Murrhardt war wichtige Station für Philosoph Friedrich Wilhelm Joseph Schelling

Martin Pfender beschäftigt sich schon lange und immer wieder mit Friedrich Wilhelm Josef Schelling. Auch weil der Philosoph in Murrhardt seine Caroline geheiratet hat, aber vor allem, da sich in seinem Leben soziale und zeitgeschichtliche Umbrüche widerspiegeln.

Martin Pfender an der Wandtafel in der Stadtkirche Murrhardt, wo sich der Hinweis auf Joseph Friedrich Schelling, Schellings Vater, findet. Nach seinem Wirken als Dekan in Schorndorf kam er 1801 als letzter Prälat in die Walterichstadt und wirkte dort bis 1807. Foto: Stefan Bossow

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Martin Pfender an der Wandtafel in der Stadtkirche Murrhardt, wo sich der Hinweis auf Joseph Friedrich Schelling, Schellings Vater, findet. Nach seinem Wirken als Dekan in Schorndorf kam er 1801 als letzter Prälat in die Walterichstadt und wirkte dort bis 1807. Foto: Stefan Bossow

Von Christine Schick

Murrhardt. Gemessen an den vielen Lebensstationen hat der Philosoph Friedrich Wilhelm Joseph Schelling (1775 bis 1854) Murrhardt nur kurz, quasi mit einem Wimpernschlag, gestreift. Dennoch war die Walterichstadt für ihn 1803 eine bedeutungsvolle Station und der Anlass, sie zu besuchen, ein gewichtiger – die Hochzeit mit Caroline Schlegel. Dass sich die beiden in Murrhardt das Jawort gaben, jährt sich 2023 zum 220. Mal. Die Beziehung war zu diesem Zeitpunkt schon den Härten des Lebens ausgesetzt gewesen, wie man vielleicht heute sagen würde. Caroline Schlegel hatte ihre Tochter Auguste verloren, Schellings medizinische Interventionen fruchteten nichts und das Kind starb. Neben den persönlichen Krisen und Schicksalsschlägen mussten die beiden mit einer schwierigen Umbruchzeit zurechtkommen. „Auch damals gab es, grob gesprochen, eine Art Zeitenwende“, sagt Martin Pfender, der sich immer wieder mit Schelling befasst hat. In seiner Zeit als Erster Beigeordneter hat er auch schon einen Schelling-Experten für Vorträge nach Murrhardt geholt.

Konkurrierende Weltbilder und Krisen

Eine noch von Königreich, Kirche und Religion geprägte Zeit war zunehmend den Einflüssen der Französischen Revolution und Aufklärung ausgesetzt – auch in Deutschland. „Das alte Weltbild war am Untergehen, das neue aber noch nicht wirklich da“, sagt Pfender. Diese Umbruchzeit machte vielen Menschen Angst. Die Zuwendung zu mystischen und romantischen Strömungen ordnet Martin Pfender auch in diesem Sinne ein: „Das sind Ausweichmechanismen.“

An der Stelle des Kreuzes stand früher der Altar, an dem Joseph Friedrich Schelling Caroline und seinen Sohn traute. Fotos: Stefan Bossow

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An der Stelle des Kreuzes stand früher der Altar, an dem Joseph Friedrich Schelling Caroline und seinen Sohn traute. Fotos: Stefan Bossow

Apropos: Wenn man fragt, was die Beschäftigung mit dem Philosophen für die Menschen heute noch bereithält, drängt sich für den Murrhardter die Parallele eines generellen Umbruchs auf. Wenn auch inhaltlich anders, stehen die Menschen vor einem ganzen Komplex an Herausforderungen. Pfender macht dafür die Kategorien Klimakrise, Migration, Globalisierung, Digitalisierung und künstliche Intelligenz auf.

Vergleichbar sind mit Blick auf den Philosophen vielleicht die generelle Suchbewegung und der Orientierungswunsch. Pfender ist aber auch skeptisch, was die Lösungen angelangt, zu denen Schelling kommt, insbesondere im höheren Alter. Insofern ist immer die Frage, wie viel Lebenskraft einem für Wandel und Offenheit bleibt.

Erste Stationen des Ausnahmetalents

Kindheit, Jugend und junges Erwachsenenalter sind für Pfender aber genau in diesem Sinne geprägt. Für entscheidend und einflussreich hält er die frühen Jahre in Tübingen, wo der Vater am Stift als Dozent tätig war. „Er ist in Bebenhausen aufgewachsen, dort viel durch Wiesen und Wälder gestreift“, erzählt der Murrhardter und zitiert Schelling, der Gott für genau diese Naturerlebnisse später gedankt habe. Der junge Schelling war aus heutiger Sicht hochbegabt. Im Tübinger Stift erfolgte der Start seines Studiums mit 15 Jahren erst über eine Ausnahmegenehmigung; zunächst wurde er abgelehnt.

Das wiederum bescherte ihm einen jungen Betreuer, Friedrich Hölderlin, damals selbst noch Schüler, zu dem sich im Studium neben Georg Wilhelm Friedrich Hegel eine enge Freundschaft entwickelte. Alle drei studierten Theologie, standen ihr und dem späteren Pfarrdienst aber auch kritisch gegenüber. Die politischen und sozialen Entwicklungen, die ihren Ausgang in der Französischen Revolution nahmen, stellten den Gegenpart da.

Während Hölderlin und Hegel von der Universität abgingen, um dem Pfarrdienst zu entgehen, fiel Schelling schon in der Studienzeit so negativ auf, dass ihn „die Kirche gar nicht wollte“. Die Bewerbung für einen Lehrstuhl für Philosophie in Tübingen scheiterte und der junge Mann arbeitete wie die Freunde als privater Hauslehrer, was ihn nach Leipzig brachte. Dort nutzte er die Möglichkeit, an der Universität in die Welt der Naturwissenschaften – die Fächer Mathematik, Physik, Chemie, Biologie und Medizin – einzutauchen. Damit knüpfte er für Pfender einerseits an seine frühen Tübinger Naturerlebnisse an, andererseits kristallisierte sich nach und nach auch der Versuch heraus, sein Denken mit romantischen Strömungen und einem Weltbild zu vereinen, das den Dualismus beziehungsweise die Gespaltenheit von Natur und Geist aufheben wollte. In den Diskussionen der Zeit spiegelten sich diese Gegensätze wider – einer nüchternen, kalten Naturwissenschaft und dem Wunsch nach mehr Emotion und Naturbezug, der beispielsweise in der Kunst, etwa den Bildern von Caspar David Friedrich, zum Ausdruck kommt.

Schwere persönliche Schicksalsschläge

Die persönlich-privaten Herausforderungen waren ebenfalls alles andere als klein. Schelling lernte in Jena den Romantiker August Wilhelm Schlegel und seine Frau Caroline kennen. Sie war aufgrund ihrer für damalige Verhältnisse außergewöhnlich hohen Bildung äußert beliebt bis gefürchtet. Zwischen den beiden entwickelte sich eine Liebesbeziehung, wozu man wissen sollte, dass ihre damals zweite Ehe mit Schlegel eine Art Zweckbündnis und Rettungsangebot aus Zuneigung war, um der damals unehelich Schwangeren zu helfen. „Ihre Tochter Auguste wird als unheimlich charmant beschrieben“, erzählt Martin Pfender. Dass Schelling, der sich intensiv mit Medizin – und einer spezifischen Strömung im romantischen Kontext – befasste, ihr nicht helfen konnte und das Kind wohl an der Ruhr starb, „war für ihn eine Katastrophe“. Trotzdem heirateten die beiden, doch eine längere gemeinsame Zeit war ihnen nicht vergönnt. Schelling, der in der akademischen Welt zunehmend Fuß fasste, war 1809 mit der zweiten Katastrophe konfrontiert – dem Tod von Caroline, vermutlich an Cholera. Der Philosoph ging seinen Weg weiter, es folgten eine zweite Ehe mit fünf Kindern und viele verschiedene akademische Stationen. Martin Pfender hat großen Respekt vor seinem Lebensweg und seiner Lebensleistung, auch wenn er feststellt, dass Schelling in Bezug auf seine Philosophie in späteren Jahren nur mehr religiöse Antworten findet, was ihm auf der Ebene der inhaltlichen Auseinandersetzungen und Diskussionen der Zeit zu wenig ist.

Mit 15 Jahren schon Student

Anfänge Friedrich Wilhelm Josef Schelling wird am 27. Januar 1775 in Leonberg geboren. Seine Kindheit und Jugend verbringt er mit Unterbrechungen in Bebenhausen bei Tübingen. Dort tritt er 1790 mit 15 Jahren ins Tübinger Stift ein, studiert Theologie und Philosophie. Später unterrichtet er als Hauslehrer in Leipzig, nach naturwissenschaftlichen Studien und Begegnungen unter anderem mit Caroline Schlegel, Novalis und Fichte wird er 1798 als außerordentlicher Professor nach Jena berufen.

Ehen Schelling heiratet Caroline Schlegel 1803 in Murrhardt. 1809 stirbt seine Frau in Maulbronn. Es folgen 1812 die zweite Ehe mit Pauline Gotter mit fünf Kindern sowie weitere akademische Stationen. Schelling stirbt am 20. August 1854 in Bad Ragaz.

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Erstellt:
21. Dezember 2023, 11:00 Uhr

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