Öffentlicher Verkehr
Nachtzüge haben Potenzial – Bei diesen Punkten muss das Angebot besser werden
Eine neue Studie für das Verkehrsministerium bescheinigt den rollenden Hotels gute Zukunftschancen. Mindestens jeder zehnte Reisende würde auf Flug oder Autofahrt verzichten, wenn das Angebot stimmt.
Von Thomas Wüpper
Mindestens jeder zehnte Reisende würde vom Flugzeug oder Auto auf den umweltfreundlichen Nachtzug umsteigen, sofern Angebot, Komfort und Fahrpreis stimmen. Zu diesem Ergebnis kommt eine 140-seitige Studie für das Bundesverkehrsministerium. Das Potenzial für deutlich mehr Nachtzüge in Europa ist demnach vorhanden, doch das Angebot ist gering, weil bisher nur wenige Bahnunternehmen wieder in das Geschäft sowie neue Züge investieren und es dabei zahlreiche Hindernisse gibt.
Die Studie der Unternehmensberatung Ramboll kommt zum Ergebnis, dass selbst bei optimistischer Erwartung mittelfristig und europaweit nur für rund 20 Millionen Reisende pro Jahr Plätze in Nachtzügen zur Verfügung stehen werden, wenn man die bisherigen Planungen von Unternehmen zugrunde legt. Die Kapazitäten wären also bereits erschöpft, wenn nur ein kleiner Bruchteil der 435 Millionen Passagiere umsteigen würde, die 2022 innereuropäisch geflogen sind.
Reisedauer, Preis und Komfort müssen stimmen
Tatsächlich wären sogar bis zu 30 Prozent der Flugreisenden bereit, auf attraktiven Verbindungen lieber den Nachtzug zu nutzen, mit entsprechenden positiven Effekten für das Klima und die Umweltbelastung, so die Studie. Dafür müssten aber Reisedauer, Komfort, Verlässlichkeit und Preis stimmen. Bei Flugticketkosten von im Schnitt 103 bis 147 Euro selbst bei Billiganbietern im deutschen Luftverkehr seien Nachtzüge „grundsätzlich wettbewerbsfähig“. Das gelte auch für Einzelreisende und bedingt für zwei Personen im Pkw.
Die Studie für Verkehrsminister Volker Wissing wurde von acht Autoren erstellt, darunter der Verkehrswissenschaftler Christian Böttger sowie Ramboll-Bahnexperte Felix Berschin. Nachtzug-Betreiber brauchen demnach bei einer ganzjährigen Auslastung von mindestens 70 Prozent einen Erlös von wenigstens 60 Euro je Sitz und 250 Euro je Einzelkabine, um wirtschaftlich zu sein. Für ein tragfähiges Angebot von und nach oder innerhalb Deutschlands sollte der Zug nicht vor 20 Uhr abfahren und nicht später als 10 Uhr morgens am Ziel ankommen.
Bei diesen Fahrtdauern seien Strecken von 1000 bis 1500 km möglich. Wesentliches Potenzial gebe es auf Routen, wo schnelle Flugverbindungen fehlen oder mehrere Zentren und touristische Regionen mit nächtlichen Zwischenhalten bedient werden können. Das gelte zum Beispiel für Berlin-Prag mit Halt in Dresden und der Sächsischen Schweiz. Untersucht wurden 79 für Nachtzüge geeignete Relationen, um das Verlagerungspotenzial einzuschätzen.
Bisher investieren der Studie zufolge nur wenige Staatsbahnen und einige wenige Nischenanbieter in Nachtzüge. Mit Ausnahme der ÖBB, die einen Teil der eingestellten Schlafwagenflotte der Deutschen Bahn AG übernommen und die Verbindungen in Europa ausgebaut hat, sind alle Aktivitäten nur rein national ausgerichtet. Größter Anbieter ist die FS Trenitalia, die auch große Teile der Zugflotte für den rege genutzten Nachtverkehr zwischen Nord- und Süditalien bis hinunter nach Palermo auf Sizilien erneuern will. Auch die SNCF in Frankreich will in mehr rollende Hotels investieren, ebenso die Vy in Norwegen, die finnische VR sowie Schweden und Großbritannien.
Es fehlt eine klare Struktur des Angebots
Einige Länder unterstützten Nachtzüge durch niedrige Trassenpreise, Übernahme von Energiekosten und direkte Zuschüsse, so die Autoren. Bisher fehle dabei aber eine klare Struktur und es gehe eher um kurzfristige Effekte. Eines der größten Hindernisse für Anbieter seien die hohen, langfristigen Investitionen bei unsicheren Rahmenbedingungen. So sei der Kauf und Betrieb von Schlaf- und Liegewagen teuer und die Zulassung aufwendig, es fehlten kostengünstige und europaweit einsetzbare Großserien, lautet ein Fazit. Dabei gebe es großes Potenzial für doppelstöckige Nachtzüge, doch es mangele an einer klaren Strategie der Unternehmen besonders in Deutschland. Größtes Problem für die Betreiber hierzulande seien die Engpässe und Baustellen im Netz und damit die eingeschränkte Nutzung von Strecken, besonders zwischen Zentren, die auch für Nachtzugverbindungen attraktiv sind.
Deshalb sollte dafür gesorgt werden, so die Experten, dass möglichst viele Ausweichstrecken zur Verfügung stehen. Auch bisher in der Nacht gesperrte Neubaustrecken würden dafür gebraucht. Ebenso sollte das bei den Netznutzungsbedingungen europaweit einmalige Verbot in Deutschland hinterfragt werden, dass Personen- und Güterzüge sich bei höherem Tempo nicht in Tunneln begegnen dürfen, schlagen die Autoren dem Verkehrsminister vor.