Rasender Stillstand in Europa

Ein neues Papier zur Reform der EU wird präsentiert. Unwahrscheinlich ist, dass sich etwas bewegt.

Von Eidos Import

Die Europäische Union steckt in einer Krise. Das sei ein Dauerzustand, winken manche Spötter gelangweilt ab. Damit haben sie recht und liegen doch gewaltig daneben. Denn zu keiner Zeit war die EU derart existenziellen Herausforderungen ausgesetzt und noch nie waren die Lösungen so fern.

Nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine droht sich der Krieg wie ein Flächenbrand auf den ganzen Kontinent auszuweiten. Der Klimawandel nimmt ungeahnte Ausmaße an. Europas Wirtschaft wandelt am Rand einer Rezession, gleichzeitig wanken die Staaten als Spätfolge der Coronapandemie unter einer erdrückenden Schuldenlast. Diese schwierige Situation nutzen Populisten von links und rechts, um die Demokratie von innen heraus zu demontieren. Die Liste ließe sich fortsetzen.

Die Welt dreht sich schneller, als Europa überhaupt reagieren kann. Fatal ist, dass kein Politiker in der Lage scheint, die europäische Führung zu übernehmen. Geradezu desaströs ist der Totalausfall des Tandems Deutschland und Frankreich. Über Jahrzehnte waren die beiden größten Volkswirtschaften des Kontinents Europas Garantiemächte, wenn die EU wieder einmal auseinanderzudriften drohte. Doch die Regierungen in Paris und Berlin sind im Moment mit dem Kampf ums eigene Überleben beschäftigt.

Brüssel blickt natürlich nicht tatenlos in den drohenden Abgrund. Allerdings beschränkt sich das Tun vor allem auf die geradezu hektische Produktion von bedrucktem Papier. Jüngstes Beispiel ist Mario Draghi. Im Auftrag der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat Italiens Ex-Regierungschef und Ex-EZB-Präsident über viele Monate einen Bericht mit Empfehlungen für ein wettbewerbsfähigeres Europa ausgearbeitet, den er diesen Montag veröffentlichen wird. Darin enthalten sind viele Mahnungen nach einem besseren Zusammenarbeiten in der Union. Gefordert werden auch mehr und gezieltere Investitionen in Bildung und Forschung, schlankere Strukturen, schnellere Entscheidungen und mehr Effizienz. Ein Dossier mit ähnlichen Schlüssen präsentierte nur wenige Tage zuvor EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Darin geht es um die Reform der Landwirtschaft. Das Fazit: Sie soll besser, schlanker und effizienter werden.

Während China, Russland und auch die USA durch konsequentes Umsetzen politischer Entscheidungen immer neue Fakten schaffen, befindet sich die EU in einer Art rasendem Stillstand. Der Brüsseler Apparat läuft auf Hochtouren, verheddert sich aber oft im Kleinklein der bürokratischen Regulierung und gefällt sich in der Produktion juristischer Fußnoten.

Bei den Bürgern entsteht der Eindruck, dass vermeintlich nichts vorangeht. Denn die meisten Menschen haben einen sehr pragmatischen Blick auf die europäische Politik. Sie wollen wissen: Was bringt die EU im alltäglichen Leben? Während der Coronapandemie war dieser Nutzen klar zu erkennen, als deutlich wurde, dass das Virus nicht an Grenzen haltmacht. Auch nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine reagierte die EU überraschend schnell und geschlossen auf die neue Bedrohung.

Diese Erfahrungen hätten der Wendepunkt in Richtung einer schlagkräftigen und pragmatisch handelnden Union sein können. Der Zeitpunkt für notwendige Reformen war günstig. Doch die Chance wurde verpasst, der Mut für tiefe Einschnitte war doch nicht vorhanden. Inzwischen ist die Europäische Union wieder in ihren alten Trott verfallen. Das aber ist gefährlich, denn gerade in schweren Krisen verlangen die Bürger nach Antworten. Die finden sie nicht in abstrakten Reformpapieren, sondern in konkretem Handeln vor Ort.

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Erstellt:
8. September 2024, 22:06 Uhr
Aktualisiert:
9. September 2024, 21:57 Uhr

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