Was geschah am  . . . 18. Februar 1943?

NS-Chef-Propagandist Joseph Goebbels ruft zum „totalen Krieg“ auf

Die Aneinanderreihung von Erfolgsmeldungen wie in den ersten Jahren des Zweiten Weltkrieges ist längst vorbei. Auf die Propaganda der Siege folgt die Propaganda der Niederlagen. NS-Propagandaminister Joseph Goebbels schwört die Deutschen im Berliner Sportpalast auf den „totalen Krieg“ ein.

Weg in den totalen Untergang: Großkundgebung mit Hakenkreuzfahnen und dem Transparent „TOTALER KRIEG – KÜRZESTER KRIEG“ am 18. Februar 1943 im Berliner Sportpalast.

© Bundesarchiv/Bild 183-J05235/Schwahn/CC-BY-SA 3.0

Weg in den totalen Untergang: Großkundgebung mit Hakenkreuzfahnen und dem Transparent „TOTALER KRIEG – KÜRZESTER KRIEG“ am 18. Februar 1943 im Berliner Sportpalast.

Von Markus Brauer

Montag, der 18. Februar 1943: Die Sitze im Sportpalast in der Potsdamer Straße 172 in Berlin sind bis auf den letzten Platz gefüllt. Die rund 14.000 Zuhörer warten gespannt auf den Redner: NS-Propagandaminister Joseph Goebbels.

Chef-Propagandist, Sprachrohr, Einpeitscher

Der am 29. Oktober 1897 in Rheydt in Nordrhein-Westfalen geborene Goebbels ist einer der einflussreichsten Politiker des Nationalsozialismus und einer der engsten Vertrauten Adolf Hitlers. Sein Chef-Propagandist, Sprachrohr und Einpeitscher für die Massen.

Als Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda und Präsident der Reichskulturkammer hat der 45-Jährige zwei entscheidende Positionen für die absolute Lenkung von Presse, Rundfunk und Film sowie des sonstigen Kulturschaffens in Deutschland inne.

Manager des „totalen Krieges“

Goebbels drängt auf eine Intensivierung der Kriegswirtschaft. Er will den „totalen Krieg“. So schlägt er Hitler in einer Denkschrift vor, „Faulenzer und Parasiten“ zur Arbeit in der Kriegswirtschaft zu zwingen und die Zivilwirtschaft durch Stilllegungsverfügungen für Luxusgaststätten, Modesalons und Läden zugunsten der Kriegswirtschaft zu verkleinern.

Der 1,65 Meter große Scharfmacher spekuliert zudem darauf, als Manager des „totalen Krieges“ zum zweiten Mann im NS-Staat aufzusteigen.

Bis ins allerkleinste Detail inszeniert

So plant und schreibt Goebbels die Sportpalastrede auch zu dem Zweck, auf Hitler Einfluss zu nehmen. Indem er die Deutschen auf noch radikalere Maßnahmen vorbereitet, glaubt er, den ersten Mann im NS-Staat auf seine Linie bringen zu können.

Die Rede selbst ist von ihm bis ins allerkleinste Detail inszeniert. Goebbels hat das Publikum auf treueste Parteianhänger hin handverlesen. Sprechchöre haben Slogans einstudiert. Eine Hundertschaft ist instruiert worden, wann und wie lange sie applaudieren soll. Über die Lautsprecheranlage des Sportpalastes wird später auch Applaus von Schallplatte eingespielt.

108 Minuten dämonische Bösartigkeit

Was dann am 18. Februar 1943 folgt, ist die knapp 108 Minuten dauernde berühmt-berüchtigte „Sportpalastrede“. Ein Paradebeispiel der NS-Rhetorik und -Propaganda. In all ihrer dämonischen Bösartigkeit und ihrem rassistischem Hass gilt sie als Goebbels propagandistisches „Meisterwerk“.

Zum Ende hin, als es das aufgepeitschte Publikum buchstäblich von den Sitzen reißt, stellt der "Verführer" Goebbels den Anwesenden – quasi als Stellvertretern des Volkes – zehn rhetorische Fragen, um ihre "Kampfesbereitschaft" zu prüfen. Das Publikum brüllt dem Redner auf der Tribüne erwartungsgemäß jeweils ein lautes „Jaaaa!“ entgegen.

„Wollt ihr den totalen Krieg?“

Schließlich stellt Goebbels den fanatisierten Claqueuren die entscheidende, vierte rhetorische Frage: „Die Engländer behaupten, das deutsche Volk wehrt sich gegen die totalen Kriegsmaßnahmen der Regierung. Es will nicht den totalen Krieg, sagen die Engländer, sondern die Kapitulation. Ich frage euch: Wollt ihr den totalen Krieg? Wollt ihr ihn – wenn nötig – totaler und radikaler, als wir ihn uns heute überhaupt erst vorstellen können? “

Haltlos brüllend kommt die Antwort der hysterischen Menge: „Jaaa!“ Die Massen springen auf, reißen die Arme wie im Fieberwahn zum Hitlergruß empor. Blinder Fanatismus und willenlose Ergebenheit stehen in ihren verzerrten Gesichtern geschrieben.

Vorne am Mikrofon steht ein spindeldürres Männchen. Ein niedriges Rednerpult kaschiert den Kleinwuchs des Redners. Joseph Goebbels ist auf dem Zenit seiner propagandistischen Macht. Wie ein dämonischer Zauberer dirigiert er das völlig ergebene Publikum wie es ihm beliebt.

„Endsieg“ bis in den Tod

Noch sechs weitere Fragen richtet Goebbels an die Masse. Sie, so lässt er die versammelten „Volksgenossen“ wissen, verkörperten das „gesunde Volksempfinden“. Deshalb habe man sie hier zusammengerufen. Es gelte jetzt den "Durchhaltewillen der Deutschen" in diesem Krieg zu demonstrieren, den Willen zum „Endsieg“ - wenn nötig bis in den Tod.

Einer der teuflischsten Agitatoren und Demagogen des 20. Jahrhunderts

Später werden Historiker von diesem Joseph Goebbels sagen, er sei einer der fähigsten, aber auch teuflischsten Agitatoren und Demagogen des 20. Jahrhunderts gewesen. Ein notorischer Lügner, ein brutaler Zyniker, ein hemmungsloser Verbrecher. Sein Redetalent, so wird ihm bescheinigt, habe seine Zuhörer gleichermaßen fasziniert und betäubt.

Heutigen Zeitgenossen erscheint unverständlich, wie dieser pöbelnde Schreihals die Massen in seinen Bann ziehen, wie sein krimineller und mörderischer  Forderungskatalog selbst die Zustimmung der im Sportpalast anwesenden geistigen Elite aus Kunst und Wissenschaft finden konnte.

Absehbare Niederlage Nazi-Deutschlands

Doch in diesen kalten Wintertagen des Februars 1943 sind die Konturen der kommenden Niederlage Nazi-Deutschlands bereits deutlich zu erkennen. Der eben proklamierte „totale Krieg“ ist längst Wirklichkeit:

  • Die 6. Armee ist in Stalingrad untergegangen.
  • Im Nordatlantik der U-Boot-Krieg verloren.
  • In Afrika steht Erwins Rommels Armee vor der Kapitulation.
  • Die Alliierten erobern die Luftherrschaft über Deutschland. Eine Stadt nach der anderen versinkt in Schutt und Asche. Zu Zehntausenden sterben die Menschen im Inferno des Bombenkrieges.

Pausenloser Bombenkrieg und sich breit machende Apathie

Die Geheime Staatspolizei berichtet den Entscheidungsträgern des Regimes von der wahren Stimmung im Lande: Der Glaube an den Endsieg gehe verloren. Auch der Glaube, für eine „gute Sache„zu kämpfen, schwinde dahin. Apathie mache sich breit, registrieren die Gestapo-Agenten. Die Kraft, Zerstörtes wieder aufzubauen, gehe verloren.

Doch auch dies stellen sie fest: Der pausenlose Bombenkrieg lähme die Regungen des Widerstandes gegen die Diktatur. Die Bevölkerung sei einfach zu müde und zu sehr damit beschäftigt, den nächsten Luftangriff zu überleben.

Jubel-Publikum liefert Pseudo-Legitimation

Hitlers Chef-Propagandist ist über diese wenig erfreuliche Lage bestens im Bilde. Das in den Sportpalast bestellte Jubel-Publikum liefert der herrschenden Clique eine Pseudo-Legitimation zur Fortsetzung ihrer verbrecherischen Politik. Auf Nachsicht der Sieger kann das Nazi-Regime ohnehin nicht mehr hoffen, seit sich die Alliierten auf die bedingungslose Kapitulation des Deutschen Reiches festgelegt haben.

Um jeden Preis soll das unweigerliche Ende hinausgeschoben werden. Abermillionen Menschen werden dafür in den noch folgenden 28 Kriegsmonaten ihr Leben lassen. Ganze Landstriche werden verwüstet, unersetzliche Kulturgüter vernichtet.

Nicht alle Jubler im Sportpalast ahnen oder wissen dies. Nach bewährtem Rezept vernebelt der „Demagoge schlimmster Sorte und Oberbandit“ (Goebbels über Goebbels) die Gehirne, reißt die Anwesenden in einem aufpeitschenden Wortschwall zu fanatischen Beifallsstürmen hin.

„Jaaa!“ tönt der einstimmige Schrei aus den Kehlen von Tausenden

„Wollt Ihr den totalen Krieg, wenn nötig, totaler und radikaler, als wir ihn uns heute überhaupt noch vorstellen können?“ will Goebbels vom Publikum wissen. Von der aufgeputschten Menge verlangt er den Glauben an den „Endsieg“, die Bejahung von noch mehr Opferbereitschaft und bedingungslose Nibelungentreue.

„Jaaa!“ tönt der einstimmige Schrei aus tausenden Kehlen. „Nun Volk, steh auf, und Sturm brich los!“, brüllt es vom Rednerpult zurück. Eine volle halbe Stunde lang sendet der „Großdeutsche Rundfunk“ den nicht endenden Applaus der Menge.

Die zynische Verachtung für die Jubler notiert Goebbels später in seinem Tagebuch: „Hätte ich denen gesagt, sie sollen aus dem Fenster des Columbushauses springen, die hätten es getan“.

Unaufhaltsamer Rückzug an allen Fronten

Der beschworene „totale Krieg“ bricht nun mit voller Wucht über Deutschland herein. Am 5. Juli startet die Wehrmacht ihre letzte Offensive, die „Operation Zitadelle“ bei Kursk an der Ostfront.

Sie scheitert: 500.000 Soldaten – mehr als in Stalingrad – sterben, 1500 Panzer, 3000 Geschütze und 1500 Flugzeuge gehen verloren. An allen Fronten beginnt der unaufhaltsame Rückzug, der erst in der Reichshauptstadt Berlin enden wird.

Goebbels letzte schaurige Tat

Im Bunker unter der Berliner Reichskanzlei inszeniert Joseph Goebbels am 1. Mai 1945 seine letzte schaurige Tat. Nach Adolf Hitlers Selbstmord am 29. April 1945 für einen Tag Reichskanzler, lässt er mit seiner Frau Magda ihre Kinder Helga (12), Hilde (11), Helmut (9), Holde (8) und Heide (4) von einem SS-Zahnarzt mit Morphium betäuben.

Nach dem Einschlafen zerdrücken die Eltern in den Mündern der Kinder Zyankalikapseln. Am Abend zerbeißt das mörderische Ehepaar selbst Giftampullen und lässt sich von SS-Ordonanzen zur Sicherheit noch erschießen, um dann im Hofgarten mit Benzin übergossen und angezündet zu werden.

Die diabolische Karriere des Joseph Goebbels - Doktor der Philosophie, exzentrischer Egomane und kaltblütiger Massenverführer - hat damit ihr bizarres Ende gefunden. Seine halbverkohlte Leiche wird kurz darauf von Infanteristen der Sowjetarmee entdeckt (mit dpa-Agenturmaterial).

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Erstellt:
15. Februar 2025, 19:26 Uhr
Aktualisiert:
17. Februar 2025, 08:18 Uhr

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