Pilates in der Backnanger Galerie: Training für Körper und Geist
Die Künstlerin und Fitnesstrainerin Ursula Draxler-Kolb lässt ihren aktuellen Pilates-Kurs an ungewohnter Stelle stattfinden – in der Backnanger Galerie. Den Teilnehmerinnen gefällt die Atmosphäre und das Betrachten der Kunst regt an.
Von Simone Schneider-Seebeck
Backnang. Wer Sport treiben möchte, tut dies gewöhnlich in einer Sporthalle, einem Gymnastikraum oder auch draußen in der freien Natur. Auf Anhieb denkt hier vermutlich niemand an eine Kunstgalerie. Seit Ende September ist diese Kombination zumindest in Backnang jedoch nichts Ungewöhnliches mehr. Ursula Draxler-Kolb verbindet in ihrer Person beides – Kunst und Sport. Seit mehr als zehn Jahren gehört sie der Backnanger Künstlergruppe an. Insbesondere Malerei und Radierungen sind dabei die Ausdrucksformen ihres künstlerischen Wirkens. Was wiederum sehr gut zum ausgewählten Raum im obersten Stock der Galerie Backnang passt. Denn hier finden sich, überdimensional vergrößert, zum Teil verfremdet oder neu interpretiert, Radierungen von Albrecht Dürer wieder, die die Künstlerin Kathrin Sonntag an den Wänden angebracht hat.
Kunst mit neuen Formaten vermitteln
Doch neben der Kunst ist Draxler-Kolb seit etwa 20 Jahren als Fitnesstrainerin tätig. Und so fügt sich eines nahtlos ins andere. Galerieleiter Martin Schick hatte sich mit Ursula Draxler-Kolb in Verbindung gesetzt, da er sie als Künstlerin kannte. Es war um seine Ideen gegangen, wie man Formate finden und umsetzen könne, um Kunst zu vermitteln. „Es fiel ihm dann ein, dass ich auch Sport mache“, erinnert sich die Künstlerin, „und er hat mir dann die Idee vorgetragen, die ich auch schön finde – nämlich, das Haus aufzumachen, um Menschen anzusprechen, die vielleicht nicht so schnell den Weg in eine Galerie finden, aber am Sport interessiert sind.“ Über den Sport also gewissermaßen mit der Kunst in Berührung zu kommen – so lautete die Idee hinter dem neuen Format.
Diese Idee fand die Künstlerin wiederum prima. „Das wäre einen Versuch wert.“ Dazu kam noch, dass ihr die aktuelle Ausstellung von Kathrin Sonntag (noch bis zum 19. November) ausgesprochen gut gefällt.
Parallelen zwischen den Kunstwerken und der Sportart
Sie sieht sogar gewisse Parallelen zwischen den Exponaten und Pilates. Man müsse mindestens zweimal hinschauen, sei manchmal irritiert über die dargestellten Bilder und Ausstellungsstücke, könne sich bewusst damit auseinandersetzen. Im Pilates sei es ähnlich – im Lauf der Zeit lerne man mehr über sich kennen, weil man einen anderen Blick auf sich bekomme. Die Wahrnehmung des eigenen Körpers werde viel besser, wenn man sich darauf einlasse. Wie eben auch auf die Werke von Kathrin Sonntag.
Mittlerweile treffen einige der sechs Teilnehmerinnen ein. Für diese Gruppengröße ist der Dürer-Raum optimal. Die Übungsmatten werden ausgebreitet, jede findet einen guten Platz. Warum sie ausgerechnet bei diesem Kurs mitmachen? Eine kennt das Gebäude noch aus der Schulzeit, eine andere ist selbst künstlerisch tätig und somit sei eine ungewöhnliche Räumlichkeit nicht außergewöhnlich, sondern ermögliche einen anderen Blickwinkel.
Gespräche über die Ausstellungsstücke
Kaum ist die letzte Kursteilnehmerin eingetroffen, geht es einen Stock tiefer. Denn das gehört zum Kurs dazu – man beschäftigt sich intensiv mit einem Raum und den Exponaten darin. Hier findet sich etwa eine Bank mit Löwenklauen, direkt darüber ein großformatiges Bild. Erst auf den zweiten Blick erkennt man, dass es nicht die Bank im Hochformat ist, sondern drei überdimensionale Pfeifenrohlinge, die in einer Reihe hintereinander angeordnet sind. Vorsichtig bewegen sich die Betrachterinnen durch den Raum, denn überall sind, recht fragil, Spazierstöcke in mit Wasser gefüllten Glasstiefelchen verteilt.
Ursula Draxler-Kolb beginnt, bald beteiligen sich alle am Gespräch über die Ausstellungsstücke: Was die paarweise angeordneten Bilder miteinander zu tun haben könnten oder warum der „Ablass“ ein Thema ist, Alltagsgegenstände, die auf völlig neue und unerwartete Weise dargestellt werden. Die Bilder regen zum Nachdenken, zum Austausch untereinander an. „Auch unser Körper ist ein Kunstwerk“, so eine Ansicht. Und die Kursleiterin fügt hinzu: „Man ist angehalten, sein Augenmerk auf die Dinge zu richten.“
Die Bewegung darf natürlich nicht zu kurz kommen. Und so begibt man sich schließlich wieder nach oben, zunächst zu einem ausführlichen Aufwärmen. Ganz konzentriert sind die Teilnehmerinnen dabei, lockern die Muskeln, dehnen sich, rollen sich ab und kommen wieder hoch. Ganz nach innen gerichtet, mit ruhigen und bedachten Bewegungen. „Damit wird der ganze Körper erst einmal durchbewegt“, erläutert Ursula Draxler-Kolb.
Im wahrsten Sinne des Wortes ein ganzheitlicher Abend, denn nicht nur der Körper wird hier trainiert, auch für den Geist gibt es verschiedenerlei Anregung.
Die Wahrnehmung des eigenen Körpers werde viel besser, wenn man sich darauf einlasse.