Erster Landespreis verliehen

Muttersprache Schwäbisch – Kretschmann kämpft für Dialekte

Große Wertschätzung für die Mundarten im Land: Zum ersten Mal hat die Landesregierung den Landespreis für Dialekte verliehen. Die Preisverleihung nahm Ministerpräsident Winfried Kretschmann persönlich vor.

Premiere im vollbesetzten Weißen Saal des Neuen Schlosses: Zur Verleihung des vom Dachverband der Dialekte Baden-Württemberg initiierten Landespreises  kamen am Montagabend Dialektfans aus dem ganzen Land.

© Lichtgut/Leif Piechowski

Premiere im vollbesetzten Weißen Saal des Neuen Schlosses: Zur Verleihung des vom Dachverband der Dialekte Baden-Württemberg initiierten Landespreises kamen am Montagabend Dialektfans aus dem ganzen Land.

Von Tom Hörner

Nein, von babylonischer Sprachenverwirrung kann keine Rede sein. Auch wenn bei der ersten Verleihung des Landespreises für Dialekte im vollbesetzen Weißen Saal des Neuen Schlosses nicht nur Schwäbisch zu hören war. Auch alemannische und kurpfälzische Laute waren selbstredend zu vernehmen, mit all ihren Spielarten.

Und wenn sich Moderator Jan Sellner, Redakteur dieser Zeitung und Erfinder der Kolumne „Auf gut Schwäbisch“, „obacha freit“ über die Wertschätzung des Landes für den Dialekt, die durch diese Preisverleihung zum Ausdruck komme, dann wird das auch von Vertreterinnen und Vertretern anderer Mundarten verstanden und goutiert.

330 eingesandte Beiträge aus allen Landesteilen galt es für die Jury in einem „überschaubaren Zeitfenster“ zu sichten und zu bewerten, wie Martin Kistler, Vorsitzender des jungen Dachverbands der Dialekte Baden-Württemberg betonte. Von dem Verband stammt die Idee zu dem gemeinsam mit dem Kunst- und Wissenschaftsministerium ausgeschriebenen Preis.

Kistler, Landrat von Waldshut, beantwortete seine Frage, ob der Dialekt hierzulande eine Lobby brauche, gleich selbst, indem er auf die selbstbewussten Bayern und das Wiedererstarken der Mundart im Norden verwies. Großen Applaus bekam er für die Feststellung, dass eine Unterstützung so lange nötig sei, wie „in TV-Krimis den Dialektsprechern nur die Rolle des Deppen oder des Mörders zugeschrieben wird“.

Und dann betrat im Festsaal ein Mann das Podium, auf den die 2018 im Land gestartete Dialektinitiative maßgeblich zurückgeht, Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Eine Initiative, muss man der Gerechtigkeit halber sagen, bei der der Grünenpolitiker reichlich Rückhalt von Landtagskolleginnen und -kollegen bekam – fraktionsübergreifend und angeführt von Markus Rösler (Grüne), Jochen Haußmann (FDP), Andreas Kenner (SPD) und Willi Stächele (CDU). Fast die Hälfte der Landtagsabgeordneten, so Moderator Sellner, würden sich heute für Mundarten stark machen.

„Der Dialekt ist die Muttersprache der meisten Menschen.“

„Der Dialekt steht für Vielfalt“, betonte Kretschmann, passt also irgendwie in eine Zeit, in der viele Menschen die Regenbogenfahne hochhalten „aber auch für Bodenständigkeit.“ Und dann hob der Ministerpräsident an, die Mundart vollends aus der Ecke des Kauzigen und Exotischen zu holen: „Der Dialekt ist die Muttersprache der meisten Menschen in der Welt.“

Doch schließlich galt es, die 20 Preisträgerinnen und Preisträger zu würdigen, welche die Jury in sechs Kategorien ausgezeichnet hat. In der Kategorie „Neue Medien“ gab es gleich zwei erste Preise, einen für den Entertainer Lukas „Cossu“ Staier, einen „echten Schwarzwälder“. Den anderen für den MundArtWeg Poppenweiler, der es Spaziergängern ermöglicht, mit dem Smartphone auf die Spur von Land und Leuten zu kommen. Als beste Bühnengruppe wurde das oberschwäbische Kabarett Oiga Art ausgezeichnet. In der Kategorie „Film“ wurde Birgit Kohls „Mord im Heiligenwald“ an erster Stelle gewürdigt – ein in einem schwäbischen Dorf der Fünfzigerjahre angesiedelten, von Laien dargebotener Krimi.

Unter „Junge Generation“ belegte das auf TikTok erfolgreiche Duo timundjani den ersten Rang. Richtig laut wurde es im Weißen Saal, als die Erstplatzierten in der Kategorie „Lied/Musik“ mit ihren Instrumenten die Bühne betraten: Markus Stricker und die Folkrockband Wendrsonn spielten ihren Erfolgstitel „Geile Zeit“. Den wohl ergreifendsten Auftritt des Abends hatte die junge Schriftstellerin Sandya Hasswani. Sie las, in astreinem Alemannisch, „Friide“, eine Prosaerzählung über Freundschaft. Auch wenn einem Schwaben nicht jedes Wort geläufig war, bei derra Gschicht hätt mr Rotz ond Wassr heila kenna.

Und am Ende durfte wieder herzlich gelacht werden, beim Finale mit den jüngsten Dialektfans des Abends, Leonie Huber (10) und Jona Raff (8). Spätestens da hatten die 350 Gäste im Saal das Gefühl, dass der Dialekt auch eine Zukunft hat. Der nächste Landespreis wird 2026 verliehen.

Alle Auszeichnungen

DialektpreisDer mit 60 000 Euro dotierte Landespreis für Dialekte wurde in sechs Kategorien vergeben . Über die 330 Bewerbungen aus allen Landesteilen hat eine 12-köpfige Jury entschieden. Hier das Ergebnis:

Neue MedienIn dieser Kategorie wurde zwei erste Preise vergeben. Der eine geht an den MundArtWeg Poppenweiler, der erste digitale Mundartweg Baden-Württembergs. Auf einem fünf Kilometer langen Spazierweg können sich Passanten dort mittels Smartphone mit den Eigenarten der Region und des Dialekts vertraut machen. Der andere Hauptpreis geht an den Comedian und Instagram-Star Lukas Staier, besser bekannt als Cossu, ein „echter Schwarzwälder“.

BühneDen ersten Preis bekommt die sechsköpfige oberschwäbische Kabarettgruppe Oiga Art mit ihrem Programm „Schaumschlaga“. Den zweiten Preis gewinnt Fabian Maria Bürkin vom Kaiserstuhl mit seinem Programm „Let’s schwätz“. Den dritten Platz teilen sich das Duo Die Kächeles aus Dormettingen und Onne und Ingrid vom Theater „Die Koralle“ in Bruchsal.

LiteraturDer Hauptpreis gebührt der Schriftstellerin Sandhya Hasswani für ihre in alemanischem Dialekt verfasste Prosaerzählung „Friide“. Den zweiten Platz teilen sich die alemannische Lyrikerin Theresa Dold („Drachenwolkenritt“) und die schwäbische Autorin Marlies Grötzinger („Loslau“). Platz drei geht an Berthold Kracke („Schlüsselerlebnis“).

FilmSieger in dieser Kategorie ist der Ostalb-Krimi „Mord im Heiligenwald“ von Regisseurin Birgit Kohl. Platz zwei geht an „Milch ins Feuer“ von Justine Bauer; Platz drei an „Scheene Weihnachda“, ein Schulprojekt aus Bad Wurzach.

Lied/MusikSieger in dieser Kategorie ist Markus Stricker von Wendrsonn mit dem Titel „Geile Zeit“. Die nachfolgenden Plätze belegen Elena Seeger mit „Nachtkrapp“ und Manuel Dörflinger von der Band LUDDI mit „I schwätz Alemannisch“.

Junge GenerationDer erste Preis geht an das Duo timundjani (Tim Greif und Jan Bräuninger), schwäbische Comedians mit annähernd 300 000 TikTok-Followern. Den zweiten Preis bekommt das Schulprojekt „Schlichterbänkle“ der Schlossgartenschule Berghausen. Den dritten Platz teilen sich die jüngsten Teilnehmer des Wettbewerbs: Jona Raff, acht Jahre, für seine Videos vom Bärenhof Filderstadt, und Leonie Huber, zehn Jahre, für ihren in Alemannisch verfassten Text „Großputzede“.

Junge Generation Der mit 60 000 Euro dotierte Landespreis für Dialekte wurde in sechs Kategorien vergeben . Über die 330 Bewerbungen aus allen Landesteilen hat eine 12-köpfige Jury entschieden. Hier das Ergebnis.

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Erstellt:
22. Oktober 2024, 13:39 Uhr

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