Pendler hadern mit dem Fahrverbot
Backnanger Dieselfahrer, die oft nach Stuttgart müssen, trifft die Einschränkung hart – Einige wollen das Bußgeld in Kauf nehmen
Seit Beginn dieses Jahres dürfen keine Autos mehr nach Stuttgart reinfahren, die eine Abgasnorm Euro 4 und älter haben. Das trifft vor allem die Pendler hart. Auch aus Backnang und Umgebung gibt es viele, die nun Schwierigkeiten haben. Die Empörung ist laut, Befürworter finden sich keine.

© Pressefotografie Alexander Beche
Irena Stubert ist nur eine von vielen, die nun in der Landeshauptstadt Probleme mit ihrem Dieselauto bekommen könnte. Foto: A. Becher
Von Sarah Schwellinger
BACKNANG. Seit 1. Januar 2019 ist es nun so weit: Wer einen alten Diesel fährt, muss draußen bleiben – und zwar draußen aus Stuttgart. Die baden-württembergische Landeshauptstadt hat ein Fahrverbot verhängt. Das betrifft zunächst Personenkraftwagen mit der Abgasnorm Euro 4 und niedriger. Außerdem dürfen auch Nutzfahrzeuge mit der korrespondierenden Norm Euro 4 und darunter nicht mehr in die Großstadt einfahren. Das Verbot umfasst die gesamte Umweltzone der Neckarstadt und somit das gesamte Stadtgebiet.
Das Fahrverbot für Dieselautos betrifft zunächst aber nicht die Einwohner der Landeshauptstadt, die noch bis April Zeit haben, sondern vor allem Pendler, die von außerhalb nach Stuttgart kommen – und somit auch viele, die täglich aus Backnang und Umgebung pendeln.
Wir haben uns auf Facebook umgehört und sind auf ganz unterschiedliche Meinungen gestoßen: Während die einen aufrufen, auf die Straße zu gehen, wollen andere das Verbot ignorieren und trotz allem weiterhin mit ihrem Dieselfahrzeug nach Stuttgart fahren, wie Nadia Janetzko kommentiert: „Wir sind auch betroffen. Ist uns aber egal, wir fahren trotzdem rein.“ Und damit steht sie nicht allein auf weiter Flur. Auch die 19-jährige Irena Stubert muss nun fast täglich von Weissach im Tal nach Stuttgart zum Training fahren: „Ich habe dort im November angefangen zu tanzen.“
Ihr Auto ist gerade einmal ein Jahr alt, ein Diesel 4. Wegen des Stuttgarter Fahrverbots ein neues Auto kaufen? Für die 19-Jährige mit ihrem Azubigehalt schlichtweg nicht möglich. „Der Wertverlust wäre dabei viel zu groß.“ Bislang war sie immer mit dem Auto zum Training gefahren, auch in Zukunft kommt die Fahrt mit der Bahn nicht unbedingt infrage. „Ich muss nach Feuerbach, müsste also umsteigen. Und oft habe ich bis nach 22 Uhr Training.“ Nachts sei ihr die Bahn nicht ganz so geheuer. Lieber denkt sie über eine Umrüstung ihres Autos nach. Die ist aber ebenfalls nicht ganz günstig: „Vielleicht muss ich mich dann demnächst nach einem Nebenjob umschauen.“
Welche Kommentare man auf Facebook vergeblich sucht? Befürwortende, jene, die das Fahrverbot begrüßen. Es hagelt Häme und es hagelt Kritik an der Autoindustrie und vor allem an der Politik. So wie von Uwe Rattai, der ebenfalls vom Verbot betroffen ist: „Aber auch mir ist es egal. Ich fahre weiter meinen Diesel.“ Und außerdem: „Ich verstehe es ja, dass die Luft in einigen Städten nicht in Ordnung ist. Aber viele Leute fahren halt einen Diesel Euro 4 und haben nicht das Geld, sich einen Neuen zu kaufen. Autokonzerne und Politiker: Danke!“ Unterstützung bekommt er da von Nutzer Daniel Grainar: „Lobbyismus vom Feinsten. Schnell, kauft euch neue Autos.“
Marion Paulus ist vom Fahrverbot betroffen, aber sie fährt schon längst mit der Bahn in die Metropole am Neckar: „Wenn ich muss, fahre ich nur mit der Bahn. Alles andere ist mir zu blöd: Parkplatzsuche, teure Parkhäuser und so weiter. Das, was ich eventuell brauche, das bekomme ich auch in Backnang und bei meinen Marktkollegen.“
Auch Tanja Seid ist Bahnfahrerin: „Ich bin Studentin, jetzt so gut wie fertig. Ich musste nicht jeden Tag, nur ein paar Mal die Woche nach Stuttgart, aber da das Semesterticket ja so günstig ist, bin ich schon seit Studienbeginn 2015 Bahnfahrerin.“ Sie kann es sich gar nicht vorstellen, mit dem Auto nach Stuttgart reinzufahren. „Ich finde das viel stressiger, als einfach in Bus und Bahn einzusteigen.“ Auch in Zukunft möchte sie weiter die Öffentlichen nutzen. In der Bahn könne man sich entspannen, lesen, Musik hören. Die Parkplatzsuche vor Ort fällt weg.
Und trotzdem gibt es auch bei der Alternative Bahn Nachteile: „Die Fahrpreise müssten zum Beispiel auch für Nichtstudenten erheblich günstiger sein, ländliche Regionen sollten besser angebunden werden und die Zuverlässigkeit verbessert werden“, findet Seid.
Für beispielsweise den Lieferverkehr, Rettungsdienste oder auch Menschen mit Behinderung gilt eine Ausnahmeregelung, die muss allerdings beantragt werden. Davon kann Marc Girschek ein Lied singen, der eine Ausnahmegenehmigung für ein Jahr bekommen hat. „Ich muss teilweise zu Arbeitszeiten zur Arbeit oder nach Hause, zu denen die Öffentlichen nicht fahren. Außerdem nutze ich mein Auto auch geschäftlich.“ Laut Girschek hat der Verwaltungsakt vier Tage gedauert. „Nichtsdestotrotz bin ich grundsätzlich gegen jegliches Fahrverbot“, so seine abschließende Meinung.
Von einer ähnlichen Situation berichtet auch Martina Kupferschmid: „Mein Mann ist auch betroffen. Er arbeitet in Stuttgart und hat keine Chance, hier morgens um 4 Uhr aus dem Ort zu kommen, geschweige denn nachts wieder nach Hause“, erklärt sie. „Und unser Auto ist auch noch nicht so alt, und jetzt?“
Diese Frage bleibt wohl den meisten, die oft nach Stuttgart fahren müssen. 80 Euro Bußgeld kostet der Verstoß, eine einzelne Fahrkarte von Backnang an den Stuttgarter Hauptbahnhof 6,15 Euro. Und ein neues Auto?