Weniger Autos, mehr Gartenstraßen
Paris will grüner werden
Gartenstraßen, Stadtwälder, Flaniermeilen: Unter Bürgermeisterin Anne Hidalgo verändert sich die französische Hauptstadt stärker als jemals zuvor in der Nachkriegszeit. Sie verdrängt den Autoverkehr aus der Metropole.

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Blick auf Paris von oben: In der Metropolesoll es mehr Grünflächen, Parks und Bäume geben, die bei Temperaturen von bis zu 45 Grad Rückzugsmöglichkeiten bieten.
Von Stefan Brändle
Hier sei früher mal eine Straße verlaufen, sagt Liliane, eine ältere Dame, die seit jeher im 14. Stadtbezirk von Paris wohnt, der im Süden der Stadt liegt. Der mittlere Teil der Rue Mouton-Duvernet ist verschwunden; ein sandiger Naturweg hat den Asphalt ersetzt. An vierrädrigen Vehikeln verkehren nur noch Kinderwagen.
Die Rue Mouton-Duvernet sei einst eine belebte Durchgangsstraße am Rand von Montparnasse gewesen, erinnert sich Liliane, die von der Entwicklung nur halb begeistert ist. „In letzter Zeit haben hier ein Geschirr- und ein Eisenwarenladen geschlossen. Die Kunden bleiben aus, weil sie nicht mehr parken können.“ In der Buchhandlung „Flora lit“ meint die Verkäuferin hingegen, ihre Kundschaft bestehe nur aus Anwohnern, und die kämen zu Fuß oder mit dem Rad. Die junge Frau ist überzeugt: „Das Viertel profitiert eindeutig von dem Umbau.“
Der „Umbau“ in Paris ist das Werk von Bürgermeisterin Anne Hidalgo. Über 200 Straßen hat sie schon in „rues-jardin“ – Gartenstraßen – verwandelt. Im März genehmigten in einer Volksbefragung 66 Prozent der Stimmberechtigten in Paris die Begrünung von 500 weiteren Straßen.
Schwimmen in der Seine
Dahinter steht ein Projekt, das in seinen gigantischen Ausmaßen an Georges-Eugène Haussmann erinnert. Der Stadtplaner des 19. Jahrhunderts hatte die verschachtelte mittelalterliche Stadt durch breite Boulevards aufgebrochen und Paris mit einheitlichen Gebäudefassaden zu einem unverwechselbaren Aussehen verholfen. Ähnlich einschneidend handelte in den 60er Jahren Präsident Georges Pompidou: Der Gaullist ließ am Seine-Ufer Schnellstraßen bauen und erklärte, man müsse die Stadt den Autos – und nicht umgekehrt! – anpassen.
Das Credo von Anne Hidalgo hingegen lautet: Man soll in den Straßen von Paris innerhalb einer Viertelstunde zu Fuß alles finden, was man zum Leben braucht – Läden, Schulen, Freizeit, wenn möglich sogar den Arbeitsplatz. Autos mit Verbrenner will die 65-jährige Vorsteherin der rot-grünen Stadtregierung bis 2030 aus der Stadt verbannen. SUV zahlen jetzt schon hohe Parkgebühren – bis zu 18 Euro für eine Stunde. Hidalgo will 70 000 Parkplätze umwidmen und 170 000 Bäumen pflanzen lassen. Die kreisrunde Place de Catalogne, ebenfalls im 14. Arrondissement gelegen, wird etwa zu einem Stadtwald aus Eschen, Ahorn und Eichen. In 30 Jahren sollen sie umliegende Büro- und Hochhäuser überragen, wie auf einer Hinweistafel zu lesen ist.
Ganze Quartiere werden durch ein paar strategische Einschnitte – wie in der Rue Mouton-Duvernet – verkehrsberuhigt. Die Expressrouten entlang der Seine hat Hidalgo längst in Spazier- und Joggingwege verwandelt. Sogar das Schwimmen in der Seine will Hidalgo schon seit den Olympischen Spiele im Sommer 2024 ermöglichen.
Verbotszonen in der Innenstadt
Die achtspurige Fahrbahn auf der bekannten Einkaufsmeile den Champs-Elysées lässt sie zurückbauen und begrünen, genauso wie den unweit davon gelegenen riesigen Place de la Concorde, wo in Revolutionszeiten der König geköpft worden war. Am anderen Ende der „Champs“ wird der Platz um den Triumphbogen, heute noch Inbegriff des chaotischen und hupenden Pariser Verkehrs, von zwölf auf vier Spuren reduziert; der Rest wird für die Flaneure, Touristen oder Radfahrer saniert.
In europäischen Hauptstädten fragen sich Politiker, wie die 2014 erstmals gewählte Bürgermeisterin diese Herkulesarbeiten durchsetzen und bewältigen will. Antwort: mit Geduld, Geschick und Starrsinn – wie der spanische Stier, mit dem die gebürtige Andalusierin Hidalgo gerne verglichen wird. Die Zeit in der Pandemie nutzte sie, um ganze Verkehrsachsen wie die Rue de Rivoli in provisorische Fußgängerzonen zu verwandeln. Heute gehören sie längst zum Alltag. Im Stadtkern zwischen dem Concorde-Platz, der Oper und der Bastille richtete Hidalgo im November eine „Zone à Trafic Limité“ ein. Inzwischen sind es Verbotszonen: Wer ohne Passierschein in das Gebiet um den Louvre und das Marais-Viertel fährt, dem droht seit 1. April ein Bußgeld.
Auch die Ringautobahn um die Stadt, die „périphérique“, entschleunigt Hidalgo. Die zulässige Geschwindigkeit senkte sie zuerst von 90 auf 70 Kilometer pro Stunde. Seit Oktober gilt Tempo 50. Bußgelder gab es jedoch erst zwei Wochen später. Mit dieser zeitlichen Staffelung entschärfte Hidalgo die Proteste von Autofahrern. Aber kaum hatten sie wieder Ruhe gegeben, verwandelte die Bürgermeisterin die linke der drei Fahrbahnen in eine Umweltspur. Dort sind nur noch Fahrzeuge mit mehr als einem Insassen erlaubt. Wer allein unterwegs ist, muss sich in den zwei anderen, restlos verstopften Spuren vorwärts quälen.
Die Zeitung „Le Parisien“ schrieb kürzlich, Hidalgo wolle eine „Hauptstadt ohne Autos“. Das trifft wohl ins Schwarze. Seit 2001, als die Linke mit Hidalgos Vorgänger und Ziehvater Bertrand Delanoë ins palastähnliche Rathaus einzog, hat sich die Zahl der Autos in Paris halbiert. Die Bürgermeisterin zieht die Schlinge auch andernorts eisern zu. Zum Beispiel in Montmartre: Auf dem Stadthügel hebt sie derzeit 300 Parkplätze auf. Anwohner lancierten deshalb wütend eine Petition gegen das Ansinnen.
Hidalgo ist nicht besonders populär, obwohl sie 2020 wiedergewählt wurde. Sie setzt deshalb auf Fakten: Im März war die Feinstaubbelastung in Paris wieder einmal so hoch, dass die Behörden von jeder sportlichen Aktivität abraten mussten. Laut einer Studie könnten in Paris im Jahr 2050 Temperaturen von bis zu 45 Grad Celsius herrschen, wie heute in Sevilla. Die Stadt mit zwei Millionen Pariserinnen und Parisern verliert massiv an Einwohnern: Jedes Jahr ziehen 12 000 Menschen weg. Die frei werdenden Wohnungen werden oft für Touristen genutzt. Paris wohnlicher, lebenswerter zu gestalten, sei „keine Öko-Schrulle, sondern eine Existenzfrage“, sagt Hidalgo, die bei den Neuwahlen 2026 nicht mehr antreten will.