Schädel von Ephesos

Rätsel um Königin Kleopatras Halbschwester Arsinoë IV. ist gelöst

Seit fast 100 Jahren gilt ein Schädel aus dem antiken Ephesos als mögliches Relikt von Kleopatras Halbschwester Arsinoë IV. Doch neue Analysen enthüllen: Der rund 2100 Jahre alte Schädel stammt nicht von einer hochrangigen Ägypterin, sondern von einem kranken Jungen aus Italien.

Der Schädel aus dem Oktogon von Ephesos in der Sammlung des Instituts für Evolutionäre Anthropologie der Universität Wien. Auf dem beiliegenden vergilbten Zettel steht: „Schädel aus Ephesus“.

© Gerhard Weber, University of Vienna

Der Schädel aus dem Oktogon von Ephesos in der Sammlung des Instituts für Evolutionäre Anthropologie der Universität Wien. Auf dem beiliegenden vergilbten Zettel steht: „Schädel aus Ephesus“.

Von Markus Brauer

Ein Forscherteam um den Anthropologen Gerhard Weber von der Universität Wien hat einen Schädel untersucht, der im Jahr 1929 in den Ruinen der antiken Stadt Ephesos in der Türkei gefunden wurde. Lange wurde spekuliert, es könnte sich dabei um die Überreste von Arsinoë IV. handeln, der Schwester der berühmten ägyptischen Königin Kleopatra.

Die jüngsten Analysen zeigen aber, dass es sich bei den Überresten um einen Jungen im Alter zwischen 11 und 14 Jahren handelt, der unter krankhaften Entwicklungsstörungen litt. Seine Gene deuten auf einen Ursprung in Italien oder auf Sardinien hin. Die Ergebnisse sind in der Fachzeitschrift „Scientific Reports“ erschienen.

The Ephesus Octagon skull was long thought to possibly be that of Arsinoë IV, Cleopatra's sister. However, the plot thickens, as we present morphological and genetic data showing this was the skull of a young boy w/ developmental disturbances. Have a look!https://t.co/tDbCx90u2V — Daniel Fernandes (@daniMfernandes) January 11, 2025

Schädel 1929 in Ephesos entdeckt

Der österreichische Archäologe Josef Keil und seine Kollegen entdeckten 1929 in den Ruinen des einst prächtigen „Oktogons“, einem Prunkbau an der Hauptstraße von Ephesos), einen komplett mit Wasser gefüllten Sarkophag. Darin waren keine bedeutenden Grabbeigaben zu finden, aber ein komplettes Skelett.

Nur den Schädel nahm Josef Keil mit, bevor die Forscher die Grabstätte an der wichtigen „Kuretenstraße“ wieder verschlossen. Nach seiner ersten Analyse in Greifswald ging er davon aus, dass es sich bei der Bestattung um „eine ganz vornehme Persönlichkeit“ und vermutlich um eine 20-jährige Frau handelte.

Harte Daten blieb Keil schuldig, aber der Schädel trat anlässlich seiner neuen Berufung an die Universität Wien im Reisegepäck den Weg nach Wien an.

Junge Frau aus höherer Aristokratie

Im Jahr 1953 publizierte der Vorstand des Anthropologie-Instituts der Universität Wien, Josef Weninger, einen Artikel mit Fotos und Messungen. Er kam ebenfalls zu dem Schluss, dass der Schädel aus dem „Heroengrab“ – so die Bezeichnung auf einem vergilbten Beizettel des Fundes – eine junge Frau repräsentieren sollte, die von einem „verfeinerten, spezialisierten Typus“ sei, was auf die höhere Aristokratie der Antike hindeuten könnte.

In Ephesos wurde bei späteren Grabungen 1982 der Rest des Skelettes aufgefunden, diesmal aber nicht im Sarkophag, sondern in einer Nische in einem Vorraum der Grabkammer.

Aufgrund der vermuteten architektonischen Anleihen des Oktogons bei dem ägyptischen Vorbild des „Pharos von Alexandrien“ und der zusätzlichen historischen Fakten, wonach Arsinoë IV. um 41 v. Chr. in Ephesos auf die Veranlassung des römischen Feldherrn Marcus Antonius, dem Geliebten von Kleopatra, ermordet wurde, entstand 1990 folgende Theorie: Arsinoë IV. könnte in diesem prunkvollen Grab in Ephesos ihre letzte Ruhestätte gefunden haben. Seither rankten sich zahlreiche Meldungen und Publikationen um dieses Gerücht.

Moderne Anthropologie und Archäologie

Bei der aktuellen Untersuchung wurde der Schädel einer Micro-Computer-Tomographie unterzogen, um seine digitale Kopie mit einer Auflösung von 80 Mikrometer zu archivieren. Danach entnahmen die Wissenschafter Proben im Milligramm-Bereich von der Schädelbasis und dem Innenohr, um Alter und genetischen Status zu bestimmen.

Die Daten aus dem Massenspektrometer wurden mit den neuesten Kalibrationskurven abgeglichen, die auch die vermutete Ernährungszusammensetzung mit berücksichtigten.

Der Schädel datiert demnach aus der Zeit von 205 bis 36 v. Chr. , was gut mit dem überlieferten Sterbedatum von Arsinoë IV. im Jahre 41 v. u. Z. übereinstimmt. Die Genetiker fanden zudem eine Übereinstimmung des Schädels mit vorhandenen Proben vom Oberschenkelknochen. Das Skelett, dass sich später im Vorraum des Oktogons fand, gehörte also tatsächlich zur gleichen Person wie der Schädel, den Josef Keil 1929 aus dem Sarkophag entfernt hatte.

Y-Chromoson deutet auf einen kranken Jungen hin

„Dann kam die große Überraschung: Schädel und Oberschenkelknochen zeigten beide ganz eindeutig in wiederholten Versuchen das Vorliegen eines Y-Chromosoms – also eines Mannes“, erklärt Gerhard Weber.

Die morphologische Auswertung des Schädels und der Mikro-CT-Daten ergaben, dass der Junge aus dem Oktogon noch in seiner Pubertät steckte und 11 bis 14 Jahre alt war. Das belegen die hochauflösenden Aufnahmen der Zahnwurzeln und der sich noch entwickelnden Schädelbasis.

Geschlossene Schädelnähte, abgekauter Vormahlzahn

Er litt offensichtlich an einer krankhaften Entwicklung. Eine seiner Schädelnähte, die normalerweise erst im Alter von 65 Jahren verwächst, war bei ihm bereits geschlossen. Der Schädel zeigt dadurch eine stark asymmetrische Form.

Am auffälligsten aber war der unterentwickelte Oberkiefer, der außergewöhnlich abgewinkelt nach unten zeigt und vermutlich zu großen Problemen beim Kauen führte. Das belegen auch die auffälligen Winkel der Kiefergelenke und der Zahnbefund von zwei im Kiefer verbliebenen Zähnen.

Der erste permanente Backenzahn, der erste Zahn des Dauergebisses und damit üblicherweise am längsten im Einsatz, zeigte keinerlei Anzeichen einer Nutzung. Der erste Vormahlzahn hingegen, der sich erst einige Jahre später in der Zahnreihe einstellt, war abgekaut und hatte deutliche Risse, vermutlich als Folge einer Überbelastung.

Wachstumsanomalie von Kiefer und Gesicht

Die Forscher schließen daraus, dass kein regelhafter Zahnkontakt bestand - eine Folge der Wachstumsanomalie der Kiefer und des Gesichts. Was zu den Wachstumsstörungen führte, bleibt vorerst ungeklärt. Es könnte sich etwa um einen Vitamin-D Mangel gehandelt haben.

Auch genetische Syndrome wie das Treacher-Collins-Syndrom führen zu einem ähnlichen Erscheinungsbild, wie das des Jungen aus dem Oktogon.

  • Info: Beim Treacher-Collins-Syndrom (auch Franceschetti-Syndrom) handelt es sich um eine seltene, vererbte Entwicklungsstörung bei Babys. Durch die Erkrankung kommt es zu Fehlbildungen des Schädels und Gesichts, von denen häufig Ohren, Jochbein, Augen oder Unterkiefer und Kinn betroffen sind.

Ende eines Gerüchts und Anfang einer neuen Suche

Nun steht also fest, dass nicht die Schwester Kleopatras in Ephesos begraben wurde, sondern ein junger Mann mit Entwicklungsstörungen, der vermutlich Römer war. Warum es bei diesem Gebäude die architektonischen Anleihen an Ägypten gab, bleibt offen. Klar ist, dass das Grab für eine Person von sehr hohem sozialen Status vorgesehen war.

Die Ergebnisse der vorliegenden Studie eröffnen ein weites Feld für neue spannende Forschung. Und die Suche nach den Überresten von Königin Klepatras Schwester, Arsinoë IV. , kann nun frei von Gerüchten neu aufgerollt werden.

Zum Artikel

Erstellt:
13. Januar 2025, 16:24 Uhr
Aktualisiert:
13. Januar 2025, 19:15 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen