Bäcker von der Schwäbischen Alb
Preisgekrönter Albbäcker - Beckabeck ist vor allem der Heiner
Sein Kerngeschäft ist das Backen, sagt Heiner Beck. Doch er ist auch ein Erfinder. Zum Beispiel wird sein Betrieb auf der Alb immer klimafreundlicher und wächst. Dabei hat es Beck gar nicht auf das Größerwerden abgesehen.
Von Judith A. Sägesser
Beim Vorzeigebäcker herrscht akutes Chaos. Ins Büro vom Chef gelangt man noch am geschicktesten durch die Backstube, in der die Leute gerade auf- und umräumen. Es ist später Vormittag, der Schwall an Broten und Brezeln ist längst vom Hof. Auf- und umgeräumt wird gerade aber sowieso beim Beckabeck. Der Firmensitz in Römerstein-Böhringen auf der Schwäbischen Alb ist eine Baustelle, der Haupteingang dicht. Heiner Beck kann sich Schöneres vorstellen. Wegen der Kisten, die überall stehen, aber auch wegen der Bürokratie. Dabei hat er sich die Baustelle ja sozusagen selbst gebacken. Der Fünf-Millionen-Euro-Anbau ist ein Ergebnis seines Erfolgs.
Heiner Beck sitzt an seiner Kaffeetasse, daneben eine Etagere mit Lebkuchen und Schnitzbrot. Der 61-Jährige erzählt, wie Beckabeck zu dem wurde, was es heute ist: eine Albbäckerei, die immer klimafreundlicher wirtschaftet und dabei ganz langsam wächst. „Wie ein Baum“, sagt er.
Gesamtumsatz der Bäcker steigt
Das entspricht nicht unbedingt dem Trend. Laut dem Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks sinkt die Zahl der Betriebe stetig. Vor 60 Jahren gab es noch 55 000, 2016 knapp 12 000 und im vergangenen Jahr waren es nur noch 9200. Von einem Bäckereisterben spricht der Verband allerdings nicht mehr, denn das Filialnetz wächst inzwischen wieder. Der Gesamtumsatz der Branche ist von 14,3 Milliarden Euro (2016) auf 17,5 Milliarden Euro (2023) gestiegen. Daraus lässt sich ablesen: Die Zukunft erfordert Größe.
Nicht beim Beckabeck. Der Betrieb ist mit seinen 21 Filialen in den Landkreisen Reutlingen und Donau-Alb kein Großbäcker, sondern höchstens ein Bäckereikettle. Die Marke hat dennoch Strahlkraft – sogar bis nach Stuttgart. Dort serviert zum Beispiel die Garbe in Plieningen zu Salat und Suppe Brot aus Böhringen. Und 2021 hat ihn das Fachmagazin Allgemeine Bäckerzeitung zum Bäcker des Jahres gekürt.
Beim Kaffee im Büro über der Backstube sagt Heiner Beck, er habe weder Wachstumsziele noch einen Businessplan. „Wofür brauchsch des?“ Kostet nur Zeit und Geld, findet er. Sein Business ist Teig, nicht Papier. Im Büro arbeiten nur sechs Leute, er habe nicht mal eine Personalabteilung. Seine alles in allem 350 Mitarbeiter seien halt eingestellt worden – „und dann waren sie da“.
Heiner Beck hat seinen Kompass im Kopf. „Ich mach’ mir schon meine Gedanken“, sagt er. Und dann kommt es vor, dass er mit sich ins Zwiegespräch geht: „Heiner, wenn du es machst, dann machst du es richtig.“ Oder: „Heiner, Backen ist dein Kerngeschäft.“ Er ist sich selbst sein bester Berater. Er bringt sich auf neue Ideen. Und sicher stimmt das schon mit dem Kerngeschäft, aber dieser Heiner ist eben nicht nur ein Bäckersmann. Er ist auch ein Erfindergeist. Er sagt: „Leute, die erfolgreich sind, lassen sich was einfallen.“
Urach ist Heimat von Özdemir und der Brezel
Das beginnt ja schon beim Namen. Heiner Beck kommt aus dem Tal, aus Urach, heute Bad Urach. Das ist nicht nur die Heimat von Cem Özdemir, sondern der Sage nach auch die der Brezel. Becks Vater war Bäcker, seine Großväter auch. Im Ort habe es im schwäbischen Volksmund geheißen, man gehe „zum Becka Beck“, gesprochen ohne Pause, eben Beckabeck.
Heiner Beck übernahm den Rufnamen und den väterlichen Betrieb mit einer Filiale 1991. Die Backstube war winzig, sie mussten den Arbeitstisch an die Decke hochziehen, um sich dort überhaupt bewegen zu können. Zu eng für den Jungbäcker, der im In- und Ausland gelernt hatte: „Ich war heiß“. Er wollte eine Halle, in die vorne Zutaten reingehen und hinten Backwaren rauskommen. Weil er für seinen Traum in Bad Urach keinen Bauplatz fand, zog er 1997 auf die Alb.
Zutaten aus der Nachbarschaft
„Ich wollte es anders machen“, sagt Heiner Beck. In der Gegend rund um Böhringen war bis dato vor allem Futtergetreide angebaut worden. Der Boden ist hier karg und steinig. Doch der Bäcker Beck wünschte sich sein Brotgetreide von nebenan und sprach mit den Bauern.
Heute bezieht er Dinkel, Weizen, Einkorn, Kümmel, Koriander, Mohn oder Buchweizen aus der Nachbarschaft. Seit 2001 wächst das gesamte Getreide, das Beck kauft, auf der Schwäbischen Alb, seit 2011 kauft er es in Bio-Qualität. Und auch seine Rohmilch kommt aus Böhringen, 300 bis 500 Liter am Tag. „Die Milch, die ich morgen verbacke, läuft jetzt noch mit der Kuh spazieren.“
Das Geheimrezept des Bäckers Heiner Beck
Er wischt auf seinem Smartphone hin und her, dann hat er das Foto auf dem Bildschirm: Männer an einem Aufstellgrill, irgendwo am Wegesrand. „So sieht es aus, wenn Bäcker und Bauer spontan zusammen grillen, da besprechen wir, was wir im nächsten Jahr anbauen.“ Wir. Dabei ist sein Kerngeschäft doch angeblich das Backen.
Bei Heiner Beck gehört der Anbau ganz klar zum Backen, das ist sein Geheimrezept. Der Handschlag, das Nahbare. „Wir sind Freunde, wir sind keine Geschäftspartner mehr“, sagt er über die Bauern, seine Rohstofflieferanten. „Wir können uns aufeinander verlassen.“ Er ist überzeugt, dass dieses Persönliche auf seine Backwaren abfärbt. Und es ist sogar mehr als Überzeugung, denn Heiner Beck ist in die Wissenschaft gerutscht. Durch eine lustige Begebenheit.
Vor zehn Jahren war er bei der Slowfood-Messe auf den Fildern. „Ich hab mich, wie ich es immer mach’, in die letzte Reihe gesetzt“, erzählt er. Damit er schnell wieder draußen ist, wenn es ihn anödet. Neben ihm saß ein Mann, dem ging’s wie ihm. Neumodisches Zeug, das sie nicht die Bohne interessierte. Draußen kamen sie ins Gespräch. Daraus entstand eine Freundschaft. Da hatten sich Zwei nicht gesucht, aber gefunden.
Bei dem Mann handelt es sich um Friedrich Longin, Professor und Züchtungsforscher bei der Landessaatzuchtanstalt in Stuttgart-Hohenheim. Einen Namen gemacht hat er sich vor allem mit seinem Engagement für die Urgetreide Emmer, Dinkel und Einkorn. Den Hohenheimer Forschern ist es in den zurückliegenden 20 Jahren gelungen, den Ertrag von heimischem Emmer und Dinkel um rund 50 Prozent zu steigern. Eine klare thematische Schnittmenge mit Heiner Beck.
Kooperation mit Friedrich Longin aus Stuttgart
Dieses Jahr ist das Duo mit dem bundesweiten Seifriz-Preis ausgezeichnet worden. Für „herausragende Kooperationen zwischen Wissenschaft und Handwerksbetrieben“. Weil sie sich perfekt ergänzen. „Was der eine kann, braucht der andere“, schreiben sie auf ihrer gemeinsamen Internetseite. Gemeinsam tüfteln sie am Weizenanbau, aber auch an langen Teigruhen, die seine Brote noch bekömmlicher machen sollen.
Auch für diese Teigruhen baut Heiner Beck jetzt an. Er braucht Raum, um seine Teige länger gekühlt gehen zu lassen. Und er baut für die Mitarbeiter, wie er sagt. „Damit man sich wieder besser drehen kann.“ Man müsse ja schauen, dass man überhaupt noch Leute bekomme, die schaffen wollen und können. „Ich bin stolzer Hauptschüler“, sagt er. „Ich kann das kleine Einmaleins, ich kann das große Einmaleins, ich kann Dreisatz und logisches Denken.“ Das seien heute leider keine Selbstverständlichkeiten mehr.
Aber Heiner Beck weiß sich zu helfen und geht auch bei der Rekrutierung neue Wege. „Ich hole jetzt Lehrlinge aus Madagaskar“, erzählt er. Zusammen mit dem Metzger Failenschmid und der Post in Feldstetten habe er das organisiert. Zehn bis zwölf Azubis im Alter von Anfang bis Mitte 20 seien schon da. Sie hätten in Madagaskar Deutsch gelernt und blieben für mindestens sechs Jahre auf der Alb, vielleicht ja auch für immer. „Mit schwäbisch tun sie sich noch schwer.“
Beim Beckabeck bezahlt der Kunde nach Gewicht
Was die Lehrlinge vermutlich rascher lernen werden als die Mundart, ist das Handwerk. Und dazu gehört: In der Beckschen Backstube ist jedes Weckle individuell geformt und handgedreht. „Oder auch meine Seelen“, sagt der Chef, „der Chris macht eher kleine, dicke Seelen, beim Daniel sind sie lang gezogener“. Er ahmt es mit den Händen nach. An der Theke werden Brötchen und Seelen gewogen, die Kundschaft zahlt beim Beckabeck nach Gewicht. Es gibt nichts von der Stange, „da steckt ein Mensch dahinter“, sagt er. Der Chris oder der Daniel, vor allem aber eben der Heiner.
Der Betrieb ist stark auf ihn zugeschnitten, das weiß Heiner Beck, und das macht es nicht einfacher. Denn so langsam bereiten sie die Übergabe vor. Seine drei Töchter und ein Schwiegersohn wollen fortführen, was er in Böhringen aufgebaut hat. „Ich muss gerade Demokratie lernen“, sagt er. Und darauf zu vertrauen, dass die Saat, die er ausgebracht hat, weiterhin aufgeht.