Raus aus der Spirale von Drogen und Straftaten
36-Jähriger wird in therapeutischer Einrichtung untergebracht

© Romolo Tavani
Von Hans-Christoph Werner
BACKNANG. Die Anklage gegen den in Nordthüringen geborenen Wahl-Backnanger lautet auf Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz. An einem Septembersonntag des letzten Jahres fällt einer Polizeistreife in der Talstraße ein Radfahrer auf. Die Beamten entschließen sich zur Kontrolle; der 36-Jährige ist auffallend zittrig und nervös. Schweiß steht ihm auf der Stirn. Die Polizisten haben ihre Vermutung: Entzugserscheinungen?
Der Gestellte zeigt sich, wie der als Zeuge vor dem Schöffengericht in Backnang vernommene Polizeibeamte sagt, bereitwillig und kooperativ. Er öffnet selbst den Rucksack. Gute 300 Gramm Amphetamine befinden sich darin. Für den Eigenbedarf und für den Weiterverkauf. Mehr als 4000 sogenannte Konsumeinheiten lassen sich aus der Amphetaminmenge errechnen. Woher er den „Stoff“ hatte und an wen er ihn verkaufen wollte, gibt der Angeklagte weder gegenüber der Polizei noch vor Gericht an.
Eine Ärztin für Suchtmedizin erklärt: Der Mann ist Herr seiner Sinne
Der gelernte Maurer kam in Untersuchungshaft. Dort: ein Déjà-vu-Erlebnis. Da war doch erst kurz zuvor so etwas? In der Tat: Aus dem Gefängnis war er wegen einer vorangegangenen Straftat erst im Februar freigekommen. Drei Monate war er clean gewesen, wie eine Ärztin für Suchtmedizin als Sachverständige vor Gericht berichtet. Insbesondere für eine Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten sind ihre Aussagen wichtig. Der Angeklagte sei nicht depressiv oder verrückt, er sei Herr seiner Sinne.
Die ersten Erfahrungen mit Drogen sammelte der Angeklagte in Jugendjahren. Um die 16 ist er gewesen, da lassen sich die Eltern scheiden. Der Sohn greift zu Marihuana. Ein Verhaltensmuster schleift sich ein. Immer wieder wird der junge Mann fortan mit Drogen erwischt. Zu Marihuana gesellen sich Ecstasy, Speed, LSD, auch mal Kokain. Wenn er dingfest gemacht wird, erhält er eine Geld- oder Gefängnisstrafe. Kaum draußen, geht es von vorne los. Viele Jahre ist er Einzelgänger. Die Ärztin spricht davon, dass es an tragfähigen sozialen Bindungen fehle. Auch eine länger dauernde Berufstätigkeit gibt es nicht. Seit kurzem habe der Angeklagte eine Freundin. Diese sei nicht Mitkonsumentin, halte ihn aber auch nicht vom Drogenkonsum ab.
Der Angeklagte sei „nicht auf den Kopf gefallen“, führt die Ärztin aus. Er verstehe jetzt, dass es um ihn geht. Eine Therapie sei unbedingt angezeigt, was allerdings für den Angeklagten eine große Umstellung bringen wird. Ein cleanes Leben kenne er ja nicht.
Der Staatsanwalt sieht die Anklage bestätigt. Eine verminderte Schuldfähigkeit liege nicht vor. Die Geständigkeit des Angeklagten wirke sich positiv aus. Die aufgefundene Amphetamin-Menge sei allerdings erheblich. Und wie der Angeklagte den Ankauf des Amphetamins finanziert habe, bleibe ein Rätsel. Da der Mann seit vielen Jahren abhängig sei, müsse bei der Strafzumessung von 34 Monaten Gefängnis der Paragraf 64 des Strafgesetzbuches angewendet werden. Dieser besagt: Unterbringung in einer Entziehungsanstalt. Der Verteidiger des Angeklagten ist mit den Ausführungen des Staatsanwalts einig. Er hat dem nichts hinzuzufügen. Und der Angeklagte verzichtet auf das letzte Wort.
Nach kurzer Beratungszeit nimmt das Schöffengericht den Vorschlag des Staatsanwalts auf. 34 Monate Gefängnis und die Anwendung des Paragrafen 64.
Fast erleichtert wirkt der Angeklagte. Entspannt feixt er mit den Justizbeamten, die ihn über den Stiftshof zum Auto geleiten. Dass er jetzt in den Maßregelvollzug komme, habe sein Gutes: Er könne mehr telefonieren. Mit der Freundin.