Neue Zeiten in Israel?

Premier Netanjahu könnte die anstehende Wahl verlieren – Herausforderer Gantz liegt in Umfragen gleichauf

Bei den Parlamentswahlen nächsten Dienstag entscheidet sich, ob Israel unter Netanjahu weiter nach rechts driftet. Oder ob ein Ex-Militär das Land auf einen gemäßigteren Kurs steuert.

Tel Aviv Es ist der turbulenteste Wahlkampf, den die Israelis je erlebt haben. Nach zehn Jahren Amtszeit steht die Wiederwahl von Premier Benjamin Netanjahu auf der Kippe. Sein Herausforderer, der ehemalige Generalstabschef Benny Gantz, liegt in den Meinungsumfragen gleichauf. Am 9. April entscheidet sich, ob die israelische Gesellschaft unter Netanjahu weiter nach rechts abdriftet oder mit dem politischen Novizen Gantz eine gemäßigte Richtung einschlägt.

Bislang hielten seine Fans so fest zu Netanjahu wie andere zu ihrem Fußballclub. Diesmal überlegen selbst eingefleischte Anhänger seiner rechtskonservativen Partei Likud, ob sie ihm noch einmal ihre Stimme geben. Dass er kein Saubermann ist, sahen ihm viele nach, solange die gegen ihn laufenden Korruptionsverfahren sich auf Gaunereien wie die Annahme teurer Geschenke bezogen. Doch im Wahlkampf kamen neue Vorwürfe ans Licht, die Israels Sicherheitspolitik berühren. So musste Netanjahu einräumen, dem deutschen Kanzleramt grünes Licht für den Verkauf hochtechnologisch ausgerüsteter U-Boote an Ägypten erteilt zu haben, ohne den Generalstab und die Geheimdienste zu informieren. Ein eigenmächtiges Vorgehen, das im israelischen Sicherheitsapparat für helle Empörung sorgte. Dubios ist auch ein Aktiengeschäft, bei dem Netanjahu 2010 offenbar vier Millionen US-Dollar mit Anteilen an einer Partnerfirma von ThyssenKrupp machte – dem Lieferanten von U-Booten der Dolphin-Klasse an Israel.

Den Verdacht, dass Netanjahu aus Eigeninteresse auf dem Ankauf weiterer U-Boote bestand, die die Armee gar nicht wollte, tat er zwar als Schmutzkampagne politischer Gegner ab. Kein Zufall sei, dass das Wahlbündnis Blau-Weiß die Sache hochkoche, da ihr eigener Spitzenkandidat Benny Gantz kritischen Nachfragen wegen seines angeblich vom Iran gehackten Handys ausgesetzt sei. Die im Umfeld des Ministerpräsidenten gestreuten Gerüchte, Gantz sei nun erpressbar und ein „Staatsrisiko“, zogen aber nur bedingt. Gantz hielt dagegen, auf dem Handy seien weder sicherheitsrelevante Daten noch Sexvideos, wie unterstellt, gewesen. Die meisten Israelis nahmen ihm das ab.

Als Mann der Mitte muss Gantz auch Stimmen von rechts wie links holen. Nur so hat seine Truppe Aussichten, den Likud zu überholen. Ihr politisches Programm ist dünn, darauf angelegt, niemanden zu verprellen. Eine klare Position zur Palästina-Frage und zum Friedensprozess wird darin vermieden. Zu Beginn der Kampagne hatte sich Gantz gar gebrüstet, wie viele palästinensische Terroristen unter seinem Kommando erledigt worden seien. Auch betont er, unter ihm werde Jerusalem nicht geteilt. Ebenso müsse Israels östliche Grenze das Westjordanland bleiben, was wenig Raum für eine Zwei-Staaten-Lösung lässt.

Geschmiedet wurde das Blau-Weiß-Wahlbündnis unter anderem von Jair Lapid, dem Chef der Zukunftspartei – allein aus einem Zweck: „Bibi abzulösen“, wie die Israelis ihren Premier nennen. „Dabei steht eigentlich die israelische Demokratie auf dem Spiel“, meint Politologin Gayel Talshir aus Jerusalem. Deren liberalen Charakter habe die rechtsnationale Regierung ausgehöhlt. Gantz will damit Schluss machen. Sein Pfund ist die Integrität. Netanjahus Trumpf ist der Golan, den US-Präsident Donald Trump wider internationales Recht zum israelischen Staatsgebiet erklärt hat.

Im Kopf-an-Kopf-Rennen der beiden Kontrahenten sind die kleineren Parteien ins Hintertreffen geraten. Selbst die sozialdemokratische Arbeitspartei, einst stolze Volkspartei, liegt in Umfragen unter der Zehn-Prozent-Marke. Mit noch schlechteren Ergebnissen müssen die Wahlkämpfer der Religiösen, der Ultrarechten, der linken Meretz und auch der arabischen Minderheit rechnen. Von den 14 Parteien, die auf Einzug in die Knesset hoffen, liegen mindestens fünf nur knapp über der Hürde von 3,25 Prozent. Umso schriller buhlen manche um Aufmerksamkeit. Justizministerin Ajelet Schaked sprühte sich etwa in einem offenbar ironisch gemeinten Spot mit einem Parfüm namens Fascism (Faschismus) ein.

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Erstellt:
3. April 2019, 14:19 Uhr

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