Multitasking und ein Fitnessstudio im Freien

Ein Jahr im Weinberg (5): Eine grüne Blätterwand und fünf Arbeitsschritte auf einmal fordern von Redakteurin Silke Latzel höchste Konzentration

Was der Profi auf den ersten Blick sieht, ist für den Laien oft schwer zu erkennen – etwa, was ein Geiztrieb ist oder wann genau viele Blüten „zu viele“ sind. Redakteurin Silke Latzel versucht trotzdem, bei ihrem fünften Einsatz im Weinberg den Überblick zu behalten – und kommt dabei gut ins Schwitzen.

Das gute Wetter in den vergangenen Wochen hat die Weinstöcke richtiggehend in die Höhe schießen lassen. Da reichen die 1,67 Meter Körpergröße bei Redakteurin Silke Latzel (rechts) gerade noch so aus, um auch ganz oben anpacken zu können. Fotos: A. Becher

© Pressefotografie Alexander Beche

Das gute Wetter in den vergangenen Wochen hat die Weinstöcke richtiggehend in die Höhe schießen lassen. Da reichen die 1,67 Meter Körpergröße bei Redakteurin Silke Latzel (rechts) gerade noch so aus, um auch ganz oben anpacken zu können. Fotos: A. Becher

Von Silke Latzel

ASPACH. Für meinen Geschmack ist es heute viel zu warm. Wobei, das allein ist es nicht einmal. Es ist diese drückend-schwüle Luft, die die Arbeit im Weinberg echt anstrengend macht. Zum Glück habe ich noch rechtzeitig daran gedacht, meine Sonnencreme mitzunehmen.

„Heute machen wir gleich mehrere Sachen auf einmal“, kündigt Günter Ferber, Vorsitzender der Weingärtnergenossenschaft Aspach, an und fügt schmunzelnd hinzu: „Das dürfte dir als Frau ja nicht schwerfallen, ihr könnt Multitasking ja viel besser als wir Männer.“ Mein fünfter Einsatz im Weinberg umfasst: Heften, Geizen, Lüften und Reduzieren – und das quasi alles auf einmal. Ferber und ich arbeiten gemeinsam an einer Reihe, einer links, einer rechts. Ich bin fasziniert und begeistert davon, wie grün „mein“ Weinberg mittlerweile ist – dabei ist der letzte Einsatz ja noch gar nicht so lang her und da waren die Blätter noch klein und beschaulich, Blüten noch überhaupt keine zu sehen. „In den vergangenen Wochen war das Wetter wirklich ideal fürs Pflanzenwachstum“, so Ferber. Genug Feuchtigkeit, genug Sonne, fast schon tropische Verhältnisse: Das mögen die Weinstöcke.

Wir stehen vor einer wirklich prächtigen Blätterwand, zudem hat die Hochblütephase gerade begonnen. Noch rund 100 Tage, dann können wir lesen. Doch vorher müssen wir noch einiges erledigen, um den Weinstöcken zu helfen. Ferber erklärt mir unsere einzelnen Arbeitsschritte:

Heften: Darunter versteht man das Hochheben und Befestigen der Triebe an Drähten. Die Weinreben ranken sich daran zwar von selbst nach oben, haben aber nicht genug Kraft, um sich komplett eigenständig zu halten. Wir helfen ihnen also dabei, heften sie zwischen den Drähten fest und „sortieren“ sie gleichzeitig etwas.

Geizen beziehungsweise Ausgeizen: Dabei werden unerwünschte Triebe entfernt und somit der Wuchs der Pflanze gefördert. Beim Geiztrieb handelt es sich um einen Trieb, der während des Sommers an der einjährigen Knospe austreibt. „Früher hätte man das nicht gemacht, aber heute entfernen wir tatsächlich ganze Ruten, um den Ertrag zu mindern und um im Herbst Trauben mit besonders hoher Qualität zu ernten“, erklärt Ferber mir.

Aus dieser Blüte werden keine Früchte mehr.

© Pressefotografie Alexander Beche

Aus dieser Blüte werden keine Früchte mehr.

Lüften: Eine grüne Wand aus Laub sieht zwar schön aus, kann aber zu Pilzerkrankungen der Weinstöcke führen. Ist die Blätterwand zu dicht, kommen weder Wind noch Sonne an die Blätter, so trocknen sie nach Regen nicht oder kaum und sind anfälliger für Krankheiten. Für uns heißt das konkret: Blätter ab und die Laubwand etwas lichter machen.

Mengenreduzierung: Völlig unverständlich für einen Laien, für mich mittlerweile gar nicht mehr so überraschend, denn ich höre meinem Lehrer Ferber tatsächlich auch zu: Schon jetzt entfernen wir teilweise Blüten, damit diese nicht mehr zu Beeren heranreifen können. So muss der Weinstock seine ganze Energie nicht auf viele Früchte aufteilen, sondern kann sie in wenige stecken – und diese bekommen dadurch eine höhere Qualität. Der Spruch „Weniger ist mehr“ begleitet mich also das ganze Jahr im Weinberg.

Es ist so schwül, die Luft steht. Kein Windchen weht, keine Abkühlung ist in Sicht. Zu den heute anstehenden Arbeiten kommt übrigens ein weiteres Mal das „Stämmleputzen“. Das haben wir zwar beim letzten Einsatz schon gemacht, aber der Natur ist das egal und sobald sich an den Stämmen der Weinstöcke kleine Triebe bilden, müssen die weg. So weit, so gut – die Theorie habe ich wie immer verstanden. Aber dann stehe ich vor der grünen Wand und eigentlich sieht für mich alles so, wie es ist, schon ziemlich gut aus. Ich kann nicht erkennen, ob das, was ich sehe, jetzt zu viele Blüten an einer Stelle sind, ich rate, welcher Trieb ein Geiztrieb ist und fühle mich tatsächlich – abgesehen vom Stämmleputzen – nur in einer Sache sicher: beim Heften. Da kann ich, zumindest bei meinen Weinstöcken, auch nicht viel kaputt machen. Meine Sorten Regent und Schwarzriesling sind zum Glück nicht ganz so empfindlich, ihre Ruten brechen nicht so schnell ab. Manche sind schon so groß, dass ich mich mit meinen 1,67 Metern Körpergröße ziemlich strecken muss, um sie ganz am oberen Ende zu erreichen, leicht zu biegen und zwischen die gespannten Drähte zu dirigieren.

Nach drei Stunden sind die Weinstöcke alle bearbeitet

175 Weinstöcke – das heißt: 175-mal bücken, 175-mal Stamm putzen, 175-mal aufrichten, 175-mal Ruten sortieren und ausdünnen, 175-mal den Körper nach oben strecken und 175-mal die Triebe zwischen den Drähten befestigen. Natürlich: Meine 175 Weinstöcke sind quasi „nichts“ im Vergleich zur Anzahl der Stöcke der meistens Wengerter. Doch gerade weil ich die Arbeit nicht von klein auf kenne und sie nicht gewohnt bin, ist es anstrengend für mich. „Da braucht man auch nicht mehr ins Fitnessstudio“, sagt Ferber. Wie wahr!

„Kann die weg?“, frage ich immer wieder und zeige auf einzelne Ruten, von denen ich denke, dass man sie entfernen könnte – sicher bin ich mir nie. Ferber lacht wieder: „Jetzt hast du mich zehnmal gefragt und zehnmal hast du richtig gelegen, du erkennst das mittlerweile schon echt gut.“ Mehr Selbstvertrauen also – okay, ich versuche es und entferne die nächste Rute, ohne zu fragen. Ferber lächelt und nickt! Ha!

Nach gut drei Stunden sind wir fertig, hinter uns eine Spur von Blättern, Blüten und Ruten auf dem Boden. Ich trinke meine komplette Wasserflasche quasi in einem Zug leer. Mein bislang anstrengendster Tag im Weinberg liegt hinter mir. Doch die wärmsten Tage kommen ja erst noch – und bei der Lese im Herbst werde ich sicher auch ins Schwitzen kommen.

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Erstellt:
19. Juni 2019, 16:00 Uhr

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