Neubau oder Container – in Sulzbach ist Wohnraum für Flüchtlinge gefragt
Die Gemeinde Sulzbach an der Murr kommt ihrer Verpflichtung nicht nach, Flüchtlinge aufzunehmen. Rund 20 Wohnungen werden gebraucht. Weil der Landkreis in einer Gemeinschaftsunterkunft bis zu 60 Personen aufnimmt, muss die Gemeinde bis zu 20 Personen weniger aufnehmen.
Von Ute Gruber
Sulzbach an der Murr. Sulzbach hat ein Problem: Es kommt seinen Verpflichtungen zur Unterbringung von Geflüchteten nicht im zugewiesenen Umfang nach. Auf 112 Personen, welche die Gemeinde in Anschlussunterbringung (AU) aufzunehmen hat, hat sich trotz laufender Bemühungen das Defizit inzwischen angehäuft. So lautet der Tenor des strengen Briefes, welcher der Gemeinde unlängst ins Rathaus geflattert ist, von höchster Stelle unterschrieben. Bis Mitte April solle die Gemeinde einen Maßnahmenplan vorlegen, wie sie das Problem bis Ende des Jahres zu beheben gedenkt.
Lange Gesichter in Verwaltung und Gemeinderat: „Das sind ja rund 20 Wohnungen, die wir da brauchen“, rechnet Klaus Wasiliew, „wo sollen wir die hernehmen?!“ Zwar würden der Gemeinde immer wieder Häuser zur Miete zu diesem Zweck angeboten, jedoch nicht in diesem Umfang. Außerdem seien diese Häuser oft in einem schlechten Zustand: Ohne Heizung oder mit Holzöfen, keine Küche, maroder Fußboden. „Die müssen wir dann erst bewohnbar machen, was eigentlich Sache des Eigentümers wäre“, berichtet Hauptamtsleiter Michael Heinrich von dem teuren und nervenaufreibenden Prozedere. Immerhin ist die Warmmiete nach Bezug dann durch eine Pauschale abgedeckt, welche das Land per Einweisungsverfügung gewährt.
Eigentlich habe man bisher in der Gemeinde explizit auf eine dezentrale Unterbringung, auch in den Teilorten, gesetzt, erläutert Bürgermeisterin Veronika Franco Olias: „Das ist für die Integration am besten, die Leute kommen so mit den Einheimischen besser ins Gespräch.“ Aber auf dieser Schiene könne man die geforderte Zahl nicht unterbringen. „Wir müssen uns wohl oder übel in den nächsten Wochen Gedankenzu einem Neubau oder Containern machen: Wo gäbe es da einen geeigneten Platz? Mit Wasser- und Abwasseranschluss? Strom?“ Wobei die Unterkunft ja nur ein Aspekt sei – würden Familien zugewiesen, brauche es ja auch Plätze in Kindergärten und Schulen. Gut, dass wenigstens bald der neue Waldkindergarten mit einer Gruppe in Betrieb gehen kann.
Landratsamt zeigt sich Kommunen gegenüber bisher entgegenkommend
Auch umliegende Gemeinden kämen bei dieser kommunalen Pflichtaufgabe an ihre Grenzen. Das Landratsamt habe sich aber bisher sehr entgegenkommend gezeigt: „Auf unseren Wunsch hin haben sie uns zuletzt bevorzugt erwachsene Einzelpersonen geschickt.“ Zum Beispiel bei der Belegung der Gemeinschaftsunterkunft (GU) für 60 Personen, die der Landkreis am Sulzbacher Eck neben dem Netto-Markt betreibt. Im kommenden Jahr dürfen dann 30 Prozent der dort belegten Plätze von der neuen Zuweisungsquote der Kommune abgezogen werden.
52 Männer aus Syrien und der Türkei sind seit Dezember letzten Jahres in dem ursprünglich als Verwaltungsgebäude der Firma Mulfinger vor einigen Jahren gebauten, aber nie genutzten Betonbau untergebracht Dafür ist es an diesem Nachmittag auffallend still, nicht einmal die obligatorischen Raucher stehen an dem sandgefüllten überdimensionalen Aschenbecher vor dem Haus. „Ramadan“, klärt der Mann mittleren Alters auf, der nach einiger Zeit aus der Haustüre tritt, und erläutert in gutem Englisch: „Bis Sonnenuntergang dürfen wir nicht essen, trinken und auch nicht rauchen“. An die Vorschriften des moslemischen Fastenmonats scheint man sich im Haus jedenfalls zu halten. Maximal zwei Jahre können die Männer laut Vorschrift in der Gemeinschaftsunterkunft bleiben, danach muss eine Anschlussunterbringung gefunden wer-den.
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Die Unterbringung so vieler fremder Männer hatte im Vorfeld unter der Bevölkerung andererseits für Bedenken gesorgt, ein offener Besichtigungstermin des umgebauten Bürogebäudes vor der Belegung hatte immerhin einen Einblick in die spartanischen Wohnverhältnisse gewährt. Auch jetzt lädt der freundliche Mann zum Eintreten ein. „Wir hatten seither mit den Leuten vom Sulzbacher Eck keine Probleme“, versichert auch Hauptamtsleiter Heinrich.
Krux an der ganzen Angelegenheit ist die Unberechenbarkeit der Flüchtlingszahlen. Waren 2015 unter anderem durch den Syrienkonflikt über 100.000 Menschen nach Baden-Württemberg gekommen und neben einem Landeserstaufnahmelager (LEA) auch überall schnell Gemeinschaftsunterkünfte geschaffen worden – im Rems-Murr-Kreis allein an 62 Standorten –, wurden letztere nach dem starken Rückgang der Zahlen in den Folgejahren etwas voreilig wieder abgebaut, auf 13 Standorte im Rems-Murr-Kreis. Vor allem durch den Krieg in der Ukraine waren zu Zugänge aber dann 2022 nochmals um 70 Prozent höher als im Spitzenjahr 2015, die Anzahl der Gemeinschaftsunterkünfte hinkt dem weit hinterher und ein Standort für neues LEA wird bisher vergeblich gesucht. Wobei allerdings anzumerken ist, dass viele geflohene Ukrainer direkt bei Verwandten und Bekannten untergekommen waren und nicht mit Wohnraum versorgt werden mussten.
Diskussionen im Gemeinderat verlaufen munter und sachlich
Aktuell ist die Zahl der Personen in der vorübergehenden Unterbringung im Kreis nach wie vor hoch, auch wenn der Zustrom im Winter regelmäßig abfällt. Die Geflüchteten kommen nach Angaben des Landratsamtes insgesamt aus 39 Nationen, mit Schwerpunkt Türkei 33 Prozent (Kurden), Syrien 21 Prozent und Afghanistan 9 Prozent.
Die Erörterung des Problems wie auch der anderen Tagesordnungspunkte wurde nach der jeweiligen Vorstellung durch die neue Bürgermeisterin in einer munteren und sachlichen Diskussion geführt, wie man sie seither in den Sulzbacher Gemeinderatssitzungen in dieser Ausführlichkeit nicht gewohnt war.