Neuwahl
Politologe: „Ich halte 20 Prozent für die AfD für absolut realistisch“
Der Politikwissenschaftler Sven Leunig von der Universität Jena spricht im Interview über die Wahlchancen der AfD. Und darüber, warum dafür, wie die AfD jetzt abschneidet, das konkrete Programm eher zweitrangig ist.
Von Aleyna Cumart
Die Ampelkoalition ist zerbrochen. Was heißt das für die AfD – profitiert sie von den Neuwahlen? Oder könnte sie das schwächen? Der Politologe Sven Leunig hat eine klare Antwort. Er spricht über interne Herausforderungen und Strategien der Partei.
Herr Leunig, die Ampelkoalition ist zerbrochen, jetzt stehen Neuwahlen an. Ist das für die AfD eigentlich eine gute Nachricht?
Auf jeden Fall. Die AfD hat immer wieder behauptet, dass die etablierten Parteien nicht ordentlich miteinander regieren könnten. Jetzt fühlt sie sich bestätigt. Ein Teil der Bevölkerung findet, dass es drängende Probleme gibt, die die Regierung nicht lösen konnte. Zum Beispiel die Migrationsfrage, die viele Menschen beschäftigt. Oder denken Sie an das Heizungsgesetz, um das es viel Ärger gab. Solche Fehler wird die Partei natürlich ausspielen und versuchen, damit Wähler zu gewinnen.
Meinen Sie, das wird der AfD gelingen?
Ich denke mal, sie hat gute Chancen. Allein das Scheitern der Ampelregierung wird ihr Stimmen bringen.
Und das wird der Partei wirklich reichen, um von den Neuwahlen zu profitieren?
Ich glaube nicht, dass die AfD ihre Strategie in irgendeiner Weise nennenswert anpassen muss. Sie wird die Strategie fahren, die sie immer fährt und mit der sie sehr erfolgreich ist: auf die Schwächen der Ampelregierung hinzuweisen oder auf andere unbearbeitete Probleme.
Bedeutet das, dass mit einer neuen Regierung dann auch die Zustimmung für die AfD nachlassen wird?
Das hängt natürlich davon ab, ob diese ihrerseits in der Lage sein wird, die großen Herausforderungen der Zeit, nehmen wir auch das Verhältnis zur neuen Trump-Regierung oder die Rezession, in der sich unsere Wirtschaft befindet, zu lösen.
In Umfragen liegt die AfD aktuell bei 18 bis 20 Prozent. Mit was für einem Ergebnis rechnen Sie bei der Bundestagswahl?
Das wäre jetzt Glaskugellesen, das kann man nicht wirklich kalkulieren. Das hängt ganz davon ab, wie der Wahlkampf läuft. Aber ich halte 20 Prozent für die AfD für absolut realistisch.
Wie kommt es, dass die Partei gerade in den vergangenen Jahren so erfolgreich geworden ist?
Es ist weniger komplex als man vielleicht denken mag. Es ist einfach dieses schlechte Bild der vorherigen Regierung. Die AfD hatte es in dieser Zeit leicht, jedes Problem in Deutschland mit Migration zu verknüpfen. Das ist strategisch gesehen sehr klug. Denn viele Menschen haben offenbar den Eindruck, dass sich die anderen Parteien nicht genug bemühen, Migration zu begrenzen. Deshalb reitet die AfD immer auf diesem einen Thema herum – und hat damit diesen großen Erfolg.
Also wählen die Menschen aus Protest die AfD?
Mit Protest hat das an sich nur noch bedingt zutun. Das war vielleicht vor zehn Jahren anders. Aber es gibt Studien, die klar zeigen, dass die Wähler der AfD tatsächlich überzeugt von der Partei sind und es auch gutheißen würden, wenn sie regieren würde.
Vertreter der AfD äußern sich immer wieder offen rechtsextremistisch. Warum schreckt das die Wähler nicht ab?
Gute Frage. Ein wichtiger Grund dafür dürfte sein, dass viele Anhänger der Partei konventionellen Medien nicht glauben, wenn sie rechtsextremistische Äußerungen von AfD-Mitgliedern veröffentlichen, Stichwort „Lügenpresse“. Sie gehen davon aus, dass Äußerungen bewusst aus dem Zusammenhang gerissen, verdreht und absichtlich falsch interpretiert werden.
Der Wahlkampf kommt für die Partei jetzt kurzfristig. Wie gut ist die AfD darauf vorbereitet?
Sie ist darauf nicht gut vorbereitet. Allein einen Tagungsort für die Aufstellung der Kandidaten zu finden, ist ein Problem. Die AfD steht aber noch vor anderen Herausforderungen. Zum einen könnte es sein, dass sie dieses Mal deutlich mehr Sitze im Bundestag bekommt. Sie muss deshalb mehr Kandidaten aufstellen. Ein anderes Problem ist die Frage, wie die AfD ihren Wahlkampf bezahlen will. Die Partei hat offensichtlich Probleme damit, Spender zu finden. Denn ein Wahlkampf kostet viel Geld.
Wie wichtig ist das Programm der AfD für den Wahlkampf?
Wollen wir mal realistisch sein: Wer liest Parteiprogramme? Viel wichtiger ist, wie die Partei auftritt, was auf den Plakaten steht und wie ihre Wahlkampfreden ankommen. Das ist das, was den Wählern ins Auge springt. Das dürfte die AfD wissen. Was sie in ihr Programm schreibt, ist für sie nur zweitrangig.
Das Gespräch führte Aleyna Cumart.
Politikwissenschaftler in Jena
SchwerpunkteDr. Sven Leunig, geboren 1967 in Salzgitter, ist Dozent an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena, am Institut für Politikwissenschaft. Seine Schwerpunkte sind Parlamentarismus, Populismus und Föderalismus.