Archäologie
Rätsel der Bornholmer Sonnensteine entschlüsselt
Archäologen könnten das Geheimnis der in ganz Europa einzigartigen „Sonnensteine“ von Bornholm gelüftet haben. Diese Steine mit eingeritzten Sonnenmotiven wurden vor 4900 Jahren in einer jungsteinzeitlichen Ritualanlage vergraben – offenbar als Opfergaben.
Von Markus Brauer
Im Laufe der Geschichte hatten Vulkanausbrüche schwerwiegende Folgen für die menschliche Gesellschaft, wie etwa kaltes Wetter, Sonnenmangel und schlechte Ernten.
Als im Jahr 43 v. Chr. ein Vulkan in Alaska große Mengen Schwefel in die Stratosphäre schleuderte, kam es in den folgenden Jahren in den Ländern rund um das Mittelmeer zu Ernteausfällen, Hungersnöten und Krankheiten. Dies ist in schriftlichen Quellen aus dem antiken Griechenland und Rom gut dokumentiert.
Verheerender Vulkanausbruch um 2900 v. Chr.
Aus der Jungsteinzeit gibt es keine schriftlichen Quellen. Doch Klimaforscher des Niels-Bohr-Instituts der Universität Kopenhagen haben Eisbohrkerne aus dem grönländischen Eisschild analysiert und können nun nachweisen, dass es um 2900 v. Chr. einen ähnlichen Vulkanausbruch gegeben hat. Ein Ausbruch, der für die damals in Nordeuropa lebenden, stark von der Landwirtschaft abhängigen Jungsteinzeitvölker ähnlich verheerende Folgen gehabt haben muss.
Die Forscher konnten eine Verringerung der Sonneneinstrahlung und eine daraus resultierende Abkühlung sowohl in den USA als auch in Europa um 2900 v. Chr. nachweisen. Dendrochronologische Analysen fossiler Hölzer zeigen Frostspuren in den Frühlings- und Sommermonaten sowohl vor als auch nach 2900 v. Chr.. Eisbohrkerne aus dem grönländischen Eisschild und der Antarktis enthalten Schwefel, der auf einen starken Vulkanausbruch hinweist.
- Zur Info: DieDendrochronologie (Holzaltersbestimmung) ist die einzige naturwissenschaftliche Methode, die eine jahrgenaue Altersbestimmung der Fälljahre von historischen Hölzern ermöglicht.
Klimaepisode in der Jungsteinzeit
Diese neuen Erkenntnisse über eine Klimaepisode in der Jungsteinzeit haben Archäologen der Universität Kopenhagen, des Dänischen Nationalmuseums und des Bornholmer Museums unter Leitung von Rune Iversendazu veranlasst, ihre Funde von so genannten Sonnensteinen aus der neolithischen Siedlung Vasagård auf Bornholm in einem neuen Licht zu sehen.
Die Studie ist im Fachjournal „Antiquity“ erschienen.
My conversation with Rune Iversen, one of the authors of the article "Sun stones and the darkened sun: Neolithic miniature art from the island of Bornholm, Denmark" that just got published yesterday by the Cambridge University Press Hi Rune I came across this article today:… pic.twitter.com/Yil8phI4EO — oldeuropeanculture (@serbiaireland) January 17, 2025
Fundorte Rispebjerg und Vasagård
Die Sonnensteine, kleine flache Schieferstücke mit fein eingeritzten Mustern und Sonnenmotiven, sind nur von der Ostseeinsel Bornholm bekannt, wo sie um 2900 v. Chr. an zwei Stellen im Süden der Insel – Rispebjerg und Vasagård – auftauchten. Beide Fundorte gehören zur Spätphase der jungsteinzeitlichen Trichterbecherkultur, die unter anderem für die zahlreichen Hünengräber und Ganggräber in ganz Dänemark verantwortlich ist.
- Zur Info: Als Trichterbecherkultur wird die erste durch Ackerbau geprägte Kultur des nordischen Frühneolithikums bezeichnet. Sie erstreckte sich in der Zeit zwischen 4000 und 2700 v. Chr. von den Niederlanden bis zur westlichen Ukraine und erhielt ihren Namen wegen der für diese jungsteinzeitliche Epoche charakteristischen Tongefäßform - den Trichterbechern.
Im Süden der dänischen Insel Bornholm wurden 614 solcher Steine in zwei Ritualstätten der Trichterbecherkultur entdeckt. Sie bilden eine eng begrenzte Schicht in zwei halbrunden Gräben der jungsteinzeitlichen Anlage von Vasagård.
„Wir wissen seit langem, dass die Sonne im Mittelpunkt der frühen landwirtschaftlichen Kulturen stand, die wir aus Nordeuropa kennen. Sie bestellten das Land und waren auf die Sonne angewiesen, um die Ernte nach Hause zu bringen. Wenn die Sonne wegen des stratosphärischen Nebels für längere Zeit fast verschwunden wäre, wäre das für sie sehr beängstigend gewesen“, erklärt der Archäologe Rune Iversen von der Universität Kopenhagen.
Was die Sonnnesteine symbolisieren
Die Sonnensteine, flache Schieferplatten mit eingravierten Mustern und Sonnenmotiven, sind ein auf Bornholm einzigartiger Fund. Sie symbolisierten Fruchtbarkeit und wurden wahrscheinlich geopfert, um Sonne und Wachstum zu garantieren.
Sonnensteine wurden in großer Zahl auf dem Gelände von Vasagård West gefunden, wo sie um 2900 v. Chr. zusammen mit den Überresten ritueller Feste in Form von Tierknochen, zerbrochenen Tongefäßen und Feuersteingegenständen in Gräben deponiert wurden, die zu einem Erdwall gehörten. Die Gräben wurden später wieder zugeschüttet.
Opfer von Sonnensteinen nach Vulkanausbruch
Rune Iversen und seine Kollegen gehen davon aus, dass es sehr wahrscheinlich einen Zusammenhang zwischen dem Vulkanausbruch, den darauf folgenden Klimaveränderungen und der Entdeckung der rituellen Sonnensteinopfer gibt.
„Es ist anzunehmen, dass sich die jungsteinzeitlichen Menschen auf Bornholm mit dem Opfern von Sonnensteinen vor einer weiteren Verschlechterung des Klimas schützen wollten - oder vielleicht auch ihre Dankbarkeit für die Rückkehr der Sonne zum Ausdruck bringen wollten“.
Große kulturelle Veränderungen
Als ob eine akute Klimaverschlechterung um 2900 v. Chr. nicht schon genug gewesen wäre, wurden die neolithischen Kulturen Nordeuropas auch noch von anderen Katastrophen heimgesucht. Neue DNA-Untersuchungen an menschlichen Knochen zeigen, dass die Pest weitverbreitet war und tödliche Folgen hatte.
Wandel der Traditionen
Während die Menschen der Jungsteinzeit von Klimaveränderungen und Krankheiten betroffen waren, konnten die Archäologen auch einen Wandel in den Traditionen feststellen, an denen sie lange festgehalten hatten.
Der Fund der Sonnensteine in nur einer dünnen Schicht legt nahe, dass sie zu einem bestimmten Anlass oder Ritual gezielt im Boden „begraben“ wurden. „Die Menschen deponierten sie – zusammen mit Resten eines rituellen Festmahls in Form von Tierknochen und zerbrochenen Tongefäßen – in diesen Gräben und schlossen diese anschließend“, berichtet Iversen. Zu keiner anderen Zeit davor oder danach gebe es in dieser Gegend ähnliche gravierte Steine.
Holzpalisaden und Kulthäuser
Auch die Ritual-Anlage von Vasagård wurde direkt nach Deponierung der Sonnensteine völlig umgebaut. „Man baute hunderte Meter lange, massive Holzpalisaden, um die Anlage einzuschließen – vielleicht als Schutz“, berichten die Archäologen. Parallel dazu entstanden in der Nähe erste runde Kulthäuser. Sie markieren das Ende der Trichterbecherkultur in dieser Gegend und den Beginn einer neuen kulturellen Phase.
„Diese Sonnensteine sind absolut einzigartig – auch im europäischen Kontext“, erklärt Iversen. Es handele sich hier um eines der frühesten bekannten Zeugnisse eines jungsteinzeitlichen Sonnenkults in Skandinavien.