Pläne für Obere Walke werden konkret
Nach jahrelanger Hängepartie nimmt das Bauprojekt auf dem ehemaligen Industriegelände in Backnang Fahrt auf. Probleme mit dem Hochwasserschutz und Altlasten im Boden scheinen gelöst. Differenzen gibt es noch beim Thema Klimaneutralität.

Blick auf den künftigen Quartiersplatz in Richtung Murr. Hier können sich die Planer auch ein Café oder einen Biergarten vorstellen. Visualisierung: Dibag Industriebau AG
Von Kornelius Fritz
BACKNANG. Bevor auf dem fünf Hektar großen ehemaligen Industriegelände die Bagger anrollen können, muss der Gemeinderat zunächst einen Bebauungsplan verabschieden. Der sogenannte Auslegungsbeschluss, der in der heutigen Sitzung zur Abstimmung kommt, ist dabei ein wichtiger Meilenstein. Damit werden die wesentlichen Eckpunkte für das neue Quartier fixiert.
Bebauung: Auf der Oberen Walke sollen in erster Linie Wohnungen entstehen: Etwa 450 sollen es laut Projektleiter Sebastian Kuhlen von der Dibag Industriebau AG am Ende sein. Die Dibag will diese in ihrem Bestand behalten und vermieten. Gemäß der vom Gemeinderat beschlossenen Quote müssen ein Viertel davon Sozialwohnungen sein. Der Schwerpunkt liegt auf kleineren Wohneinheiten mit maximal drei Zimmern. Sollte es eine höhere Nachfrage nach größeren Wohnungen geben, könne man aber auch zwei kleinere zusammenlegen, erklärt Kuhlen. Neben dem Edeka-Markt soll ein neues Pflegeheim mit 75 Plätzen entstehen. Daneben ist an der Gartenstraße ein gewerblich genutztes Gebäude geplant, das an Arztpraxen und Dienstleister vermietet werden soll. Im Vergleich zu den im vergangenen Sommer vorgestellten Plänen gibt es noch eine wesentliche Änderung: Das damals geplante oberirdische Parkhaus wird nun doch nicht gebaut. Stattdessen sollen alle künftigen Bewohner des Quartiers ihre Autos in Tiefgaragen abstellen. Oben entsteht dadurch Platz für ein zusätzliches Wohngebäude.
Mobilitätskonzept: Das neue Quartier soll weitgehend autofrei werden. Lediglich für Besucher wird es oberirdische Stellplätze geben, die Bewohner parken in zentralen Tiefgaragen. Insgesamt 490 Stellplätze stehen dort zur Verfügung. Das würde aber nicht reichen, wenn ein Großteil der Haushalte zwei Fahrzeuge hat. Deshalb soll den Bewohnern der Verzicht aufs Auto so leicht wie möglich gemacht werden. Das Mobilitätskonzept beinhaltet unter anderem Carsharing mit Elektroautos und Mietfahrräder. Außerdem gehören zu jeder Wohnung zwei Fahrradabstellplätze direkt am Haus. Auch die ÖPNV-Anbindung werde verbessert verspricht Tobias Großmann, Leiter des Stadtplanungsamts. Künftig sollen im Viertelstundentakt Busse von der Oberen Walke zum Bahnhof fahren.
Energiekonzept: Die Energieversorgung könnte sich zu einem Streitpunkt entwickeln. Zwar verspricht Julia Friz von der Dibag ein „innovatives Energiekonzept mit einem hohen Anteil regenerativer Bausteine“. Geplant ist unter anderem ein Nahwärmekonzept mit Blockheizkraftwerk. Doch etlichen Stadträten ist das zu wenig. Sie fordern, das neue Quartier müsse komplett klimaneutral werden. Die Grünen machen davon sogar ihre Zustimmung für das Projekt abhängig: „Ohne Klimaneutralität werden wir den Bauantrag ablehnen“, stellte Fraktionschef Willy Härtner klar. Im Technischen Ausschuss stimmte er mit seinen beiden Fraktionskollegen deshalb schon einmal dagegen. In der heutigen Gemeinderatssitzung will Baudezernent Stefan Setzer das Energiekonzept noch einmal im Detail vorstellen und hofft, die Zweifler doch noch zu überzeugen.
Hochwasserschutz: Wegen der Nähe zur Murr ist das einer der kritischsten Punkte des Projekts. Lange Zeit hieß es, die Obere Walke könne erst dann vollständig bebaut werden, wenn das geplante Rückhaltebecken in Oppenweiler fertig ist. Das neue Konzept sieht nun allerdings vor, dass die Retentionsfläche, die durch die Bebauung wegfällt, komplett auf dem Gelände ausgeglichen wird, und zwar durch eine etwa 1,50 Meter tiefe Mulde zwischen der Murrpromenade und der ersten Häuserreihe. Diese werde aber nicht den Charakter eines Grabens haben, sondern könne von den Bewohnern als Grünfläche genutzt werden, betont Tobias Großmann. Nach Angaben der Stadt entsteht dadurch sogar ein Retentionsraumgewinn von 1140 Kubikmetern. Naturschutzverbände zweifeln diese Zahlen allerdings an: Die Berechnungen beruhten auf falschen Grundlagen, der Ausgleich existiere nur auf dem Papier.
Altlasten: Die Obere Walke hat ihren Namen von den Gerbereien, die dort einst Leder walkten. Dabei kamen giftige Stoffe wie Chrom, Arsen und Ammonium zum Einsatz, die sich bis heute im Boden befinden. Bei der Bebauung muss verhindert werden, dass diese an die Oberfläche oder ins Grundwasser gelangen. Ein Sachverständiger hat dafür ein Konzept entwickelt. So wird das belastete Erdreich im Bereich der Retentionsfläche vollständig ausgehoben und entsorgt. Auf den übrigen unversiegelten Flächen soll eine Abdichtung aus Ton und Vlies verhindern, dass Regenwasser bis in die kontaminierten Schichten vordringt.
Einwendungen: Bei der sogenannten frühzeitigen Öffentlichkeitsbeteiligung hatten Institutionen und Bürger die Möglichkeit, Anregungen und Bedenken vorzubringen. Vor allem die Naturschutzverbände um BUND-Vorstand und OB-Kandidat Andreas Brunold haben von dieser Möglichkeit reichlich Gebrauch gemacht. Unter anderem kritisieren sie die Dichte der Bebauung und warnen vor einer „möglichen Gettobildung“, die Stadt hält diese Befürchtung jedoch für unbegründet. Bedenken formulieren die Naturschützer auch beim Artenschutz: Sie vermuten auf dem Gelände Zauneidechsen, Fledermäuse und geschützte Schmetterlinge. Die Stadt verweist auf mehrere Gutachten verschiedener Experten. Demnach gebe es keine Hinweise darauf, dass auf der Oberen Walke geschützte Tiere leben.
Zeitplan: Das insgesamt fünf Hektar große Gelände wird in mehreren Teilabschnitten bebaut. Los geht es mit dem Pflegeheim: Dort ist Eile geboten, denn die „Dienste für Menschen“ darf ihr „Haus am Berg“ nur noch bis Ende 2022 am bisherigen Standort betreiben, weil es die Vorgaben der neuen Landesheimbauverordnung nicht erfüllt. Baubeginn soll laut Sebastian Kuhlen deshalb noch in diesem Jahr sein. Im kommenden Jahr soll dann der Spatenstich für die ersten Wohngebäude sein. Insgesamt wolle man das Gebiet zügig aufsiedeln, erklärt der Projektleiter. Bis Ende 2028 solle die Obere Walke vollständig bebaut sein.