Juze-Workshop: Praktische Tipps von den Dragköniginnen

Beim Drag-Workshop mit anschließender Show im Backnanger Juze lassen Vava Vilde und Simply Sir keine Frage unbeantwortet. Sie erklären, wie man mit Make-up, Perücken und anderen Hilfsmitteln in andere Geschlechterrollen schlüpft.

Vava Vilde (rechts) und Simply Sir gaben Tipps für ein gelungenes Grad-Make-up. Foto: Tobias Sellmaier

© Tobias Sellmaier

Vava Vilde (rechts) und Simply Sir gaben Tipps für ein gelungenes Grad-Make-up. Foto: Tobias Sellmaier

Von Marina Heidrich

Backnang. Wer bin ich? Eine Frage, die bei reflektiertem Nachdenken nicht so leicht zu beantworten ist. Nicht für einen Erwachsenen und schon gar nicht für Jugendliche auf der Suche nach einer eigenen Identität. Noch schwieriger wird das Ganze, wenn man nicht weiß: Bin ich überhaupt im richtigen Körper?

Der Rems-Queer-Kreis ist eine Jugendgruppe für queere Jugendliche bis 27 Jahren. Also offen für alle, die sich als lesbisch, schwul, bisexuell, pansexuell, trans, inter, queer, asexuell oder aromantisch et cetera identifizieren. Auch Menschen, die sich fragen, ob sie vielleicht queer sind, sind willkommen. Die Gruppe trifft sich regelmäßig in den Räumen des Juze Backnang. Am Ostersamstag veranstaltete der Rems-Queer-Kreis dort einen Drag-Workshop.

Drag ist eine Kunst- und Ausdrucksform, die mit Geschlechterstereotypen spielt – und sie ist keine „Erfindung“ der Neuzeit. Diese künstlerische Form des Geschlechterwechsels, meist zu Unterhaltungszwecken aber auch als politisches Statement, hat eine lange Geschichte. In Europa reicht sie viele Jahrhunderte zurück. So waren im antiken Griechenland beispielsweise Frauen von den dargestellten Dramen ausgeschlossen, ihre Rollen wurden von Männern übernommen. In Rom setzte man Sklavinnen zur Unterhaltung ein, bis diese durch das aufkommende Christentum sozusagen befreit wurden. Was allerdings dann in ein Jahrhunderte dauerndes Spielverbot für Frauen an Theatern mündete. Ihre Parts wurden ausschließlich von Männern in Damenkleidern gespielt.

Dragqueens wurden einerseits bewundert, andererseits verfolgt

Gegen Ende des 17. Jahrhunderts traten dann wieder Frauen vor Publikum auf, manche zunächst in den sogenannten „Hosenrollen“, sprich: als junge Männer getarnt. Das kann man durchaus als die Anfänge der Dragkings bezeichnen , also dem weiblichen Gegenstück der Dragqueens. Im Lauf der Geschichte gab es immer wieder Phasen, wo Dragqueens einerseits idealisiert, bewundert und berühmt wurden – und andererseits sogar wegen ihrer Kunst im Gefängnis, KZ oder auf dem Scheiterhaufen landeten. In der Moderne geht die Tendenz wieder Richtung Akzeptanz, die Sichtbarkeit von queeren Personen hilft dabei. Und somit bietet sich für Jugendliche eine Möglichkeit, den Weg zum eigenen Ich auszutesten. Marco Schimpf, Mitglied des Orgateams Rems-Queer-Kreis, sieht in diesen Aktionen eine Chance.

Der Workshop im Juze ließ fast keine Fragen offen. Mit den beiden Dozenten hatte der Rems-Queer-Kreis allerdings auch echte Experten geholt. Ungeschminkt und in Zivil erläuterten die Drag-Größen Simply Sir und Vava Vilde alle Details zum Thema, gaben Tipps, beantworteten Fragen. Welche Perücken gibt es, aus welchen Materialien, wie geht man damit um? Wie und mit welchen Mitteln ändert man die Körperproportionen? Natürlich gibt es mittlerweile auf Drag spezialisierte Online-Shops, doch das eine oder andere findet man auch im Baumarkt vor Ort. Wie setzt sich ein gelungenes Bühnen-Make-up zusammen, was sind die Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Gesichtszügen und wie erschafft man mit gekonnten Hell-Dunkel-Tönen eine perfekte Illusion?

Das Paillettenkleid ist der natürliche Feind der Langhaarperücke

Mit Vava Vilde hatten sich die Veranstalter auch keine Unbekannte in das Backnanger Juze geholt. Immerhin war die Stuttgarterin bereits 2019 in der ersten Staffel von „Queen of drags“ auf Pro Sieben zu sehen und erreichte dort den 3. Platz. Die Jury bestand damals unter anderem aus Heidi Klum und Conchita Wurst. Vava Vilde hat ihren ganz eigenen Stil, in Make-up und Kostüm wird sie zu einem Wesen aus einer anderen Welt und unterscheidet sich schon dadurch von anderen Dragqueens. Vava Vilde und Simply Sir wechselten sich bei den verschiedenen Themen ab, nahmen den Workshop ernst und lockerten ihn dennoch durch Berichte aus den eigenen Anfängen auf. So schilderte Simply Sir anschaulich und amüsant, dass Paillettenkleider der natürliche Feind von Langhaarperücken sind.

Beide Dozenten verfügen über ein breites Wissen in allen Bereichen, die mit dem Thema irgendwie zu tun haben: Malerei, Farblehre, historische Hintergründe, Materialeigenschaften und vieles mehr. Doch beide wiesen auch immer wieder darauf hin: ausprobieren muss man selber. Auch im Drag-Bereich gilt: Nur Übung macht den Meister – oder eben die Meisterin. Und Lippenstift plus Perücke plus Kleid macht noch lange kein atemberaubend exotisches Wesen mit ganz eigenem Charakter. Für Vava und Simply Sir war es ein langer Weg zum Dragqueen-Ich. Doch beide können die Frage „Wer bin ich“ für sich mittlerweile beantworten und mit diesem Workshop eventuell anderen eine Hilfe sein.

Am Abend bestand für die Workshop-Teilnehmer dann als Höhepunkt die Möglichkeit, mit Vava Vilde, Simply Sir und anderen bei einer Show aufzutreten.

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Erstellt:
11. April 2023, 06:00 Uhr

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