Plädoyer gegen die Bequemlichkeit

Beim IHK-Neujahrsempfang im Backnanger Bürgerhaus fordert Bezirkskammerpräsident Claus Paal mehr Mut zum Risiko

Bei ihrem Neujahrsempfang bemüht sich die IHK-Bezirkskammer Rems-Murr um regionale Parität. Deshalb wechselt der Veranstaltungsort von Jahr zu Jahr. Gestern war die regionale Wirtschaft mal wieder zu Gast in Backnang. Vor mehr als 750 Besuchern im voll besetzten Bürgerhaus sprach neben Bezirkskammerpräsident Claus Paal auch Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU).

IHK-Bezirkskammerpräsident Claus Paal geht optimistisch ins neue Jahr: „Unsere Unternehmen haben eine glänzende Ausgangslage für 2019.“

© Pressefotografie Alexander Beche

IHK-Bezirkskammerpräsident Claus Paal geht optimistisch ins neue Jahr: „Unsere Unternehmen haben eine glänzende Ausgangslage für 2019.“

Von Kornelius Fritz
und Lorena Greppo

BACKNANG. Was die Backnanger Wirtschaftsgespräche im Sommer sind, das ist der IHK-Neujahrsempfang im Winter. Hier treffen sich Unternehmer und Führungskräfte, aber auch Vertreter aus Politik und Gesellschaft, um sich Inspiration zu holen und miteinander ins Gespräch zu kommen. Als prominenten Gast konnte Bezirkskammerpräsident Claus Paal, der für die CDU im baden-württembergischen Landtag sitzt, diesmal seinen Parteifreund Peter Altmaier nach Backnang locken. Unter dem Titel „Wirtschaftspolitik in Zeiten globaler Herausforderungen“ sprach der Minister Aspekte an, die zum Erhalt der guten Wirtschaftslage beitragen können – darunter die Verpflichtung des Staates, die arbeitende Bevölkerung vor zu vielen Belastungen, etwa durch Steuern, zu schützen. „Wer bei der Arbeit ranklotzt, der soll auch etwas davon haben“, forderte Altmaier (ausführlicher Bericht folgt).

Zuvor hatte Kammerpräsident Claus Paal die Gäste ermutigt, das neue Jahr mit Optimismus anzugehen. „Unsere Unternehmen hier haben eine glänzende Ausgangslage für 2019“, sagte Paal. Zwar wisse auch er, dass jeder Aufschwung irgendwann ein Ende habe, „aber ich werde nicht zu denen gehören, die diese Entwicklung auch noch beschleunigen, indem man täglich darüber spricht“.

Die Digitalisierung ist in Paals Augen eine „erneute industrielle Revolution, die uns alle fordert“. Die Unternehmen müssten dies jedoch als Chance und nicht als Gefahr begreifen: „Gefährlich wäre es nach meiner Überzeugung, wenn wir zu langsam, zu zögerlich oder sogar zu träge voranschreiten“, erklärte der Präsident. Wer den Wandel scheue, könne eine böse Überraschung erleben: „Lassen Sie uns alles tun, dass der Teil unserer Gesellschaft, der bequem geworden ist, begreift, dass unser Erfolg nicht selbstverständlich ist“, forderte Paal.

Studenten träumen vom öffentlichen Dienst

Der IHK-Präsident, der nach eigener Aussage seit 20 Jahren immer die modernste Technik verwendet, ist fasziniert von den Möglichkeiten, die sich etwa durch künstliche Intelligenz eröffnen. Algorithmen könnten Herzerkrankungen besser vorhersagen als Ärzte, mit künstlicher Intelligenz könne man Einbrüche verhindern und vielleicht sogar die Verbreitung von „Fake News“ in den sozialen Netzwerken eindämmen. „Meiner Meinung nach können nur Algorithmen dafür sorgen, dass Algorithmen, die Ungutes anrichten wollen, gestoppt werden.“

Dass technologischer Wandel auch Ängste weckt – etwa die Sorge vor dem Verlust von Arbeitsplätzen – sei nicht neu. Schon die Erfindung des Automobils sei eine Bedrohung für Pferdehalter, Sattler und Kutscher gewesen, die Erfindung von Diesel- und Elektroloks habe die Heizer überflüssig gemacht. Gleichzeitig seien aber jedes Mal neue Berufe entstanden. Die Stadt Backnang bezeichnete Paal in diesem Zusammenhang als „Paradebeispiel für einen vollzogenen Wandel“. Ehemals Zentrum der Textil- und Lederindustrie, sei Backnang heute ein Hightechstandort im Bereich Maschinenbau und Raumfahrt.

„So wird es auch dieses Mal laufen, wir haben die Innovationsstärke, wir haben das Zeug dazu“, prophezeite der Kammerpräsident. Allerdings brauche man dafür mutige und kreative Unternehmer, die auch bereit seien, ein Risiko einzugehen. Mit Sorge registriert Paal deshalb, dass laut Umfragen 40 Prozent der Studenten von einer Beschäftigung im öffentlichen Dienst träumen. „Das größte Risiko für unsere Gesellschaft ist, wenn die Menschen kein Risiko mehr eingehen wollen“, mahnte Paal, der neben seinem Abgeordnetenmandat drei Firmen leitet.

Auch das Thema Luftreinhaltung und Dieselfahrverbote nahm in der Rede des Kammerpräsidenten breiten Raum ein. Obwohl die Luft so gut sei wie seit Jahrzehnten nicht mehr, müsse die Politik nun mit Fahrverboten Probleme bekämpfen, „die sie durch die Einführung fragwürdiger Grenzwerte selbst geschaffen hat“. Und es könne auch nicht die Lösung sein, dass alte Autos aus Stuttgart künftig anderswo herumfahren. „Wir müssen unseren Weg diskutieren. Wir werden uns sonst erfolgreich schlechtmachen“, sagte Paal, der seine persönliche Konsequenz bereits gezogen hat: Nachdem er lange Zeit mit einem Elektrofahrzeug unterwegs war, habe er sich jetzt wieder einen Diesel gekauft.

IHK-Geschäftsführer Beier wirbt für mehr Europa

Zum Ausklang des Empfangs, den SWR-Moderator Michael Antwerpes moderierte und Sängerin Jenny Marsala, Bassist Benni Jud und ihre Band schwungvoll umrahmten, stimmte der leitende IHK-Geschäftsführer Markus Beier die Besucher auf die Europawahl im Mai ein. Dabei stehe „verdammt viel auf dem Spiel“, sagte Beier. Grundlegende Werte und Freiheiten seien in Gefahr, „wenn populistische oder extreme Positionen im Europaparlament künftig die Debatten dominieren und Mehrheiten bilden“. Statt sich auf die vermeintlich gute alte Zeit starker Nationalstaaten zurückzubesinnen, brauche man „ein Mehr und nicht ein Weniger an europäischer Integration“, forderte Beier in seinem Schlusswort, ehe die Gäste beim Stehempfang auf ein hoffentlich erfolgreiches Wirtschaftsjahr 2019 anstießen.

Ein ausführlicher Bericht über den Auftritt von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier in Backnang folgt in unserer Mittwochausgabe.

Wirtschaftsgespräche am Buffet: Nach dem offiziellen Teil treffen sich die Besucher des Neujahrsempfangs im Foyer zum informellen Austausch.Fotos: A. Becher

© Pressefotografie Alexander Beche

Wirtschaftsgespräche am Buffet: Nach dem offiziellen Teil treffen sich die Besucher des Neujahrsempfangs im Foyer zum informellen Austausch.Fotos: A. Becher

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Erstellt:
8. Januar 2019, 06:00 Uhr

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