Ende einer Kanzlerschaft
Olaf Scholz – der Mann, bei dem kaum noch einer Führung bestellt hat
Er wollte unbedingt selbst noch einmal antreten. Jetzt hat Olaf Scholz der SPD eine katastrophale Niederlage beschert.
Von Tobias Peter
Es sind schwierige Minuten für Olaf Scholz. Neben ihm auf der Bühne im Willy-Brandt-Haus steht seine Ehefrau, Britta Ernst. Scholz übernimmt die Verantwortung für die Wahlniederlage.
„Das ist ein bitteres Wahlergebnis für die sozialdemokratische Partei“, sagt Scholz. Und er gratuliert dem CDU-Chef Friedrich Merz zum Wahlsieg. Der Kanzler erklärt, er werde sein Amt „bis zum letzten Tag ausüben“. Gleichzeitig macht Scholz klar: Er selbst wird mit der Regierungsbildung nichts zu tun haben. „Jetzt ist es an anderen, den Weg zu suchen, wie eine Regierung gebildet werden kann.“ Was der Kanzler aber noch sagt – und hier dürften sie in der CDU-Zentrale genau hingehört haben: Auf die Sozialdemokraten sei Verlass, wenn es darum gehe, Verantwortung zu übernehmen.
Es ist ein historisch schlechtes Ergebnis für die SPD. Gerade für Scholz, der sich selbst immer für etwas besser und klüger als andere hält, ist das schwer zu ertragen. Die Mitglieder hätten gekämpft, aber die Umfragewerte seien einfach nicht besser geworden, sagt der 66-Jährige noch. Die vergangenen Wochen waren für Scholz wie für einen Boxer, der immer wieder ins Leere geschlagen hat.
Das Gesicht des Scheiterns
Die Kanzlerschaft des Olaf Scholz steht damit – nach nur dreieinhalb Jahren – vor ihrem Ende. Im Jahr 2021 hatte der nüchterne Hamburger es als vierter Sozialdemokrat in der Geschichte der Republik überraschend ins Kanzleramt geschafft: nach Willy Brandt, Helmut Schmidt und Gerhard Schröder. Mit der Wahlniederlage ist klar: Scholz muss sich in der Geschichte jetzt einreihen bei den Kurzzeitkanzlern Ludwig Erhard und Kurt Georg Kiesinger.
Dass es schwer werden würde, hatten sie bei der SPD von Anfang an gewusst. Der Novemberabend, an dem Scholz Finanzminister Christian Lindner entließ und damit die Koalition mit der FDP beendet, war zwar einer, an dem der Kanzler kraftvoll auftrat. „Zu oft hat er kleinkariert parteipolitisch taktiert. Zu oft hat er mein Vertrauen gebrochen“, rechnet der Kanzler vor laufenden Kameras in einem langen Statement mit Lindner ab. Die SPD-Fraktion applaudierte Scholz. Doch schon in den kommenden Tagen dämmerte vielen: Als Kanzler war Scholz so sehr das Gesicht des Scheiterns der Ampel, dass es schwer war, ihn als Kandidaten für die kommenden vier Jahre zu verkaufen.
Die Ampel ist ein Regierungsbündnis, das die Menschen im Land genervt hat, wie wohl kein anderes zuvor. Dabei hat das Regierungsbündnis zumindest in seinem ersten Jahr gut funktioniert. Mit seiner „Zeitenwende“-Rede und dem Sondervermögen für die Bundeswehr reagierte Scholz kraftvoll auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Er hat das Land auch in Sachen Energiekrise erfolgreich über mehrere Kriegswinter gebracht. Scholz sagt an diesem bitteren Wahlabend, er sei dankbar, dass er in dieser Situation Verantwortung tragen dürfte.
Doch bald wurde in dem lagerübergreifenden Dreierbündnis aus SPD, Grünen und FDP vor allem eines: öffentlich gestritten. Mit dem ersten Entwurf für das Heizungsgesetz weckte die Ampel Ängste in der Bevölkerung – und mit dem folgenden Dauerstreit gab es einen fortwirkenden Vertrauensverlust. Unter den Koalitionspartnern. Im Land. Scholz, der hinter den Kulissen immer wieder vermitteln musste und dabei nur langsam vorankam, wirkte führungsschwach. Scholz ist bekannt für den Satz, wer bei ihm Führung bestelle, bekomme sie auch. Hier nahm seine Kanzlerschaft nachhaltig Schaden.
Scholz neigt ohnehin zu einer eher verdrucksten Kommunikation. Als Kanzler einer Regierung, die ständig erst einmal interne Konflikte lösen musste, wurde er oft zum Nichtssagenden. Dass er auch anders kann, hat er gerade in TV-Duell vor der Wahl bewiesen. Ein Kanzler, der angriff, der greifbar war. Aus Sicht der meisten Wählerinnen und Wähler kam das zu spät.
Hätte Pistorius besser abgeschnitten?
Hätte die SPD das unter normalen Umständen Undenkbare tun sollen – und statt mit dem regierenden Kanzler mit einem anderen Kandidaten antreten sollen? Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius hat über lange Zeit hervorragende Beliebtheitswerte. Über die Frage eines Kandidatenwechsels ist ernsthaft gesprochen worden. Aus dem Landesverband Nordrhein-Westfalen gab es gewichtige Stimmen für einen solchen Schritt. Doch Scholz wollte selbst antreten. Schließlich erklärte Pistorius seinen Verzicht.
Vermutlich hat Scholz sich auch deshalb zugetraut, die Umfragen nach dem Ampel-Aus noch einmal zu drehen, weil ihm im Jahr 2021 ein kleines Wunder gelungen war. Die SPD hatte damals über viele Monate desaströse Umfragewerte. Doch als es auf die Wahl zuging, entschieden sich viele für ihn, den erfahrenen Finanzminister. Doch damals hatten die Kandidaten von Union und Grünen große Fehler gemacht. Und Scholz war eine Projektionsfläche für die Hoffnung auf solides Regieren im Stil der Langzeitkanzlerin Angela Merkel. Jetzt hätte es für viele Wähler fast wie eine Drohung geklungen, wenn Scholz, wie einst Merkel im TV-Duell gesagt hätte: „Sie kennen mich.“
Der Kanzler winkt, als er die Bühne im Willy-Brandt-Haus wieder verlässt. Die Mundwinkel sind zwar runtergezogen – aber die Geste soll den Mitgliedern trotzdem Mut machen. Seine Frau, Britta Ernst, hat an diesem Tag Geburtstag. Eine ausgelassene Feier dürfte es kaum werden.