Nahles und AKK festigen Machtanspruch

In den Klausuren von CDU und SPD geht es nicht nur um Inhalte, sondern auch um die Stellung ihrer beiden Vorsitzenden

CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer will die Konservativen einbinden. Die Gegner von SPD-Chefin Andrea Nahles können einfach die kommenden Wahlergebnisse abwarten.

BeRLin Geht es um Inhalte? Ja, schon. Aber es geht um mehr. Um Macht natürlich. Und um Personen und Perspektiven. CDU und SPD nehmen sich seit Sonntag jeweils zwei Tage Zeit, um lang anhaltende, oft quälende Dauerdiskussionen zu klären. Die SPD will endlich, endlich Hartz IV und die desaströsen Folgen für die Partei hinter sich lassen. Die CDU will damit Schluss machen, dass in der Partei zwei ganz unterschiedliche Lesarten der Ereignisse des Jahres 2015 existieren, als die Grenzen für die Flüchtlinge nicht geschlossen worden waren.

Das alles ist natürlich auch Sachpolitik. Erst recht bei der SPD, die ein ganzes Paket an neuen sozialpolitischen Forderungen auf den Tisch legt. Aber es geht auch um persönliche Schicksale – allerdings unter sehr unterschiedlichen Voraussetzungen. SPD-Chefin Nahles steht schwer unter Druck. Lamentable Umfragezahlen und schwache Wahlergebnisse markieren ihre Zeit im Parteivorsitz. Im Mai wird nicht nur in Bremen gewählt, sondern es steht auch die Europawahl an. Sie werde nicht mehr zu halten sein, wenn diese Wahlen für die SPD schlecht ausgehen, wird in der Partei gemunkelt. Dieses Wochenende soll ihre Stellung stärken. Das könnte gelingen.

In der SPD wurde die Kritik von Altkanzler Gerhard Schröder und das üble Nach­treten des an den Rand gedrängten Sigmar Gabriel als böse Foulspiele gewertet. Das hat Nahles genutzt. Und dass mit dem verabschiedeten Papier zum „neuen Sozialstaat“ tatsächlich ein Programm vorliegt, das von der gesamten Partei getragen wird, ist zweifellos ihr Verdienst. Sie hat ein Jahr lang in die Partei hineingehorcht, Regionalkonferenzen organisiert, mit ihrem Team über 10 000 Ideen und Vorschläge aus der Partei entgegengenommen. Ein Kontrastprogramm zum seit Schröder in der Partei so etablierten wie gehassten althergebrachten Kommandostil alter Parteiführungen.

Wenn nun mit dem neuen Bürgergeld-Entwurf Hartz IV abgewickelt und mit der Grundrente ein populäres Thema mit der SPD identifiziert wird, ist das auch Nahles’ Verdienst. Sie steht nun gestärkt da. Bis zum Mai wenigstens.

Da kann Annegret Kramp-Karrenbauer (AKK) in längeren Perspektiven denken. Sie hat den Kampf um den CDU-Parteivorsitz gewonnen. Nun muss sie ihre Stellung konsolidieren, denn die Konservativen in der Union haben mehr als einmal klargemacht, dass für sie mit der Wahl der Vorsitzenden die Entscheidung über den kommenden Kanzlerkandidaten noch nicht gefallen ist.

Mit dem zweitägigen Konklave über das Thema Migration löst Kramp-Karrenbauer ein Versprechen ein, dass sie auf dem Parteitag gegeben hatte. Dabei muss gar nichts entschieden werden. Es geht mehr um Symbole als um Inhalte. Erste Botschaft: Die neue Parteichefin nimmt die Sorgen derjenigen in der Partei ernst, die glauben, dass die Flüchtlingspolitik einer Überforderung von Partei und Gesellschaft gleichkomme. Eine Situation wie beim Höhepunkt der Flüchtlingskrise 2015 dürfe sich nicht wiederholen, betonten Kramp-Karrenbauer und Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) zum Auftakt. Während Kramp-Karrenbauer warnte, mit nationalen Maßnahmen die europäische Einheit zu gefährden, forderte Herrmann eine bessere Kontrolle des Zuzugs nach Deutschland. Die zweite Botschaft ist subtiler: Die Klausur bestreitet die Partei ohne Kanzlerin Angela Merkel. Auch der Innenminister des Jahres 2015, Thomas de Maizière, nimmt nicht teil.

Das ist weniger die Demonstration eines neuen Machtanspruchs als ein Emanzipationssignal an die Partei: Die neue Zeit ist angebrochen, in der unbefangener über alles gesprochen werden kann, ohne gleich das Maulkorb-Argument mangelnder Solidarität entgegengehalten zu bekommen.

Zum Scherbengericht wird es ohnehin nicht kommen. Am Sonntag stritten sozusagen stellvertretend zwei Professoren auf dem Podium über die Rechtslage des Jahres 2015. Das kühlt den Streit zu einer juristischen Fachauseinandersetzung herunter. Und am Montag geht es schon um die Zukunft. Braucht Deutschland eine zentrale Einwanderungsbehörde? Das ist eine solche Frage, über die sich die Union verständigen will. Für Kramp-Karrenbauer ist das ungefährlich. Die Union kann ihren innenpolitischen Markenkern schärfen und die Asyl­debatte zukunftsgewandt führen.

Nahles und Kramp-Karrenbauer wollen ihre Parteien wieder erkennbarer machen. Die eigenen Stärken wieder stark machen – das soll der Weg sein. Wenn die Union sich als Hüterin der inneren Sicherheit präsentiert und die SPD wieder als Anwältin für soziale Gerechtigkeit wahrgenommen wird – dann ist für viele Parteimitglieder und Unterstützer die Welt wieder ein bisschen heiler und überschaubarer. Geht der Plan auf? Das hängt auch von der parteiinternen Gegnern ab. Kramp-Karrenbauer gelingt es bislang ausgezeichnet, ihre Kritiker einzubinden. Und Nahles? Ihre Gegner müssen gar nicht aus dem Schatten treten. Sie warten einfach die kommenden Wahlen ab.

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Erstellt:
11. Februar 2019, 03:04 Uhr

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