Murrhardter Pflegeheim setzt auf ausländisches Personal
Der Fachkräftemangel belastet die Pflegeheime. Das Haus Hohenstein in Murrhardt setzt mit Blick auf die schwierige Lage auch auf Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die aus Nicht-EU-Ländern kommen und (nach-)qualifiziert werden. Zwei Pflegefachkräfte aus der Türkei berichten von ihrem Weg.
Von Christine Schick
Murrhardt. Die angespannte Personalsituation ist in vielen Sparten und Berufen zu spüren. Besonders schwierig wird es, wenn Menschen versorgt und gepflegt werden müssen, das heißt, wenn ein Auftrag nicht auch noch später erledigt werden kann. In Pflegeheimen greifen Leitungsverantwortliche teils auf Zeitarbeitsfirmen zurück, um die Lage bewältigen zu können. „Das versuchen wir zu vermeiden“, sagt Jörg Kronmüller, Leiter des Hauses Hohenstein. Zum einen sind solche Arbeitsverhältnisse aus seiner Sicht nicht ideal, da die Fachkräfte schnell wieder gehen und sich insofern nicht so einbringen (können) wie ein fest angestelltes Teammitglied. Zum anderen schade dies auch der Branche insgesamt, weil die guten Fachkräfte abgezogen würden, die von Leasingfirmen besser bezahlt werden könnten.
Das Haus Hohenstein gehört als Pflegeheimbetreiber zur Doreafamilie mit zahlreichen Einrichtungen in ganz Deutschland. In Murrhardt und Umgebung sind dies neben dem Haus Hohenstein das Eulenhöfle, ebenfalls in Murrhardt, und das Haus Lautertal in Sulzbach an der Murr. Insofern besteht für Jörg Kronmüller auch die Möglichkeit, bei akuten Engpässen, innerhalb der Doreagruppe sogenannte SOS-Einsätze auszuschreiben. Wer aushilft, erhält einen finanziellen Bonus.
Schon länger setzt der Einrichtungsleiter aber auch auf die Akquise von Fachkräften aus dem Ausland. Dass dies eine intensive Anstrengung auf beiden Seiten bedeutet, aber auch fruchtbar und erfolgreich sein kann, zeigen die beiden folgenden Beispiele – die Wege zweier Pflegefachkräfte, die sich entschlossen haben, von der Türkei nach Murrhardt zukommen. Mittlerweile sind die Familienmutter und der junge Mann so in ihrem neuen alten Beruf angekommen, dass sie sogar bereits eine Weiterbildung in Angriff genommen haben.
OP-Alltag im Uniklinikum in Antalya
Aber von Anfang an. Aytaç Balcioglu ist auch Geologin, ihrem Beruf als Krankenschwester aber immer treu geblieben. In Antalya hat sie 20 Jahre im Universitätsklinikum gearbeitet; nach ihrer Ausbildung fand ihr beruflicher Alltag im Operationssaal statt. Es war ihre Freundin, die sie auf die Idee brachte, über eine Arbeit in Deutschland nachzudenken, erzählt sie. „Sie ist Deutsche und Deutschlehrerin.“ Als Aytaç Balcioglu ihre Deutschprüfung als Fortgeschrittene ablegte, gab es private Gründe, weshalb das Thema zunächst wieder in den Hintergrund rückte.
Vor rund drei Jahren meldete sich dann ein Recruiter, also ein Spezialist für die Personalsuche, mit dem das Haus Hohenstein bereits seit Längerem zusammenarbeitet, bei ihr. Ihre Freundin half ihr bei der Antragsstellung. Obwohl ihr der Schritt, sich zunächst von ihrer Familie und ihren beiden Kindern zu trennen, schwerfiel, wagte sie ihn im Dezember 2020 – in einer Zeit, zu der Corona so gut wie alles dominierte. Nun wechselten sich das Arbeiten in dem Murrhardter Pflegeheim und das Lernen ab. Es hieß, sich weitere Sprachkenntnisse und fachliches Wissen anzueignen, um erneut eine Prüfung abzulegen. Grundlage dafür ist ein sogenannter Defizitbescheid, der die Differenzen im Vergleich zur Ausbildung nach deutschen Standards feststellt. 2022 war es so weit und Aytaç Balcioglu hielt ihre Urkunde als Gesundheits- und Krankenpflegerin in Händen. Was waren die größten Herausforderungen für sie? Eine Sprache zu lernen ist das eine, aber die Umgangssprache zu verstehen noch mal eine weitere Hürde, erzählt die 41-Jährige. „Ich habe gute Kollegen, die mir sehr geholfen haben, beispielsweise auch, mich bei Fehlern zu korrigieren.“
Auch der Berufsalltag sieht anders aus. Während im Operationssaal schnelles Handeln und absolute Flexibilität im Vordergrund stehen, ginge es hier beispielsweise darum, ruhig mit den Menschen zu sprechen. „Das ist aber auch gut, im OP hatte ich ja überhaupt keinen Kontakt mit den Patienten“, sagt sie. Und dass dieser Austausch mit älteren Menschen wertvoll sei und es darum gehe, eine gute Beziehung aufzubauen. Dies half ihr auch in der Zeit der Pandemie. „Ich hab’ geweint, weil ich von meiner Familie getrennt war. Die Bewohner konnten das verstehen, ihre Situation war teils ganz ähnlich.“ Mittlerweile sind ihr Mann und die beiden Söhne – „mein Älterer ist im Gymnasium und der Kleine in der zweiten Klasse“ – in Murrhardt und Aytaç Balcioglu macht bereits eine Weiterbildung, um später eine Abteilung leiten zu können. „Das heißt, sie stellt beispielsweise die Dienstpläne auf und organisiert den Stationsablauf“, erklärt Jörg Kronmüller. Wenn alles glattgeht, hat sie im September ihr Zertifikat in der Tasche.
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Alp Erman Oruc wird voraussichtlich noch im April mit seiner Zusatzqualifikation zur Praxisanleitung fertig. Dann kann er neue Kolleginnen und Kollegen einarbeiten und Auszubildende anleiten und begleiten. „Ich muss noch eine Abschlussarbeit über Parkinson schreiben“, sagt der 27-Jährige, der aus Adana im Süden der Türkei kommt. Für ihn war früh klar, dass er eine Ausbildung in der Krankenpflege machen will. Bereits sein Großvater, seine Großmutter und Tante waren beruflich dort beheimatet. Auch er war als Gesundheits- und Krankenpfleger an der Uniklinik – auf der Intensivstation – tätig. Seinen Wunsch, in Deutschland zu arbeiten, ging er zielstrebig mit Sprachkursen an, auch wenn die Prüfungen wegen Corona zunächst ausgesetzt wurden.
Bewerbungsgespräch findet online statt
Im Mai 2021 hatte er die Unterlagen zusammen. „Ich hab’ mit Herrn Kronmüller ein Online-Bewerbungsgespräch geführt“, erzählt er. Nach seiner Ankunft drei Monate später in Murrhardt durchlief er wie seine Kollegin die (Nach-)Qualifikation in Sprache und Fachwissen. „Ich fand es gut, dass ich noch mal zur Schule gegangen bin.“ Auch für ihn war die Sprache der Knackpunkt. „Jeder will verstehen und verstanden werden.“ Hinzu komme das Hineinfinden in den Dialekt, sagt er und ergänzt schmunzelnd: „Sodele, jetzedle und tschüssle.“ Einige Aspekte wie das Mobilisieren, also Umbetten von Menschen, die lange liegen, tauchen nun auch wieder in seinem Arbeitsalltag im Haus Hohenstein auf. „Und jeder möchte natürlich auch Aufmerksamkeit“, sagt er, das Problem sei nur, dass dazu nicht immer Zeit sei.
Jörg Kronmüller hat es nicht bereut, die beiden (wir hätten sie übrigens gern im Bild gezeigt, aber sie hatten Bedenken, visuell so präsent zu sein) ins Team geholt zu haben, selbst angesichts so mancher bürokratischer Hürde. Natürlich sei dies im Vergleich zu einem Recruiting aus EU-Ländern ein größerer Aufwand, auch finanziell mit Blick auf die Sprach- und Fachkurse sowie Vermittlungsgebühren. Langfristig zahle sich das aber insofern aus, als gezielt qualifiziert werde. Für sieben vietnamesische Kräfte – vier Frauen und drei Männer – geschieht dies von der Pike auf. Sie absolvieren ihre Ausbildung in der Pflege im Haus Hohenstein. „Die ersten drei werden jetzt bald fertig“, so Kronmüller.
Beschäftigte Im Haus Hohenstein kommen viele der Beschäftigten aus anderen Ländern, beispielsweise Rumänien, dem Kosovo, der Ukraine, Russland, Vietnam oder der Türkei. Nach einer groben Schätzung des Einrichtungsleiters Jörg Kronmüller umfasst ihr Anteil rund 60 Prozent. Zurzeit sind dort 86 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Pflege beschäftigt. Diese verteilen sich auf die 35 Vollzeitstellen im Haus.
Essenslogistik Das Haus Hohenstein hat die Zubereitung des Essens für das Haus Lautertal (Sulzbach an der Murr) übernommen, versorgt schon länger das Eulenhöfle (Murrhardt) sowie einen Kindergarten, ebenfalls in Sulzbach, mit.
Sanierung Mittlerweile sind die Sanierungen der Gebäude des Pflegeheims, das ursprünglich von der Christengemeinschaft Murrhardt aufgebaut wurde und 2014 in die Insolvenz rutschte, abgeschlossen. Die Immobilien sind aber nicht im Eigentum der Doreafamilie, sondern werden von ihr angemietet. Das Haus verfügt über 98 Pflegeplätze (Einzelzimmer), von denen aktuell 96 Plätze belegt sind. Zudem gibt es 14 Wohnungen (betreutes Wohnen), von denen zwei zurzeit frei sind.