Kriminalität in Kapstadt
Nach dem Tod des Gangsterkönigs
Viele der Bars im südafrikanischen Kapstadt bezahlen Schutzgeld. Nun wurde einer der Drahtzieher ermordet. Der deutsche Kneipenbesitzer Randolf Jorberg war ebenfalls lange von ihm terrorisiert worden – und ging damit an die Öffentlichkeit. Dieser Mut hatte einen sehr hohen Preis.
Von Christian Putsch
Neulich stellte die Tochter des Ermordeten die Frage, die Randolf Jorberg immer gefürchtet hatte. Das Mädchen war erst vier Monate alt, als ihr Vater im Jahr 2015 erstochen wurde, die Täter ließen vor ihrer Flucht das Messer in seinem Nacken stecken. Der Kongolese hatte als Türsteher in der Kneipe des deutschen Gastronomen gearbeitet, dem legendären Beerhouse auf der Kapstädter Partymeile Long Street.
„Weißt du, wie mein Vater gestorben ist?“, fragte das Mädchen, inzwischen neun Jahre alt. Jorberg, 43, ist als schillernde Persönlichkeit bekannt, den Vollbart hat er gelb getönt, das Mundwerk stets lose. Doch in dem Moment verschlug es selbst ihm die Sprache: „Ich wusste nicht, was ich ihr antworten sollte“, erzählt er am Telefon.
Jorberg hatte kurz vor dem Mord als erster Kapstädter Unternehmer die weit verbreitete Erpressungspraxis gegenüber der Gastronomie durch Gangs publik gemacht. 1800 Rand, damals umgerechnet 130 Euro, waren für „Sicherheitsdienste“ monatlich verlangt worden. Jorberg lehnte ab, auch noch nach mehreren „Besuchen“ der Verbrecher, und er sprach mit den Medien darüber. Dieser Mut hatte einen hohen Preis: Kurz darauf erfolgte der Mord an seinem Mitarbeiter.
Ein ungemein gefährlicher Mann
Die Ermittler gehen davon aus, dass es eine Warnung an Jorberg war – und ein Signal an andere südafrikanische Barbesitzer, seinem Beispiel nicht zu folgen. Juristisch konnte der Fall nie zweifelsfrei mit der Erpressungsmafia in Verbindung gebracht werden. Drei Tatbeteiligte wurden verurteilt, der Hauptverdächtige wurde nie gefasst.
In den vergangenen Wochen dominierte das Thema der Schutzgeldzahlungen nun die Schlagzeilen in Südafrika wie seit dem Mord an dem Türsteher nicht mehr. Anfang November wurde der selbst ernannte Unternehmer Mark Lifman, 57, auf einem Parkplatz der Kleinstadt George erschossen. Die gewöhnlich gut informierte Nachrichtenseite „News24“ berichtete, dass Lifmans Mafia „in einen erbitterten und oft gewalttätigen Revierkampf“ mit einer Gang um die Kontrolle des Sicherheitssektors und der Unterhaltungsszene in Kapstadt verwickelt war. Am Montag wurden zwei tatverdächtige Männer verhaftet.
Der Getötete gehörte zu denen, die Jorberg im Zusammenhang mit dem Mord an seinem Türsteher und den Erpressungen genannt hatte – allerdings erst, nachdem er im August das Beerhouse wegen der Mafia-Bedrohung mit großem Medien-Echo geschlossen und Südafrika verlassen hatte. „Ich wusste, wie gefährlich dieser Mann ist“, sagt Jorberg. „Deshalb habe ich gewartet, bis ich ausgereist war, bevor ich erstmals seinen Namen erwähnt habe.“
Der Strippenzieher Lifman hätte sich im November als Angeklagter vor einem Kapstädter Gericht wegen des Mordes an einem Dealer illegaler Steroide verantworten müssen. „Ich wollte Lifman im Gefängnis sehen und nicht tot“, sagt Jorberg, „aber das war das Berufsrisiko, das er gewählt hat.“
Für Leute, die das Milieu kennen, kam der Mord nicht überraschend. Seit August hatten die Bandenkriege an Intensität zugenommen, es gab Drogenfunde und Morde unter Beteiligung südamerikanischer Kartelle. Gleichzeitig war Südafrikas Polizei mit neuer Vehemenz gegen das organisierte Verbrechen vorgegangen. Nicht nur die Gastronomie, sondern auch das Baugewerbe waren zunehmend von Schutzgelderpressung betroffen. Selbst eine Blindenschule und Sozialarbeiter berichteten, ermutigt von Jorbergs Offenheit, von Schutzgelderpressungen. Die Behörden beziffern die Höhe der Investitionen, die teils gefährdet, teils zerstört wurden, auf drei Milliarden Euro.
Einem gehört die Straße und der kassiert
Entsprechend gilt die Eintreiberei als „Priortitätsverbrechen“, zumal der Imageschaden für die wichtige Tourismusbranche des Landes ganz enorm ist. Ermittler zeichneten im September vor dem parlamentarischen Polizeiausschuss ein erschreckendes Bild: Zwischen dem 1. April 2019 und dem 31. März 2024 wurden 6056 Erpressungsfälle gemeldet, die zu 2389 Festnahmen führten. Es gab jedoch nur 178 Verurteilungen. Das Parlament erörtert deshalb Gesetzesänderungen, die sowohl Verhaftungen als auch Verurteilungen erleichtern sollen.
Die Praxis der Erpressungen hat derweil weiterhin Bestand, berichtet der Betreiber eines populären Restaurants auf der Long Street. „Wir zahlen zweimal Miete. An den Besitzer des Hauses – und an den Besitzer der Straße.“ So werde es immer sein, und er habe gelernt das zu akzeptieren, sagt der Mann. Schließlich sei das die gängige Praxis in vielen Metropolen weltweit. Sorge würden ihm nach dem Tod von Lifman eher die anstehenden gewaltsamen Verteilungskämpfe rivalisierender Gangs machen. „Es wird einige Zeit dauern, bis es einen neuen König der Straße gibt.“ Und damit so etwas wie Stabilität in diesem System der Ungerechtigkeit.
Darin werden wohl auch Einsätze einer Sondereinheit der Polizei gegen Schutzgelderpresser nichts ändern. Sie nahm zuletzt regelmäßig entsprechende Zellen hoch. Jorberg begrüßt die neue Dringlichkeit des Themas, was wohl auch auf den von ihm ausgelösten öffentlichen Druck zurückzuführen ist. „Ich weiß nicht, wann sie sonst dagegen vorgegangen wären.“
Doch mit ebenso großer Sorge beobachtet er die Härte der Einsätze. „Es gab seit August Dutzende getötete Verdächtige, bei denen es hieß, sie hätten auf die Polizei geschossen“, sagt Jorberg. „Auffällig ist aber, dass es nie verletzte Polizisten zu geben scheint. Da wurde ganz offensichtlich ein klarer Schießbefehl von der Polizeileitung ausgerufen.“ Das empfinde er gleichsam als beängstigend.
Lifman war den Ermittlern mit Ausnahme von Steuervergehen stets entgangen. Einmal war er für wenige Tage in Untersuchungshaft. Doch umgehend beschwerten sich seine Anwälte, dass er wegen Rückenschmerzen angesichts des harten Bettes im Gefängnis doch sofort entlassen werden müsse – mit Erfolg. Wer ihn mit der illegalen Branche in Verbindung brachte, hörte von seinen hoch bezahlten Anwälten, ihre Schreiben wegen angeblicher Rufschädigung gingen an zahlreiche Journalisten, ebenso wie an Jorberg, von dem er rund 50 000 Euro Schadensersatz forderte. „Lifman war bestens verknüpft“, sagt der Deutsche. So mancher renommierte Geschäftsmann habe die krummen Geschäfte erst ermöglicht, so Jorberg. „Die Immobilienmakler etwa, die an seinem Erwerb von 60 Immobilien beteiligt waren.“ Bei Auktionen hätten Lifmas Leute Mitbietenden signalisiert, dass es im Sinne der eigenen Gesundheit besser ist, früh auszusteigen.
Ein Kind zahlt die Zeche
Manchmal überlegt Jorberg, ob er die überschaubare Summe einfach hätte zahlen sollen, wie so viele Unternehmer in Kapstadts Innenstadt, die weiter schweigen. Der Kampf gegen das organisierte Verbrechen hat den einst wohlhabenden Unternehmer finanziell an den Rand des Ruins geführt. Er schlägt sich seit Jahren als digitaler Nomade durch – und drohte die Wahlheimat zu verlieren, wo er seit dem Jahr 2007 gelebt hatte und noch ein Haus besitzt.
„Es war notwendig, das aufzudecken, um auf eine Gesellschaft ohne Erpressung hinarbeiten zu können.“ Einerseits. Doch da ist die Tochter seines ermordeten Mitarbeiters. „Ein kleines Mädchen ist deshalb zur Waisen geworden“, sagt Jorberg. Darum bereut er seine Entscheidung von damals. Wenn er könnte, würde er sie rückgängig machen.