachgewiesen habe, dass die Fähigkeit, die Bedürfnisse des Kindes zu erkennen, schon bei moderatem Alkoholkonsum sinkt. Trotzdem seien Eltern eine schwer zu erreichende Zielgruppe für Hilfsangebote. Stüben empfiehlt daher die App Elma für suchtkranke Eltern.
Aber was bedeutet eigentlich, alkoholabhängig zu sein? Viele Menschen denken bei dieser Frage an den alkoholkranken Obdachlosen, dessen Hände zittern, wenn er nicht trinkt. Was viele Menschen nicht wissen: Es gibt auch eine psychische Abhängigkeit von Alkohol.
Stüben erklärt, dass diese psychische Abhängigkeit vor allem an sogenannten Cravings und an Kontrollverlusten zu erkennen sei. „Cravings sind Momente, in denen Sie einen inneren Druck verspüren zu trinken, einen großen Wunsch, der andere Dinge verdrängt und weniger wichtig erscheinen lässt“, erklärt Stüben.
Kontrollverlust beim Alkoholtrinken könne auch bedeuten, eine Zeit lang nichts zu trinken. „Aber sobald Sie trinken, ist es, als würde sich ein Schalter umlegen. Dann finden Sie einfach kein Ende“, beschreibt es Stüben.
Wine-Moms als Verkaufsmasche
Im Endeffekt scheinen die Wine-Moms auch eine Verkaufsmasche zu sein. Es gibt eine Analyse von Forscherinnen, die Social- Media-Seiten in den Vereinigten Staaten, in Kanada und Australien betrachtet haben. Sie weisen darauf hin, dass Müttern dort gezielt das Gefühl gegeben wird, dass Alkohol eine Lösung ihrer Probleme sei. Das sei vor allem deshalb fatal, weil schon während der Coronapandemie der Alkoholkonsum von Müttern stark angestiegen sei, erklären die Forscherinnen.
Die vermeintlich witzigen Inhalte bringen Mommy-Influencerinnen eine große Reichweite, mit der sie ihr Geld verdienen.
Unternehmen kommen die Wine-Moms gerade recht
Und Unternehmen springen auf den Trend auf, wie dieses Video zeigt: Wir sehen den Körper einer Frau in einem schicken Jeans-Jumpsuit, sie schenkt sich ein großes Glas Rotwein ein. Darüber steht: „They say it takes a village. We say it takes a vineyard.“ Auf Deutsch: Sie sagen, es bräuchte ein ganzes Dorf – zum Kindergroßziehen ist damit gemeint. Aber was brauchen Mütter nach Ansicht dieses Werbevideos? Nur einen Weinberg.
Dabei brauchen Mütter eigentlich etwas anderes: Gleich verteilte Care-Arbeit, mehr gute Kita-Plätze, kostenfreie Nachmittagsbetreuung auch für Schulkinder und eine freie Entscheidung darüber, wie viel Sorgearbeit und wie viel Erwerbsarbeit sie wollen.