Nur an der Kanzel scheiden sich die Geister

Erfreut von profanen Verbesserungen und beeindruckt von der Helligkeit der Räume zeigen sich die Teilnehmer der Führungen durch die sanierte Stiftskirche.

Kirchengemeinderatsvorsitzende Ute Ulfert (links) zeigt Sieglinde und Hermann Schatz, was sich in der Stiftskirche alles getan hat. Foto: J. Fiedler

© Jörg Fiedler

Kirchengemeinderatsvorsitzende Ute Ulfert (links) zeigt Sieglinde und Hermann Schatz, was sich in der Stiftskirche alles getan hat. Foto: J. Fiedler

Von Renate Schweizer

BACKNANG. Längst nicht jede und jeder hatte einen Sitzplatz im Innenraum bekommen bei der feierlichen Einweihung der sanierten Stiftskirche. Deshalb gab es für alle Zu-kurz-Gekommenen – und durchaus auch für etliche, die am Vormittag schon im Gottesdienst gewesen waren, aber einfach nicht genug von der neuen Stiftskirche bekommen konnten – am Nachmittag Führungen durch das neue alte Wahrzeichen der Stadt.

Nach einer ausgeklügelten Choreografie, damit sie sich ja nicht ins Gehege kamen, wurden die kleinen Gruppen im 10-Minuten-Takt kreuz und quer, treppauf und treppab durchs Gebäude geführt und zwar jeweils von ausgewiesenen Kennern des Gebäudes. Allen voran natürlich Dekan Wilfried Braun und Pfarrerin Sabine Goller-Braun, die als Bauherrschaft in den letzten Wochen praktisch auf der Baustelle gewohnt haben, aber auch Ute Ulfert, die als Vorsitzende sowohl des Kirchbauvereins als auch des Kirchengemeinderats an allen Entscheidungen, die da getroffen werden mussten, beteiligt war. Andrea Schreiber hatte den Bau als Kirchenpflegerin (Die Kirchenpflegerin kümmert sich ums Geld – superwichtig beim Bauen!) in allen Details mit geradezu leuchtender Hingabe begleitet, Kurt Wörner war der Kapo der Stiftsbauhütte und Ingrid Haag war als Kirchengemeinderätin von Anfang an mit im Boot der Stiftskirchensanierung. Da hätte man alle Führungen besuchen mögen, denn auch wenn die Stationen alle gleich waren, so war doch der Blickwinkel der Führenden jeweils ein anderer und spannender.

Erfreut nahmen alle Besucher die ganz profanen Verbesserungen zur Kenntnis: Barrierefreie WC-Anlage und Fußbodenheizung werden das Vergnügen an künftigen Konzerten und winterlichen Gottesdiensten mit Sicherheit erhöhen, hydraulisch versenkbare Podeste im Altarraum interessierten vor allem Chorsängerinnen und -sänger, Technikregie-raum, Beleuchtungskonzept, versenkbare Leinwand und Beamer – das wollte alles gar kein Ende nehmen und war ohne Zweifel eindrucksvoll: Das „Eigentliche“ war es aber nicht – zeitgemäßes Werkzeug, nicht mehr und nicht weniger, schön, dass es das jetzt auch gibt in der Stiftskirche. Das „Eigentliche“, da waren sich Führende und Geführte einig, ist die ganz neue, lichte Weite des Chorraums unter dem wunderbaren Sternennetzgewölbe und der Altar der Künstlerin Sabine Straub, dessen Fuß eben dieses Gewölbe nachzeichnet. Das „Eigentliche“ ist der sanfte Schimmer (und Duft) des Holzes an Decken und Kirchenbänken und der helle Klang- und Lichtraum des Kirchenschiffs, der durch den Wegfall der zweiten Empore gewonnen wurde. Das „Eigentliche“ ist auch ganz sicher die kleine Taufkapelle, vormals als Treppenhaus zur Empore missbraucht, die wundersam schlicht unser aller Lebensweg von der Geburt bis zum Tod symbolisiert. Das andächtige Schweigen aller Besuchergruppen an dieser Stelle zeigt, dass das Konzept des Bildhauers Werner Mally den Kern getroffen hat. Hier möchte man sitzen bleiben und Pause machen vom Getriebe der Welt. In ein paar Wochen wird man das können – die neue alte Stiftskirche wird tagsüber geöffnet sein für jedermann und jedefrau. „Hier gibt es Heimatrecht für alle“, so drückte Pfarrerin Goller-Braun das aus.

Vorerst is aber nix mit Pausemachen und weiter geht’s zur Kanzel, an der sich die Geister dann wieder scheiden. Würfelförmig, schwarz-metallisch und kompromisslos heutig hängt sie über dem Altarraum. Für die einen ist das der gültige Ausdruck des Heute, eindeutig unterscheidbar vom überlieferten Alten, für die anderen eine optische Zumutung und sofort entspinnen sich leidenschaftliche Diskussionen. „Wieso braucht ein evangelischer Pfarrer überhaupt so einen Balkon über seiner Gemeinde?“, brummt einer und hat die Lacher auf seiner Seite, andere halten dagegen und fast – aber nur fast – hätte man das Staunen vergessen auf dem Weg zurück durch das Leuchten des Chorraums unter dem strahlenden Fenster mit dem auferstandenen Christus. Schön ist sie geworden, die neue alte Stiftskirche, wunderschön.

Die neue, lichte Weite des Chorraums unter dem wunderbaren Sternennetzgewölbe hat die Besucher beeindruckt. Foto: A. Becher

© Alexander Becher

Die neue, lichte Weite des Chorraums unter dem wunderbaren Sternennetzgewölbe hat die Besucher beeindruckt. Foto: A. Becher

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Erstellt:
25. Mai 2021, 06:00 Uhr

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