Finanzierung des Bahnprojekts

„Rail Baltica“ auf dem Abstellgleis?

Das Prestigeprojekt soll die Schienenanbindung von Mitteleuropa über das Baltikum bis nach Helsinki gewährleisten. Vielerorts wurde bereits mit dem Umbau von Bahnhöfen begonnen. Doch die Finanzierung des 24-Milliarden-Euro-Projekts ist noch nicht geklärt.

Eine Visualisierung zeigt, wie der Rigaer Bahnhof in Zukunft aussehen könnte.

© Rail Baltica

Eine Visualisierung zeigt, wie der Rigaer Bahnhof in Zukunft aussehen könnte.

Von Jens Mattern

Das Dachgerüst des angehenden neuen Rigaer Bahnhofs: weit geschwungene, noch unverglaste Bögen aus Stahlgitter vermitteln, wie imposant der Bau aussehen wird, in welchem stromlinienförmige Hochgeschwindigkeitszüge Halt machen sollen, um dann mit bis zu 249 km/h weiter nach Tallinn oder Warschau zu rauschen. „Rail Baltica“ nennt sich dieses stolze Zukunftsprojekt. Die Strecke soll in der in Westeuropa üblichen Regelspur von 1435 Millimeter und nicht – wie in den baltischen Staaten bisher üblich – in russischer Breitspur von 1520 Millimeter ausgeführt werden.

Zwei Fragen sind jedoch noch unbeantwortet – wann werden die ersten Passagiere einsteigen – sowie ob überhaupt. Denn das Projekt der Hochgeschwindigkeitstrasse, welche mit Fährverbindung von Warschau bis nach Helsinki führt, an dem vor allem Litauen, Lettland, Estland, aber auch Polen und Finnland beteiligt sind, scheint kurz vor dem Aus zu stehen.

„Wir haben ein Budget zusammen gestellt, das aus Geld besteht, welches wir nicht haben“ so jüngst der lettische Oppositionspolitiker Didzis Smits.

EU hat der Kostenübernahme noch nicht zugestimmt

Keine neue Bestandsanalyse: Die EU beteiligt sich zwar mit 85 Prozent an den Kosten, allerdings wurden jene 2017 auf knapp sechs Milliarden Euro kalkuliert. Auf stolze 24 Milliarden Euro kam jedoch eine Analyse der Rechnungshöfe der drei baltischen Staaten im Juni vergangenen Jahres. Die EU-Kommission hat bislang noch kein grünes Licht gegeben, hiervon die besagten 85 Prozent zu tragen. Bei den Berechnungen vor sieben Jahren war nur von der Haupttrasse die Rede, deren Bau im Herbst theoretisch beginnen soll, nicht jedoch von den Nebenverbindungen und den Bahnhöfen.

Seit Juli wirkt in Lettland eine parlamentarische Untersuchungskommission, welche das Ausmaß der Verfehlungen zumindest im eigenen Land aufklären will. „Das ist ein Fall von kollektiver Verantwortungslosigkeit. Es gibt keine einzelne Person, welche individuell verantwortlich ist“, so Andris Kulbergs, der Leiter des Ausschusses.

Die Beteiligten in dem Ministerium hätten einfach ihre Vorschläge durchgesetzt, ohne an die Kosten zu denken und habe die Zahlen vor dem Kabinett verheimlicht. Zudem hätten die baltischen Regierungspolitiker die Öffentlichkeit getäuscht, die EU würde das gesamte Projekt mitfinanzieren. Dies ergab die Untersuchung, deren Ergebnis im Dezember vorgestellt wurde. Hinzu kommt – Lettland hat im vergangen Jahr nicht die vereinbarte Summe von 900 000 zum Rail-Baltica-Fonds beigetragen.

Doch welche Konsequenzen werden in Brüssel gezogen? Die EU Kommission hat noch kein offizielles Statement zu den Verfehlungen gegeben. Auf Anfrage wurde aus Brüssel darauf verwiesen, dass „Rail Baltica“ „für weitere Finanzierungen neue Anträge stellen kann“. Auf die Verkalkulierungen wurde jedoch nicht eingegangen.

Ist das Projekt „Rail Baltica“ zu groß zum Scheitern?

Eher schwammig sprach die EU-Koordinatorin des Projekts, Catherine Trautman, Ende des vergangenen Jahres im Parlament von Riga von der „Zuteilung neuer Mittel“ über welche dieses Jahr verhandelt werden sollte. Die lettische Regierungschefin Evika Silina gestand mittlerweile ein, dass das Kabinett diskutiert hatte, aus „Rail Baltica“ auszusteigen.

Doch vielleicht ist das Prestigeprojekt der EU „too big fail“, zu groß zum Scheitern, wie so manche Bank?

Die Idee einer interbaltischen Zugverbindung hat zumindest eine lange Geschichte, sie entstand schon in den frühen Neunzigerjahren, nach dem Zerfall des Kommunismus. Doch die Umsetzung der geplant 870 Kilometer langen Strecke wurde lange verzögert, hinzu kam die Finanzkrise 2008, die ernsthafte Planung begann somit erst ab 2010, vier Jahre später wurde das Gemeinschaftsunternehmen „RB Rail AS“, gegründet, das für mehr Koordination sorgen sollte.

Doch es gab permanent Auseinandersetzungen um Planung, Finanzen und Politik, auch wehren sich bis jetzt viele Landeigentümer gegen die notwendige Enteignung für den Schienenbau.

Die russische Invasion in der Ukraine schien erstmals die Streitereien zu dämpfen. Schließlich hat die geplante Trasse auch eine militärische Bedeutung – auf der geplant zweigleisigen Strecke können auch Panzer und Geschütze durch die Nato-Länder rasch bewegt werden, sollte sich der russische Nachbar zu einem Angriff entscheiden.

Der südliche Nachbar will darum ein Ende des Projekts nicht zulassen. „Wir betrachten dies insbesondere durch das Prisma der nationalen Sicherheit“ so der litauische Verkehrsminister Eugenijus Sabutis in der vergangenen Woche. Auch Estland hält an dem Bau fest.

Vollkommen unklar ist weiterhin, wie die ultrafuturistisch anmutenden Bahnhöfe – auch in Tallinn wurde bereits mit den Bauarbeiten begonnen – und weitere Projekte zu finanzieren sind. Auch die Deutsche Bahn ist hier engagiert, sie leitet zusammen mit dem französischen Konzern Egis den Bau des Rigaer Bahnhofs und der Eisenbahnbrücke über den Rigaer Fluss Daugav.

Offiziell soll die strecke 2030 fertig sein

Die Kosten für den Rigaer Bahnhof und den Flughafenbahnhof wurden im vergangen Jahr auf eine Milliarde Euro geschätzt, erfahrungsgemäß werden sie weiter steigen. Auf Anfrage verwies die Bahn an die Pressesprecherin von „RB Rail AS“, welche nicht reagierte.

Mittlerweile werden mehr private Investoren sowie Einsparmöglichkeiten von den jeweiligen Verkehrsministerien gesucht, etwa die Haupttrasse eingleisig umzusetzen. Denn deren Baustart wird permanent verschoben. Offiziell soll die Strecke 2030 fertig gestellt werden, hieran hält die EU-Kommission fest.

Ein Datum, an das niemand mehr glaubt. Zumal die Forderung von Donald Trump, die Nato-Mitglieder sollten mehr in die Verteidigung investieren, die Haushalte der baltischen Nachbarn schwer belasten wird.

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Erstellt:
20. Januar 2025, 17:30 Uhr

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