Prozess mit Sprengkraft: Spanien klagt Separatisten an

Puigdemont-Anhänger in Madrid vor Gericht – Verteidiger sehen Angriff auf Grundrechte

In Madrid beginnt der Prozess gegen zwölf führende katalanische Separatisten wegen der Organisation des Unabhängigkeitsreferendums im Oktober 2017.

Madrid Plötzlich entrollt jemand eine spanische Fahne und ruft: „Puigdemont a prisión.“ Puigdemont ins Gefängnis. Ein Moment der Irritation, dann beginnt die Menge auf Katalanisch „Freiheit für die politischen Gefangenen“ zu schreien. Und bald hat die Polizei den einsamen Rufer, der den geflohenen Ex-Präsidenten Carles Puigdemont gern im Gefängnis sähe, beiseitegedrängt.

Der Zwischenfall am frühen Dienstagmorgen war wie eine Kurzinszenierung des politischen Konfliktes, der kurz darauf einen Straßenblock entfernt im Obersten Gerichtshof für mehrere Monate seine Hauptbühne aufschlagen sollte. Ein paar Dutzend Separatisten rund um den katalanischen Ministerpräsidenten Quim Torra hatten sich anderthalb Stunden vor Prozessbeginn auf dem Madrider Paseo de Recoletos versammelt, um ihren Protest gegen ebendiesen Prozess auszudrücken. „Entscheiden ist kein Delikt“ steht auf ihrem Transparent, womit sie sagen wollen: Die Organisation eines Referendums kann ja wohl keine Straftat sein. Das sehen andere ganz anders.

Hier in Blickweite, auf der Plaza de Colón, haben sich zwei Tage zuvor 45 000 Menschen versammelt, um die „Putschisten“ (also die Veranstalter des katalanischen Unabhängigkeitsreferendums am 1. Oktober 2017) ins Gefängnis zu wünschen. Unversöhnliche Positionen. Das ist das politische Klima, in dem Spaniens Oberster Gerichtshof in den kommenden Wochen und Monaten seine Arbeit zu tun hat.

Die sieben Richter haben seit diesem Dienstag über Schuld oder Unschuld von zwölf Angeklagten zu befinden: darunter die halbe ehemalige katalanische Regionalregierung mit Vizeministerpräsident Oriol Junqueras an der Spitze. Die Staatsanwaltschaft wirft neun Hauptangeklagten unter anderem Rebellion vor, vergleichbar dem deutschen Straftatbestand des Hochverrats. Je nach dem Grad ihrer Verantwortung bei der Vorbereitung und Durchführung des Unabhängigkeitsreferendums sollen sie dafür mindestens 16 und höchstens 25 Jahre im Gefängnis verbringen.

Für diesen ersten Verhandlungstag haben sich die insgesamt 17 Verteidiger, so wie die katalanischen Demonstranten draußen, vorgenommen, den Strafprozess selbst infrage zu stellen. Auf der Straße sagt ein Sprecher der aktuellen Regionalregierung von Quim Torra mit einem breiten Lächeln, das keinen Zweifel zulässt: „Das Urteil steht doch längst fest.“ Das ganze Verfahren habe keinen anderen Zweck, als alle Unabhängigkeitsbefürworter einzuschüchtern. Drinnen im Verhandlungssaal schlägt der Anwalt von Oriol Junqueras in eine ähnliche Kerbe: Dieser Prozess sei „ein Ausnahmeverfahren“. Selbst im Krieg gebe es Regeln, hier würden sie nicht eingehalten. Das Verfahren stelle Grundrechte wie die ideologische Freiheit, die Redefreiheit und die Versammlungsfreiheit infrage. Nach dieser Sicht der Dinge stehen die Angeklagten nicht wegen konkreter Straftaten, sondern wegen ihrer Überzeugungen vor Gericht.

Die Ankläger sehen das anders. Wobei sie vor der Herausforderung stehen, das Gericht von der Gewalttätigkeit der Angeklagten zu überzeugen, einer Grundvoraussetzung für den Straftatbestand der Rebellion. Schon der Ermittlungsrichter hatte bei der Vorbereitung des Verfahrens seine liebe Not mit diesem Detail: Er stellte bei der deutschen Justiz einen Auslieferungsantrag gegen den geflohenen katalanischen Ex-Präsidenten Puigdemont, immerhin den Kopf des Unabhängigkeitsprozesses.

Doch das Oberlandesgericht von Schleswig-Holstein verweigerte die Auslieferung wegen Rebellion, da das notwendige „Gewaltniveau“ in den Tagen rund um das Referendum in Katalonien nicht erreicht worden sei. Puigdemont lebt nun im belgischen Exil. 500 Zeugen sollen in dem Verfahren aussagen, unter ihnen Ex-Premier Mariano Rajoy, der der Vorbereitung des Referendums nahezu tatenlos zusah, schließlich aber die ­Puigdemont-Regierung absetzte. Ganz gleich, wie das Verfahren ausgeht: Am Ende wird der Fall – davon ist der Präsident des spanischen Obersten Gerichtshofes überzeugt – „mit Sicherheit“ beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte landen.

Zum Artikel

Erstellt:
13. Februar 2019, 03:04 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen