Chaos um Kanzlerwahl
Plant die AfD bei der Vertrauensfrage ein Komplott?
Am 16. Dezember will Kanzler Olaf Scholz im Bundestag die Vertrauensfrage stellen. Gerechnet wird mit einer Niederlage, die dann zu Neuwahlen führt. Doch die AfD könnte diesen Plan durchkreuzen.
Von Tobias Heimbach und Rebekka Wiese
Nach dem Ende der Ampelkoalition einigten sich die Parteien im Bundestag schnell auf das weitere Vorgehen, das zu Neuwahlen führen soll. Am 16. Dezember will Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) die Vertrauensfrage im Bundestag stellen. Da SPD und Grüne nicht genug Stimmen haben, dürfte er auf keine Mehrheit kommen. Erst dann kann der Bundespräsident das Parlament auflösen, damit am 23. Februar ein neuer Bundestag gewählt werden kann. Doch nun gibt es Stimmen aus der AfD, die erwägen, Scholz im Amt zu halten. Möglich wäre es auch, dass CDU-Chef Friedrich Merz zum Kanzler gewählt wird. Was denkbar wäre und wie realistisch das ist: ein Überblick.
Was hätte die AfD davon, Scholz im Amt zu halten? Laut einem Bericht des Nachrichtenmagazins „Politico“ hat der AfD-Bundestagsabgeordnete Jürgen Pohl in einem Chat der Fraktion angekündigt, bei der Vertrauensfrage für Scholz zu stimmen. In der zitierten Nachricht begründete er das damit, dass er „Herrn Merz unter keinen Umständen in verantwortungsvoller Position sehen“ wolle. Mit Blick auf den Frieden sei Scholz „das kleinere Übel“. Andere Abgeordnete äußerten sich ähnlich. Die AfD verfolgt immer wieder die Strategie Chaos zu stiften, um das demokratische System verächtlich zu machen. Auch bei der Ministerpräsidentenwahl des FDP-Kandidaten Thomas Kemmerich 2020 in Thüringen ging die Partei ähnlich vor.
Wird es dazu wirklich kommen? Das ist unwahrscheinlich. Bislang sind es nur vereinzelte Stimmen, die sich für eine Zustimmung zu Scholz aussprechen. Die Parteispitze ist offenbar dagegen. „Die Fraktionsspitze fordert seit Monaten Neuwahlen und wird auch entsprechend empfehlen, dem Bundeskanzler das Vertrauen nicht auszusprechen“, sagte der Sprecher der AfD-Parteichefin Alice Weidel laut dem Bericht von „Politico“. Ein Restrisiko bleibt aber trotz dieser Äußerung: Wie die AfD wirklich vorgeht, wird sich erst bei der Abstimmung selbst zeigen.
Wie könnten SPD und Grüne verhindern, dass die AfD die Abstimmung für ihre Zwecke missbraucht? Bislang haben Grüne und SPD erklärt, dass sie Scholz bei der Abstimmung das Vertrauen aussprechen wollen. Beide Parteien kommen zusammen auf 324 Sitze. 367 Stimmen wären notwendig, um die Vertrauensfrage zu bestehen. Mehr als die Hälfte der 76 AfD-Abgeordneten müsste also für Scholz stimmen. Doch die SPD überlegt schon jetzt, was sie in einem solchen Fall tun könnte. „Wenn die Gefahr besteht, dass die AfD für den Kanzler stimmt, damit die Vertrauensfrage scheitert, werden wir handeln“, sagte der SPD-Abgeordnete Axel Schäfer dem „Handelsblatt“. Eine Option sei es, sich zu enthalten. So wurde auch 2005 verfahren, als Kanzler Gerhard Schröder (SPD) die Vertrauensfrage mit dem Ziel stellte, Neuwahlen herbeizuführen. Rund die Hälfte der Abgeordneten von SPD und Grünen enthielt sich damals.
Kann der derzeitige Bundestag CDU-Chef Friedrich Merz zum Kanzler wählen? Das Grundgesetz sieht das konstruktive Misstrauensvotum vor, mit dem ein Regierungswechsel herbeigeführt werden kann. Das bedeutet: Man kann den aktuellen Kanzler nicht einfach abwählen. Das geht nur, wenn man sich auf einen erfolgreichen Gegenkandidaten einigt. In der Geschichte der Bundesrepublik gab es das bislang einmal: 1982 kündigte die FDP die Koalition mit der SPD auf und wählte Helmut Kohl (CDU) zum Bundeskanzler. Im aktuellen Bundestag gäbe es höchstens eine rechnerische, aber keine politische Mehrheit für eine Kanzlerschaft von Friedrich Merz. CDU, CSU, AfD, FDP und weitere Abgeordnete könnten ihn wählen. Doch das will aktuell nicht mal die AfD, die der Union in der Vergangenheit schon häufiger eine Zusammenarbeit angeboten hatte.
Was sagt Merz zu einem solchen Szenario? Auch von Seiten der Union ist klar, dass sich Merz nicht mit Stimmen der AfD zum Kanzler wählen lassen will. Die „Brandmauer“, die der CDU-Parteichef gezogen hat, schließt dies aus. Merz hat dieses Versprechen in der vergangenen Woche noch einmal erneuert. In der Debatte im Bundestag sagte er mit Blick auf die AfD und mögliche Wahlen: „Weder vorher noch nachher noch zu irgendeinem anderen Zeitpunkt gibt es eine Zusammenarbeit meiner Fraktion mit ihren Leuten.“