Prozess gegen Mädchen zu Ende
Raus aus der Psychiatrie
Monate musste eine 16-Jährige mit Borderline isoliert im ZfP Bad Schussenried auf ihren Prozess warten. Das Land verfügt über keine Jugendforensik. Jetzt kam es zum Freispruch.
Von Rüdiger Bäßler
Das Landgericht Ulm hat am Montag ein 16-jähriges, psychisch beeinträchtigtes Mädchen aus Ulm vom Vorwurf der versuchten Tötung und der Körperverletzung freigesprochen. Im Zentrum der Vorwürfe stand ein Angriff der Jugendlichen auf ihre Mutter am 23. Januar dieses Jahres in Sozialhilferäumen der Stadt Ulm. Die Mutter wurde mit einem Schal gewürgt. Es folgte eine Anklage der Staatsanwaltschaft Ulm wegen versuchten Totschlags und die Festnahme.
Bis zum Beginn des Prozesses diesen September musste die Jugendliche, die bei Tatbegehung 15 Jahre alt war, in einem Trakt für erwachsene Straftäter im Zentrum für Psychiatrie (ZfP) Bad Schussenried ausharren, weitgehend abgeschirmt von Besuchern und den geschieden lebenden Eltern. Auch die Klinik äußerte ihren Unmut. Eine leitende Ärztin hatte dem Gericht in einem internen Schreiben diesen Sommer nachdrücklich eine Verlegung der Patientin nahegelegt. Unter den Insassen in Bad Schussenried befänden sich auch „Pädophile und Sexualstraftäter“, es gebe keine speziellen Jugendtherapeuten, die permanente Abschirmung des Kindes gegenüber den überwiegend männlichen Insassen sei schwierig.
Selbstmordversuche nach der Festnahme
Nach der Festnahme versank die damals 15-Jährige, die seit vielen Jahren an einer Borderline-Störung leidet, in Selbstmordgedanken. Mehrfach habe sie versucht, scharfe Gegenstände oder Glas zu verschlucken, so die ärztliche Klinikleitung in dem Schreiben. Die Folge: Eine noch stärkere Isolation in einem kameraüberwachten „Krisenzimmer“. Die Eltern des Kindes protestierten während des Prozesses gegen diese Behandlung ihrer Tochter. Das Land Baden-Württemberg zeigte sich machtlos: Es verfügt, anders als etwa Bayern oder Rheinland-Pfalz, über keine Jugendforensik, also staatliche Therapieplätze für jugendliche Straftäter, die als schuldunfähig eingestuft sind.
Eine Richtungsänderung in der Ulmer Strafverfolgung deutete sich an, nachdem unsere Zeitung am 5. Oktober über den Fall berichtet hatte („Hilflos in der Psychiatrie“). Wenige Tage nach Veröffentlichung wurde die 16-Jährige für die weitere Dauer des Prozesses auf freien Fuß gesetzt. Nun also auch der Freispruch von allen Vorwürfen. Das Mädchen habe seine Mutter im Zustand der Schuldunfähigkeit angegriffen, so die Kammer mit Bezugnahme auf ein für den Prozess eingeholtes psychiatrisches Gutachten.
Die Suche nach einer Therapie geht weiter
Laut Detlef Kröger, dem Anwalt der Familie des Mädchens, kam es seit der Freilassung aus Bad Schussenried zu keinen Zwischenfällen mehr. Die Suche nach einer Therapieeinrichtung, die langfristig helfen könne, gehe allerdings weiter.