Polizistenmord in Mannheim
Neurochirurg kämpfte um das Leben des Polizisten Rouven Laur
Im Verfahren um den Messerangriff in Mannheim schilderte ein Arzt, wie er im Operationssaal um das Leben des verletzten Polizeibeamten kämpfte. Der Vorsitzende Richter ordnet nach den Recherchen des ZDF Ermittlungen zu den Spuren an, die nach Russland und Putins Geheimdiensten führen.

© dpa/Marijan Murat
Justizwachtmeister bewachen den mutmaßlichen Terroristen Sulaiman A. im Stuttgarter Oberlandesgericht: führen Spuren nach Moskau?
Von Franz Feyder
Der Professor ist aufgeregt. Nima Etminan sitzt vor der Richterbank im Saal 1 des Stuttgarter Oberlandesgerichts. Vor ihm die Richterin und vier Richter des 5. Strafsenats in schwarzen Roben. Etminan mit akkurat geschnittenen, schwarzen Haaren, in die sich graue mischen. Als brauche er eine Rüstung verschränkt er die Arme vor der Brust, Stimme und Hände zittern.
Vor 312 Tagen, am 31. Mai 2024, müssen diese Hände ganz ruhig gewesen sein. Da lag Rouven Laur in der Mannheimer Uniklinik vor dem international renommierten Neurochirurgen auf dem Operationstisch. Kurz vorher hatte Sulaiman A. auf den 29 Jahre alten Polizeihauptkommissar in Mannheim mit einem Jagdmesser eingestochen. Es war am linken Ohr durch den Schädel ins Gehirn gedrungen. Verletzungen des Gehirns sind Etminans Fachgebiet.
Er operierte gerade einen anderen Patienten, als zwei seiner Oberärztinnen in den Operationssaal kamen. „Beim Körperscan im Schockraum zeigte sich, dass bei Herrn Laur die Hauptschlagader im Gehirn durchtrennt und die linke Hirnhälfte nicht mehr durchblutet war“, erinnert sich der Direktor der neurochirurgischen Klinik. Ein Kampf gegen die Zeit habe begonnen, um den Druck des anschwellenden Gehirns zu reduzieren, Zellen zu retten. Ohne Eingriff wäre Laur innerhalb der nächsten 60 Minuten gestorben.
Zwei Minuten habe er nachgedacht, sich mit seinem Team einen Plan A, B und C zurechtgelegt. Das Ziel: retten, was zu retten war; dem Polizisten ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen – auch „weil bei einem jungen Menschen die Rehabilitation vielversprechend ist“. Etminan kämpft mit Tränen, als er weiterspricht: Mit seinen Oberärztinnen und einem Assistenzarzt begann er zu operieren. Ein Team entnahm aus dem rechten Arm Adern, mit denen Etminan und die zweite Oberärztin einen Bypass einsetzten, um verletzte Blutgefäße zu umgehen.
Fast sechs Stunden lang kämpfte der Arzt gegen den Tod
„Beim ersten Gefäß gelang das sehr gut“, sagt Etminan. In dem Bereich, in dem Sprache und die Steuerung der Bewegungen angelegt sind. Das Team wandte sich dem zweiten durchtrennten Gefäß zu, als „Blut zurück ins Gehirn floss. Plan B, Plan C – letztendlich liefen wir den Dingen nur noch hinterher“. Fünf Stunden und 48 Minuten lang, bis 18:48 Uhr. Er habe gewusst, dass Rouven Laur sterben würde, als diese Blutung während der OP einsetzte, sagt der Professor.
Den Kopf geneigt, den Blick auf den Arzt gerichtet, die Hände im Schoß verschränkt, verfolgt Sulaiman A. die Aussage des Mediziners scheinbar unbeteiligt, gar gelangweilt.
Etminan sprach selbst mit den Eltern Laurs, seiner Schwester, die selbst Ärztin ist. „Ich wollte mich nicht hinter den Oberärztinnen verstecken.“ Zwei Tage später, am Sonntag, entschieden Ärzte, Verwandte und Eltern, „uns aus der Therapie zurückzuziehen und die Beatmung einzustellen“. Rouven Laur war tot – „ein guter Mensch, wie in den folgenden Tagen immer deutlicher wurde“, sagt Etminan. Selbst wenn die Therapie fortgesetzt worden wäre, ergänzt Rechtsmediziner Marek Balikowski, wäre Laur „mit sehr, sehr hoher Wahrscheinlichkeit noch in den kommenden Tagen verstorben“.
Richter will die Ermittlungsergebnisse zu Spuren nach Russland
Etminan erklärt, warum bis heute der Tod Rouven Laurs ihn, sein Team, die ganze Uniklinik bewegt: „Wir versorgen viele Patienten, von denen auch einige versterben. Unter ihnen auch Kinder. Aber das sind Krankheiten, die nicht wie hier durch andere Menschen entstehen.“ Etminan schluckt. Bis heute habe er sich das Video nicht angesehen, das von der Bluttat im Internet zu finden ist: „Ich könnte es nicht ertragen.“
Der Vorsitzende Richter Herbert Anderer ließ die Worte kurz schweigend im Gerichtssaal stehen. Zum Beginn des Prozesstages war er auf Recherchen von Reportern des ZDF eingegangen. Diese fanden heraus, dass bereits vier Tage vor dem mutmaßlichen Attentat, also am 27. April 2024, aus Russland im Internet nach einem Anschlag mit einem Messer auf den Islamkritiker Michael Stürzenberger – also mit Täterwissen – gesucht wurde. Er werde, sagte Anderer, das Landeskriminalamt und den Bundesnachrichtendienst „um deren Ermittlungsergebnisse“ bitten. Zudem bat er die beiden Oberstaatsanwältinnen zu prüfen, „ob dem Generalbundesanwalt zu dieser Sache Erkenntnisse vorliegen und diese dem Senat überlassen“.
Als Professor Etminan am 14. Juli 2023 zum ersten Mal vor seine Studenten trat, um eine Vorlesung zu halten, hatte er dafür das Thema „Neurochirurgie – Von der Faszination und von der Demut“ gewählt. Als hätte er damit auch schon den Titel für seine Zeugenaussage gewählt: Die Demut des renommierten Neurochirurgen Etminan vor dem Leben und em Menschen – sie war förmlich greifbar im Gericht.