Machtroulette in Nahost

Neue Herren – neue Kämpfe

In der Krisenregion des Nahen Ostens haben sich die Machtverhältnisse im auslaufenden Jahr komplett gewandelt. Doch Frieden ist nicht in Sicht, meint unsere Korrespondentin Susanne Güsten.

Syrer feiern in Damaskus den Sieg über das Assad-Regime.

© imago//Rami Alsayed

Syrer feiern in Damaskus den Sieg über das Assad-Regime.

Von Susanne Güsten

Im Nahen Osten bilden sich nach den Umwälzungen des Jahres 2024 neue Machtverhältnisse heraus. Russland ist erst einmal aus dem Spiel, die USA wollen sich zurückziehen, der Iran ist geschwächt. In das Vakuum drängen andere Mächte, vorneweg die Türkei, Israel und arabische Staaten.

Zu Beginn des Jahres waren lange gewachsene Machtverhältnisse in der Region trotz des Krieges in Gaza noch intakt. Im Großkonflikt zwischen Israel und dem Iran hüteten sich die Kontrahenten vor direkter Konfrontation. Im Libanon hielt die Hisbollah unzählige Raketen bereit, beließ es aber bei Nadelstichen gegen Israel. In Syrien behaupteten Russland, die Türkei und die USA ihre Einflusszonen, doch die Fronten zwischen den syrischen Regierungstruppen und den Rebellen hatten sich nicht mehr bewegt.

Das Mullah-Regime in Teheran muss um seine Existenz bangen

Ende 2024 ist die Region völlig verändert: Israel setzte die Regeln der Auseinandersetzung mit dem Iran außer Kraft und startete Attacken, die die alten Machtverhältnisse einrissen. Die Regierung in Jerusalem nutzte die Überlegenheit ihrer Armee und die Unterstützung des Westens. Als Reaktion auf den Terror des 7. Oktober 2023 griff Israel zunächst die Hamas in Gaza an, dann den Iran-Partner Hisbollah. Heute erscheint die Schaffung eines Palästinenserstaates unwahrscheinlicher denn je; stattdessen reden israelische Politiker über eine Annexion des Westjordanlandes. Mit der Niederlage der Hisbollah brach die iranische Strategie, den Libanon als Vorposten gegen Israel zu nutzen, in sich zusammen. Kurz darauf kappte der Sturz des syrischen Machthabers Assad die Verbindungswege der Iraner zum Mittelmeer. Iran-Gegner in Israel und den USA fordern nun, das theokratische Regime zu stürzen.

Assads Flucht beendete den Anspruch Russlands auf eine Rolle im Nahen Osten. Moskau will auf Libyen als Standort am Mittelmeer ausweichen, aber in Syrien spielt es vorerst nicht mehr mit. Amerika will diese Lücke nicht füllen: Trump will keine neuen Kriege in Nahost anzetteln, sondern die USA aus der Region zurückziehen.

Wenn Trump das umsetzt, werden regionale Akteure im Nahen Osten umso stärker. Syrien wird ein Spielball seiner Nachbarländer bleiben. Israel bombardiert Militäranlagen und weitet seinen Einfluss entlang der Grenze zu Syrien aus. Die Türkei setzt Ankara-treue Milizen gegen die syrischen Kurden in Marsch. Erdogan hat mehr Einfluss auf die neuen Herren in Syrien als alle anderen ausländischen Mächte.

Im neuen Jahr könnten Spannungen zwischen Türken und Arabern aus der Zeit des Arabischen Frühlings wieder aufbrechen. Der Nahe Osten sieht Anfang 2025 ganz anders aus als vor einem Jahr – doch ruhig wird es in der Region nicht werden.

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Erstellt:
22. Dezember 2024, 12:56 Uhr

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