Murrbahnausbau wäre wirtschaftlich
Seit Jahrzehnten kämpfen Städte und Gemeinden im Murrtal für einen zweigleisigen Ausbau der Bahnstrecke zwischen Backnang und Schwäbisch Hall-Hessental. Neue Hoffnungen weckt nun ein Gutachten, das die Wirtschaftlichkeit der Investition belegen soll.
Von Kornelius Fritz
Backnang/Murrhardt. Wer vor 85 Jahren mit dem Zug von Stuttgart nach Nürnberg fahren wollte, der brauchte dafür zwei Stunden. Heute ist man auf derselben Strecke 20 Minuten länger unterwegs. Mit diesem Beispiel macht der Verkehrsclub Deutschland (VCD) deutlich, was sich auf der Murrbahn bisher getan hat, nämlich nicht viel. Obwohl ein Ausbau seit Jahrzehnten gefordert wird und das Projekt auch bereits seit 1985 im „vordringlichen Bedarf“ des Bundesverkehrswegeplans aufgelistet wird, ist der Streckenabschnitt zwischen Backnang und Schwäbisch Hall-Hessental bis heute eingleisig. Das begrenzt die Kapazitäten und führt regelmäßig zu Verspätungen, weil Züge aufeinander warten müssen. Die Hoffnung, dass sich daran in absehbarer Zeit etwas ändern wird, hat erst kürzlich einen weiteren Dämpfer erhalten. Ein Gutachten des Bundesverkehrsministeriums zum geplanten Deutschlandtakt sieht keine größeren Investitionen auf der Murrbahnstrecke vor (wir berichteten).
Doch die betroffenen Landkreise und Kommunen wollen sich damit nicht abfinden. Die von ihnen gegründete Interessengemeinschaft (IG) Schienenkorridor Stuttgart–Nürnberg hat deshalb zusammen mit dem Verkehrsministerium des Landes bereits im vergangenen Jahr ein eigenes Gutachten in Auftrag gegeben. Experten des international tätigen Ingenieurbüros Ramboll sollten dabei untersuchen, wie die Fahrzeit auf der Murrbahnstrecke spürbar verkürzt werden kann und in welcher Relation dabei Kosten und Nutzen stehen.
Das Ergebnis dieser Untersuchung liegt nun vor und sorgt bei den Auftraggebern für neuen Optimismus. Denn die Gutachter kommen zu dem Schluss, dass ein Ausbau der Murrbahn wirtschaftlich wäre. Für das sogenannte Nutzen-Kosten-Verhältnis haben sie einen Wert von 1,2 errechnet. Ein Wert größer 1 ist Voraussetzungen, damit der Bund Infrastrukturprojekte fördert.
Für ihre Studie hatten die Verkehrsexperten neun verschiedene Ausbauvarianten geprüft. Die interessanteste wurde schließlich im Detail untersucht. Sie sieht unter anderem einen zweigleisigen Ausbau der Streckenabschnitte zwischen Backnang und Oppenweiler sowie zwischen Sulzbach an der Murr und Gaildorf-West vor. Darüber hinaus sind bauliche Veränderungen an mehreren Bahnhöfen, unter anderem in Backnang, vorgesehen, die eine schnellere Ein- und Ausfahrt der Züge ermöglichen. Zwischen Waiblingen und Backnang sollen außerdem sogenannte „Überholungsinseln“ eingerichtet werden, an denen schnellere Züge langsame passieren können. Eine digitale Leit- und Sicherungstechnik soll die Kapazitäten zusätzlich erhöhen.
Die Gesamtkosten für diese Maßnahmen beziffern die Gutachter auf 313 Millionen Euro, die jährlichen Betriebskosten würden um 32 Millionen steigen. Allerdings rechnen die Experten durch das verbesserte Angebot auch mit einer deutlich steigenden Nachfrage. Laut Gutachten sei mit 1,3 Millionen zusätzlichen Fahrgästen pro Jahr zu rechnen. Dadurch könnten 115 Millionen Pkw-Kilometer vermieden werden.
Für den Sprecher der IG Schienenkorridor, den Schwäbisch Haller Landrat Gerhard Bauer, ist der Fall damit klar: „Die herausgearbeiteten Maßnahmen müssen so schnell wie möglich umgesetzt werden, damit die Bürgerinnen und Bürger ein besseres Angebot in der Region wahrnehmen können.“ Der Ausbau der Murrbahn sei auch „ein wichtiger Baustein der Verkehrswende“.
Auch im Waiblinger Landratsamt weckt das Gutachten neue Hoffnungen: „Die Ergebnisse sind vielversprechend. Das Gutachten zeigt wie erhofft, dass wesentliche Verbesserungen im Fernverkehr zwischen Stuttgart und Nürnberg möglich sind“, heißt es in einer schriftlichen Stellungnahme. Im nächsten Schritt gehe es nun darum, die konkrete Umsetzung und vor allem auch die Finanzierung zu klären. „Dazu führt die Interessengemeinschaft Gespräche mit dem Bund, der Deutschen Bahn und dem Land.“
Der bevorstehende Regierungswechsel in Berlin könnte dem Projekt zusätzlichen Rückenwind geben. Die örtlichen Abgeordneten der Ampelparteien sind jedenfalls allesamt Verfechter eines Murrbahnausbaus: „Das Gutachten des Verkehrsministeriums zeigt klar, dass das Angebot bezüglich des Kosten-Nutzen-Verhältnisses lohnenswert ist. Von diesem Projekt profitieren ganz viele Menschen in unserer Region“, erklärt die neu gewählte Bundestagsabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen, Ricarda Lang. Ihre Partei werde bei einer Regierungsbeteiligung viel Wert auf den Ausbau des Schienenverkehrs legen, „und da gehört der zweigleisige Ausbau und die Beschleunigung der Murrbahn dazu.“
Auch die Landtagsabgeordneten Ralf Nentwich (Grüne) und Gernot Gruber (SPD) hoffen, dass bald etwas passiert: „Dem Gutachten müssen jetzt Taten folgen und es darf zu keinen Verzögerungen mehr kommen“, erklärt Nentwich. Der jetzige Zustand auf der Murrbahn sei „nicht tragbar“.
Gernot Gruber kämpft schon seit vielen Jahren für Investitionen in die Murrbahn. Sollte die große Lösung noch auf sich warten lassen, ließen sich aus einer Sicht aber auch schon durch kleinere Maßnahmen deutliche Verbesserungen erzielen: Ein Ausbau des Bahnhofs Fichtenberg und eine sogenannte Doppelspurinsel würden bereits genügen, um auf der Murrlinie im Halbstundentakt pünktlich zu fahren, so Gruber. „Diese Maßnahmen könnten zeitnah umgesetzt werden, sollten finanzierbar sein und stünden einem möglichen zweigleisigen Ausbau nicht im Wege.“
Rangliste Bei allen Problemen und aller Kritik gab es zuletzt auch positive Nachrichten von der Murrbahn. In einem neuen Qualitätsranking des Landes landete die vom privaten Betreiber Go-Ahead betriebene Zugverbindung von Stuttgart nach Nürnberg in den Top 10. Mit 79,9 von 100 möglichen Punkten belegte die Murrbahn Rang 8 unter insgesamt 29 bewerteten Bahnstrecken im Land.
Kriterien Bewertet wurden die Kriterien Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit, Zugkapazität, Sauberkeit und Gesamtzufriedenheit. Neben objektiven Messdaten wie Verspätungen und Zugausfällen spielte dabei auch das Urteil der Fahrgäste mit rein. Bei einer Befragung gaben sie der Zugverbindung auf der Murrbahn die Durchschnittsnote 2,04. Das komplette Ranking ist abrufbar unter:
www.bwegt.de/qualitaet
Bewertung Der Landtagsabgeordnete Ralf Nentwich (Grüne) bezeichnet die Murrbahn als „eine der Musterschülerinnen“. Die Qualität des Bahnverkehrs sei unter der aktuellen Landesregierung deutlich gesteigert worden. Weniger euphorisch äußert sich der FDP-Abgeordnete Jochen Haußmann. 79,9 von 100 Punkten seien kein „sehr gut“. Bei der Qualität gebe es „noch deutlich Luft nach oben“.