Rat von Betroffenen für Betroffene

Beratungsstelle für die „Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung“ von Behinderten nimmt in Waiblingen ihre Tätigkeit auf

Von Wolfgang Gleich

WAIBLINGEN. Die „Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung“ (EUTB) ist ein kostenloses Dienstleistungsangebot für knapp 40000 potenzielle Klienten allein im Rems-Murr-Kreis. In den Räumen der Neue Arbeit gGmbH in der Waiblinger Ruhrstraße stellten Fachbereichsleiter Klaus Bröckl, EUTB-Peer-Beraterin Ellen Keune und der Waiblinger Bundestagsabgeordnete Dr. Joachim Pfeiffer das neue Angebot jetzt vor.

Den Aufbau eines deutschlandweiten Netzes von Beratungsstellen für die „Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung“ fördert das Bundesministerium für Arbeit und Behinderung seit Beginn dieses Jahres mit 58 Millionen Euro. Das Programm dient der Stärkung der Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung und von mit Behinderung bedrohter Menschen. Die Förderung ist bis 31. Dezember 2022 befristet. Grundlage ist Paragraf 32 des 9. Sozialgesetzbuchs. Die Beratung übernimmt in Waiblingen das Sozialunternehmen Neue Arbeit mit zwei Ganztagskräften, in Schorndorf die LAG Selbsthilfe Baden-Württemberg mit zwei Halbtagskräften.

An die Beratungsstelle in Waiblingen, so Fachbereichsleiter Klaus Bröckl, können sich ratsuchende Menschen mit Behinderung, deren Angehörige und Partner, „alle Privatpersonen im Umfeld von Menschen mit Behinderung sowie Mitarbeiter im Auftrag einer Institution, Organisation oder Behörde“ wenden. Die Beratung orientiere sich ausschließlich am Bedarf und den Interessen der Ratsuchenden. Sie sei frei von persönlichen, wirtschaftlichen, sozialen, institutionellen und politischen Interessen Dritter und ausschließlich dem Ratsuchenden gegenüber verpflichtet. Es sei nicht spezialisiert und indikationsspezifisch, sondern umfasse alle grundlegenden Lebensbereiche der Betroffenen.

Das Angebot solle unbürokratisch, barrierefrei und niederschwellig sein, auch für Ratsuchende, deren Beratung oft mit zusätzlichen Anforderungen verbunden sei. Neben Fachwissen und Beratungserfahrung stelle das „Peer Counseling“ einen zusätzlichen wichtigen Aspekt der Arbeit dar. Dies bedeutet, so weit wie möglich solle die Beratung von Personen übernommen werden, die selbst von einer Behinderung betroffen sind.

Die EUTB, betonte Bröckl, dürfe auf keinen Fall als Konkurrenz zu der gesetzlichen Beratungspflicht missverstanden werden und habe nicht zum Ziel, bestehende Angebote zu ersetzen. Es leiste weder eine rechtliche Beratung, noch werde in konkreten fremden Angelegenheiten beraten, bei denen eine rechtliche Einzelfallprüfung erforderlich sei. „Wir nehmen niemandem etwas weg“, versicherte Bröckl, „wir schaffen keine Parallelstrukturen zu bereits vorhandenen Dienstleistern.“ Es gehe darum, unbürokratisch über Reha- und Teilhabeleistungen, Ansprechpartner und Zuständigkeiten zu informieren, für den Ratsuchenden wichtige Aspekte und Zusatzfunktionen herauszuarbeiten, die bisher nicht genügend berücksichtigt wurden, bereits im Vorfeld Hilfestellung zu geben und auch das dem Behinderten zur Verfügung stehende persönliche Budget, seine Wünsche und Bedürfnisse zu besprechen.

„Das Besondere der ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatung ist aus meiner Sicht“, so ergänzte die Peer-Beraterin, also selbst von Behinderung betroffene Ellen Keune, „dass wir in allen Lebenslagen mit Behinderung auf Augenhöhe sind und, wie der Name schon sagt, ergänzend und unabhängig mit den Ratsuchenden arbeiten. Wir schauen, mit welchem Anliegen die Ratsuchenden zu uns kommen und vor welcher Herausforderung sie gerade stehen.“

Ergänzend bedeute, zu fragen, welche Beratung es schon gab, welche Kosten- und Hilfeträger oder welche Institutionen oder Personen zusätzlich unterstützen könnten. Unabhängig bedeute, als „Lotse“ aufzuzeigen, welche Lösungen und Wege es gebe, den Ratsuchenden aber eigenverantwortlich und selbstbestimmt entscheiden zu lassen, für welche Option er sich entscheide.

Die neu geschaffenen Beratungsstellen im Rems-Murr-Kreis seien längst überfällig, betonte der Bundestagsabgeordnete Pfeiffer: „Komplexe Leistungen erfordern detaillierte Beratung und tief greifende Begleitung.“ Deshalb freue er sich, dass die neue Beratungsstelle im Sozialunternehmen Neue Arbeit ab sofort über Unterstützungsangebote für Menschen mit Behinderung informiere. Schließlich seien mehr als sieben Prozent der 410000 Einwohner des Landkreises schwerbehindert beziehungsweise Schwerbehinderten gleichgestellt. Der für ihn entscheidende Unterschied zu den lange bewährten Beratungsangeboten der Leistungserbringer und -träger „ist allerdings der Ansatz einer Beratung von Betroffenen für Betroffene. Damit bietet die Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung effektive Hilfe aus erster Hand. Das stärkt vor Ort die Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung und unterstützt sie dabei, ihr Leben nach ihren persönlichen Wünschen zu gestalten.“

Neue Arbeit ist Träger Info Die Neue Arbeit gGmbH ist ein diakonisches Sozialunternehmen, das in über 30 verschiedenen Projekten und unterschiedlichen Branchen tätig ist. Die Angebote reichen von der Metallfertigung über Second-Hand-Kaufhäuser, Lebensmittelmärkte und Holzfertigung bis zur Gastronomie. Es bietet rund 1300 Arbeitslosen und Menschen mit Behinderung Perspektiven durch Beschäftigung, Qualifizierung, Vermittlung, Integration und Hilfsangebote, und ist damit bundesweit eines der größten gemeinnützigen Beschäftigungsunternehmen in freier Trägerschaft. Die EUTB-Beratungsstelle Waiblingen befindet sich in der Ruhrstraße 2/2. Erreichbar ist sie unter 0152/54613341, E-Mail Teilhabeberatung-wn@neuearbeit.de.

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Erstellt:
8. August 2018, 06:00 Uhr

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