Rathaussturm in Sulzbach an der Murr
Der Sulzbacher Carnevalsverein erobert den Verwaltungssitz und stellt die Gemeinde auf den Kopf. Das 17. Stegreifspiel bietet Auftritte der verschiedenen Sparten, eine Geschichte über Amors Liebschaften und närrische Ideen für eine klimaschonende Stromgewinnung.

© Alexander Becher
Beim Stegreifspiel der Sulzbacher Narren spielen auch angebliche Klimaaktivisten eine Rolle, deren Forderungen und Methoden von den Hästrägern kräftig durch den Kakao gezogen werden. Fotos: Alexander Becher
Von Ute Gruber
Sulzbach an der Murr. Ein kapitaler Besen aus Reisig des nunmehr ausgedienten Christbaums vor dem Amtssitz weist den Weg zur Wirtschaft „Zum Besenbinder“, wie das Schild an der kahlen Stange des geschröpften und zum Narrenbaum umdekorierten Weihnachtssymbols informiert. Der Grund: Die Narren sind los und seit Donnerstagabend haben sie das Sulzbacher Rathaus zur Besenwirtschaft umfunktioniert.
Den Reisigbesen haben die aus dem Rathaus gezerrten Gemeinderäte Edelgard Löffler, Günter Schimpf, Susanne Geyer, Steffen Schmidt und Gabi Plapp unter Anleitung von Besenmeisterin Birgit Kollak eigenhändig gebunden. Unterhalten wurden sie dabei von einem Gedicht, das der nun abgesetzte Amtschef Dieter Zahn – in einem Ohrensessel sitzend – vortrug.

© Alexander Becher
Bürgermeister Dieter Zahn muss seine Amtsstube aufgeben.
Es handelt von einen reisenden Besenbinder, welcher es versteht, den Frauen den Kopf zu verdrehen. Der Gigolo mit Namen Amor lässt Besenkundinnen verschiedenster Couleur auf dem Marktplatz Revue passieren: Da ist die Alte (Stäffeleshexe Niklas), die er gar nicht erst bedient, die Faule (Nicole Häfener), die einen autonomen Besen bekommt, die Eitle (Tanzmariechen Lea), die ein besonders niedliches Exemplar bekommt, die Schöne (Sarah von der Roten Garde), die unerwünschte Freier wegkehren darf, und die Unzufriedene (Marion Winkle), deren neuer Besen sich allabendlich selbst zerstört, um am nächsten Morgen Wiederauferstehung zu feiern.
Die Ortsgeschichte wird aufgegriffen
Bei der letzten jedoch, der großen Liebe, kommt der abgeklärte Gedichteleser dann doch recht in die Bredouille, als sich die schwergewichtige Angebetete (Sven Kollak) sehr sinnlich auf die Lehne des Plüschmöbels schmiegt – „Oh, das ist eine Einlage, mit der ich nicht gerechnet habe!“ – und ihm den üppigen Busen ins Gesicht schiebt: „Äh, jetzt kann ich nix mehr lesen...“
Köstlich unterhalten wurde das Publikum bei angenehm milden Temperaturen vom 17. Stegreifspiel, das sich Maria Schetter-Fluor und Suse Greiner-Pflaum dieses Jahr zum Thema Besenbinder ausgedacht haben. Wie es seit fast 20 Jahren Tradition ist, greifen die beiden unter dem Motto „Was ist los mit dem und im Schwäbischen Wald?“ damit ein Thema aus der Ortsgeschichte auf, denn Besenbinden als Zubrot war in vielen Familien ein typisches Wintergeschäft für die ländliche Bevölkerung, ebenso wie das Bürstenbinden oder das Schnitzen von Rechen und Wäscheklammern. Letztere verteilen denn auch die pünktlich zur Fasnacht auferstandenen Sulzbacher Reisigbären als kleine Andenken an das hiesige sogenannte Klämmerlesgäu unter dem Publikum.
Zahlreiche Ereignisse aus der aktuellen Gesellschaftspolitik werden kräftig durch den Kakao gezogen: So tauchen unverhofft Klimaaktivisten (aus dem Elferrat) mit sinnfreien Spruchtafeln, müdem Getröte und überdimensionalen Leimtuben vor dem Rathaus auf: „Die werde sich doch net auf unsrer Straß’ festkleben?!“ – „Do musch koi Angscht han, die hens ja letzte Woch’ bewiese: Erst Plakate basteln, dann sich fürs Klima auf die Straße kleben und dann... per Flugzeug nach Bali fliege, um den Gerichtstermin zu schwänze.“
Den Einwand der Demonstranten, dies sei nur ein Spaziergang, kontern die spitzzüngigen Närrinnen: „So wie aus em Kuhflade koi Pizza wird, wird aus ner Demo koin Spaziergang“, und lassen die Stäffeleshexen die Straße freifegen.
Insekten schützen oder Insekten fressen?
Auch die Politik kommt nicht gut weg mit ihren Sparappellen und Milliardenausgaben: „Spare ka mer an ällem, bloß net am Hirn!“ Die neue EU-Zulassung für Insekten in Lebensmitteln wird angegangen: „Da wird man aufgefordert, Insekten zu zählen, weil’s immer weniger gibt, und auf der anderen Seite sollen wir sie fressen.“ Die Inflation kommt zur Sprache: „Strom teurer, Gas teurer, Benzin teurer, Lebensmittel teurer – nur die Ausreden werden billiger!“
Man beschließt, die aktuelle Herrschaft über die Gemeinde für neue Methoden der Stromgewinnung zu nutzen. Die Vergärung von Hundekot („Mit zehn Güggle Hundekot leuchte die Straßenlaterne zwei Stunde lang!“) sowie aus der Gemeindekasse finanzierte Energiefahrräder, die denn auch eine große Lampe vor dem Rathaus zum Leuchten bringen, kommen zur Sprache. Letztere geben den Startschuss für einen Auftritt der Leuchtstabmajoretten, die ihre grünen Lämpchen wie große Glühwürmchen durch die Nacht wirbeln. Sulzbach wird als Ökostrom erzeugende Fahrrad-City ausgerufen und Präsidiumsmitglied Birgit Kollak zur Narrenbürgermeisterin.
Als die Technik ausfällt trallert Sven Kollak den Ententanz
Alle Sparten des Sulzbacher Carnevalsvereins sind mit eingebunden und werden vom Publikum mit einem begeisterten „Sulzbach Ha-No!“ gefeiert, ebenso wie die besenbindenden Gemeinderäte und der Ex-Bürgermeister für seinen Gedichtvortrag und nicht zuletzt der Musikverein mit Livemusik und Peter Häbich mit passenden Klängen aus der Konserve. Und als einmal die Technik versagt, springt kurzerhand Sven Kollak ein und trällert für die Rote Garde den fehlenden Ententanz ins Mikro.
Während die Narrenkinder noch die Straße fegen und bevor es zum Freibier ins Rathaus geht, schließt der Murrhardter Nachtwächter Christian Schweizer unter einsetzendem Nieselregen mit seinem Abgesang : „Hört, ihr Narren, und lasst euch sagen“ und gibt den Anwesenden gereimte Lebensweisheiten mit auf den Nachhauseweg: „Für Sparsamkeit muss man sich niemals schämen – es sei denn, du musst’s Klopapier beidseitig nehmen.“