Putins Plan – was will der Kreml-Chef?
Angst vor einem Atomkrieg: 2019 könnte zum Schicksalsjahr in den Ost-West-Beziehungen werden
Wladimir Putin hält wenig davon, der Öffentlichkeit allzu tiefe Einblicke in sein Privatleben zu gewähren. Kürzlich zeigte sich der russische Präsident bei einem Besuch in seiner Heimatstadt Sankt Petersburg aber von einer sehr persönlichen Seite. Am Grab seines Bruders Viktor legte er Blumen nieder und betonte den Schmerz seiner Familie, den er mit der Blockade Leningrads durch die Wehrmacht verbinde. Auch sein älterer Bruder starb damals, mit nur drei Jahren.
Es wäre sicher zu viel gesagt, wollte man behaupten, dass diese Geschichte die aktuelle Politik Moskaus wesentlich mit bestimmt. Aber sie schwingt doch gelegentlich mit. Genau dies sollte stets bedenken, wer nach Putins politischen Plänen fragt: Arbeitet der Kreml-Chef an der Restauration des russisch-sowjetischen Imperiums? Oder glaubt er wirklich an die behauptete Gefahr einer westlichen Einkreisung? Sicher ist, dass sich Moskau und der Westen seit der Eskalation der Ukraine-Krise 2014 und der russischen Annexion der Krim gegenseitig vorwerfen, die Spannungen in der Region bewusst zu erhöhen und offensive Ziele zu verfolgen. Zugleich behaupten beide Seiten, lediglich zum eigenen Schutz zu handeln. So hat die Nato noch 2014 eine sogenannte Speerspitze eingerichtet, die einen russischen Angriff auf die baltischen Staaten oder Polen binnen 48 Stunden beantworten soll. Die schnelle Eingreiftruppe mit ihren 5000 Soldaten ist das sichtbarste Zeichen, dass die westliche Staatengemeinschaft die Gefahr eines militärischen Ausgreifens Russlands im Osten Europas für real hält. Putin kontert: „Wir halten nur die Balance. Wir sorgen für unsere Sicherheit.“
In seiner großen Pressekonferenz zum Jahresende malte der Kreml-Chef aber ein düsteres Bild, wohin all dies führen könne. Die Angst vor einem Atomkrieg, bis hin zur „Vernichtung der gesamten Zivilisation“, sei berechtigt. Putin sagte dies nicht zuletzt mit Blick auf die angedrohte Aufkündigung des INF-Abrüstungsvertrages durch US-Präsident Donald Trump. Das Abkommen, das den Besitz von nuklearen Mittelstreckenwaffen verbietet, läuft am 2. Februar aus.
Die klassische Sandkastenfrage, wer angefangen hat, führt bei alldem nicht weiter. Mit ein wenig Distanz lässt sich kaum bestreiten, dass sich Russland durch die Nato-Präsenz im Osten Europas ernsthaft bedroht fühlen dürfte. Ebenso klar sein sollte aber, dass sich die Menschen im Baltikum, in Polen oder der Ukraine, die über Jahrhunderte russischen Aggressionen ausgeliefert waren, Angst vor dem Riesenreich haben.
Wegweisender dürfte deshalb die Frage sein: Welche Strategie verfolgt Putin in der Region? Manches spricht dafür, dass der Kreml-Chef 2019 auf eine kontrollierte Offensive setzen wird. Putin weist immer wieder darauf hin, dass sich nach dem Ende des Kalten Kriegs „über Nacht 25 Millionen Russen im Ausland wiederfanden“. Viele dieser Menschen leben bis heute in Ex-Sowjetrepubliken wie Georgien, der Ukraine, den baltischen Staaten oder Weißrussland. Der Kreml leitet daraus eine besondere Verantwortung für die Region ab, die als geopolitische Einflusszone betrachtet wird.
Wohin das im äußersten Fall führen kann, hat die Annexion der Krim gezeigt. Könnten Putins sinkende Umfragewerte und die wirtschaftlichen Probleme des Landes ihn in diesem Jahr zu neuen außenpolitischen oder militärischen Abenteuern verleiten? Dabei ist kaum davon auszugehen, dass der kühl kalkulierende Kreml-Chef im Baltikum die Speerspitze der Nato testen lässt. Die Ukraine und ökonomisch vollkommen abhängige Weißrussland könnte Putin aber durchaus ins Visier nehmen.
politik@stzn.de