Sascia Bailer über Benachteiligung von Frauen

Mütter haben es schwer in der Kunst

Gehört zu guter Kunst Verantwortungslosigkeit, Alkohol und lange Nächte? In Stuttgart soll jetzt der Startschuss fallen für einen familienfreundlichen Kunstsektor.

Sascia Bailer will den Kulturbetrieb gerechter machen – auch für Mütter.

© /Soledad Muriel

Sascia Bailer will den Kulturbetrieb gerechter machen – auch für Mütter.

Von Adrienne Braun

Wie kann man den Kunstbetrieb gerechter und elternfreundlicher machen? Das ist das Thema einer Diskussion im Kunstmuseum Stuttgart und der Ausstellung „Mothers*, Warriors and Poets“ in der Stuttgarter Gedok-Galerie. Sascia Bailer moderiert die Veranstaltung – und weiß, wo die Probleme liegen.

Erfolgreiche Künstlerinnen haben seltener Kinder als Künstler. Verhindert Muttersein Karriere?

Die Zahlen sprechen dafür. Wenn wir die Top Ten anschauen, zeichnet sich die Tendenz ab, dass Vaterschaft kein Hindernis ist, um global erfolgreich zu sein, während es sich für Mütter deutlich schwieriger gestaltet.

Vielleicht konzentrieren sich die Künstlerinnen lieber auf die Kunst, während Männer Kinder einfach in die Welt setzen?

Es geht nicht darum, Frauen, die Kinder haben, auszuspielen gegen die ohne Kinder. Es geht darum, dass sie nicht diskriminiert werden sollten, wenn sie Kinder haben. Deshalb wollen wir in den Blick zu rücken, dass es vielfältige strukturelle Hürden gibt.

Zum Beispiel?

Einerseits sitzen wir in veralteten Denkmuster fest und kommen einem beim Künstlergenie leider immer noch männliche Figuren in den Sinn, die nachts mit Rotwein und ohne Sorgeverantwortung kreieren. Im öffentlichen Bild ist noch nicht angekommen , dass künstlerisches Schaffen vielfältig aussehen kann – auch in Zusammenhang mit Sorgeverpflichtung. Im Kultursektor verstärkt sich der Gender Pay Gap auch von gesamtgesellschaftlich 18 Prozent zu über 30 Prozent.

Wie behindern Kinder Künstlerinnen konkret?

Es kann bedeuten, dass sie bei Residencies nicht mit Kindern anreisen können oder so lange Aufenthalte vorgesehen sind, die Mütter nicht wahrnehmen können, weil sich niemand um die Kinder kümmert. Ohne solche Residencies hat man aber weniger Sichtbarkeit und bekommt weniger Ausstellungen. Es macht sehr viel aus, ob man an der Villa Romana war oder nicht.

Was könnte man da ändern?

Bei flexibleren Modellen kann man den Aufenthalt in Etappen nehmen, die Kinder mitnehmen oder gibt es Kinderbetreuung. In der Wissenschaft ist üblich, dass bei Stipendien Familien einen Zuschlag bekommen, um Betreuungskosten abrechnen zu können.

Auch im Kulturbetrieb gibt es erfolgreiche Frauen, die privilegiert sind gegenüber vielen prekär lebenden Künstlern. Warum wird die Grenze immer nur zwischen den Geschlechtern gezogen?

Wir wünschen uns generell einen gerechteren Kultursektor. Geschlechtergerechtigkeit ist eine Facette. Aber leider entfalten sich in Bezug auf das Geschlechts immer wieder sehr starke Ungerechtigkeiten und ist auch messbar, dass wir im Kultursektor enormen Nachholbedarf haben.

Wird durch die ewige Wiederholung nicht eine Art Opferdiskurs verstetigt?

Ich würde das nicht als Opferdiskurs, sondern als Empowerment beschreiben. Dass wir jetzt ein Netzwerktreffen haben, zeigt, dass es eine Problemlage gibt. Wenn es keinen Bedarf gäbe, würden sich nicht so viele Initiativen gründen. Die Vernetzung über die Ländergrenzen hinweg ist total empowernd.

Was wollen Sie dem Treffen erreichen?

Es gibt Wissen in den Netzwerken, aber wenn man mit Institutionen spricht, merkt man, dass das Wissen da noch nicht angekommen ist. Wir wollen eine Anlaufstelle, damit Kunstinstitutionen und Organisationen Expertinnen und Maßnahmenkataloge finden können. Das Netzwerktreffen soll eine Auftaktveranstaltung für die Plattform sein.

Starkes Netzwerk

PersonSascia Bailer, geboren 1988, ist Kuratorin und befasst sich mit sozialer Gerechtigkeit. Sie hat Kulturmanagement studiert und promoviert derzeit an der Zürcher Hochschule der Künste.

ProgrammDiskussion „Networks of Care“, 16. Nov., 16 Uhr, Kunstmuseum Stuttgart. Ausstellung: Eröffnung 15. Nov., 17.30 Uhr, geöffnet 17. Nov., 11-14 Uhr, 19. bis 22. Nov. 16-19 Uhr, 23. Nov. 13-16 Uhr in der GEDOK.

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Erstellt:
14. November 2024, 19:14 Uhr

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