Grüner Kanzlerkandidat

Robert Habeck: „Deutschland muss sich neu erfinden“

Als Wirtschaftsminister konnte Robert Habeck das Land nicht aus der Rezession führen. Jetzt tritt er als Kanzlerkandidat der Grünen an. Im Interview verteidigt er seinen Kurs – und erzählt, worüber er sich mal mit Elon Musk unterhalten hat.

Als Kanzlerkandidat der Grünen ist Robert Habeck in diesen Wochen auf Wahlkampf-Tour.

© dpa/Bernd von Jutrczenka

Als Kanzlerkandidat der Grünen ist Robert Habeck in diesen Wochen auf Wahlkampf-Tour.

Von Dorothee Torebko und Rebekka Wiese

In Umfragen liegen die Grünen aktuell bei 13 Prozent. Das ist mehr als noch vor einigen Monaten. Aber lange nicht genug, um den Kanzler zu stellen. Robert Habeck wirkt in diesen Tagen trotzdem, als sei er guter Dinge. Im Interview verteidigt der Grünen-Kanzlerkandidat seine Wirtschaftspolitik – und erklärt, was sich jetzt noch ändern muss.

Herr Habeck, Sie besuchen auf Ihrer Wahlkampftour Menschen im ganzen Land und plaudern mit ihnen am Küchentisch. Was war die berührendste Begegnung?

Es gab viele berührende Begegnungen. Mir ist unter anderem ein Jugendzentrum in Königs Wusterhausen in Brandenburg in Erinnerung geblieben. Dort besuchen Sozialarbeiter zusammen mit jungen Leuten, die antisemitische Einstellungen haben, KZ-Gedenkstätten. Zum Teil kommen diese Jugendlichen aus migrantischen, zum Teil aus AfD-nahen Milieus. Die Mitarbeiter haben mir erzählt, wie die jungen Leute reagieren, wenn sie von den Zeugnissen dieser unfassbaren Tötungsmaschinerie stehen. Das klang für mich nach so viel Verletzlichkeit und Zärtlichkeit in einer rauen Welt. Das hat mich beeindruckt.

Sie präsentieren sich als Zuhörer. Aber angesichts der Klimakrise, der Bedrohung durch Russland und eines künftigen US-Präsidenten Donald Trump – ist da die Zeit des Zuhörens nicht vorbei? Sind jetzt nicht harte Entscheider gefragt?

Beides ist wichtig. Die Zeit des Zuhörens sollte nie vorbei sein. Gerade nach dem Zusammenbruch der Ampel – ausgerechnet an dem Tag, an dem Donald Trump gewählt wurde – hatte ich den Eindruck, dass es wichtig ist, einen Raum für die leisen Zwischentöne zu schaffen. Einen Raum, wo man Alltagssorgen aussprechen kann. Gleichzeitig müssen wir selbstbewusst handeln und große politische Entscheidungen treffen.

Deutschland steckt in einer Rezession. Sie waren drei Jahre Wirtschaftsminister und konnten daran nichts ändern. Warum sollten die Bürger Ihnen glauben, dass Sie das Land als Kanzler aus der Krise führen können?

Als ich vor drei Jahren ins Amt kam, war Deutschlands Situation gefährlich: Wir waren abhängig von Russlands Energielieferungen. Der größte Gasspeicher des Landes war so gut wie leer. Der Ausbau der Erneuerbaren lag quasi brach, Stromnetze wurden im Schneckentempo gebaut. Ich habe in Windeseile eine strategische Neuaufstellung eingeleitet. Deshalb konnten wir Putins Angriff auf das Energiesystem und damit eine Katastrophe abwehren. Wir haben die Inflation zurückgedrängt, die Energiewende auf Kurs gebracht, Verfahren beschleunigt, den Weg für mehr Fachkräfte durch Zuwanderung eröffnet. Wir haben also in den letzten drei Jahren viele Dinge auf die richtige Spur gesetzt. Aber ja, wir sind nicht weit genug gekommen.

Was war daran so schwer?

Deutschland befindet sich in einer tiefen strukturellen Krise und die Voraussetzungen, die Wohlstand und Wachstum in den letzten Jahren garantiert haben, haben sich geändert. Deshalb muss sich auch Deutschland neu erfinden. Mit Rezepten der Vergangenheit funktioniert das nicht.

Sie betreiben eine Wirtschaftspolitik, in der der Staat über Investitionen der Zukunft entscheidet und das mit Subventionen lenkt. Ist der Staat wirklich der bessere Unternehmer?

Das wäre der falsche Schluss und das ist auch nicht meine Politik. Richtig ist, dass sich Politik Gedanken um die Wirtschaftssicherheit macht. Schon in den Jahren vor der Ampel hat die EU angefangen, zurecht strategische Felder zu identifizieren, wo Europa im Nachteil ist und wo wir eigene Kompetenzen brauchen. Das sind zum Beispiel die Produktion von Halbleitern und Batterien für Elektroautos. Die Große Koalition hat das unter Führung der Union in deutsches Recht umgesetzt. Es gab ein Wettbewerbsverfahren, auf das sich Unternehmen beworben haben. Das ist keine staatliche Lenkung.

Das kann aber schieflaufen. Beim Batteriehersteller Northvolt haben Sie sich verkalkuliert. Der Staat hat das Unternehmen mit 600 Millionen Euro unterstützt. Jetzt hat Northvolt Insolvenz angemeldet.

Northvolt ist in einem Restrukturierungsverfahren, damit neue Investoren einsteigen. Das Verfahren wird man abwarten müssen, es gibt durchaus Chancen. Das Unternehmen hat sich auch zum Bau der Batteriefabrik in Heide bekannt, die Baumaßnahmen dauern an, das Geld aus der Wandelanleihe, auf die Sie anspielen, ist daran gebunden. Zum Rückblick: Northvolt ist eines der höchst dotierten Start-up-Unternehmen Europas gewesen. Namhafte deutsche Automobilhersteller haben dort investiert. Auch namhafte internationale Finanzinvestoren haben Wandelanleihen zu den gleichen Bedingungen gezeichnet wie wir. Wir haben das Ganze von einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft intensiv prüfen lassen. Erst später, deutlich nachdem die Entscheidungen gefallen sind, wurden in diesem Sommer die Liquiditätsprobleme von Northvolt wegen technischer Probleme bekannt. Aber wie gesagt, es ist nicht aller Tage Abend.

Sie halten daran fest?

Die Zukunft der Mobilität ist elektrisch und wenn wir keine Batterieproduktion in Europa haben, sind wir vom Weltmarkt abhängig. Deshalb haben wir ein hohes strategisches Interesse an Batterien Made in Germany. Und natürlich ärgere ich mich, wenn es Probleme gibt. Wenn man Neues auf den Weg bringt und neue Industrien ansiedelt, dann muss man eben auch mit schwierigen Situationen umgehen.

Lassen Sie uns auf ein anderes Thema kommen. Kürzlich sagten Sie, dass geflüchtete Syrer in ihr Land zurückkehren müssten, wenn die Lage dort sicher sei und sie hier nicht arbeiten würden. Müssten Syrer, die ihren Job verloren haben, unter einem Kanzler Habeck fürchten, abgeschoben zu werden?

Das Asylrecht und der Schutzanspruch gelten. Wenn die Fluchtursache wegfällt, gibt es keinen Schutzgrund mehr. Aber noch ist die Lage in Syrien sehr unübersichtlich. Hinzu kommt: Viele Syrer sind unsere Nachbarn geworden, arbeiten, Leute sind in Ausbildung, Kinder gehen zur Schule und werden zu den Fachkräften, die wir morgen brauchen. Denn das dürfen wir nicht vergessen: Eines unserer größten ökonomischen Probleme ist der Fachkräftemangel. Als Regierung haben wir deshalb ja auch dafür gesorgt, dass man ein dauerhaftes Bleiberecht und sogar den deutschen Pass bekommen kann, wenn man hier lange genug arbeitet. Und natürlich werden alle Fälle durch die Behörden im Einzelnen betrachtet. Wenn jemand beispielsweise eine schwere Krankheit hat und in Syrien nicht versorgt werden kann. Die Sache ist also deutlich komplexer.

Die Union fordert Zurückweisungen an den deutschen Grenzen und erwägt, straffällig gewordenen Doppelstaatlern die deutsche Staatsbürgerschaft zu entziehen. Das lehnt Ihre Partei ab. Wie würden Sie in einer schwarz-grünen Koalition zusammenkommen wollen?

Das ist im Moment nicht die Frage. Erstmal geht es darum, welche Partei, welche politischen Akteure Deutschland in Zukunft anführen sollen. Davon handelt ja der Wahlkampf. Was ich dabei aber wichtig finde: Die Forderungen sollten schon auf dem Boden der Verfassung stehen. Und das muss man bei den genannten Beispielen sehr hinterfragen.

Wieso?

Man kann jemandem nicht einfach die Staatsbürgerschaft entziehen. Das geht nur in sehr seltenen Ausnahmefällen, unser Grundgesetz hat hier aus gutem Grund sehr hohe Hürden. Und es geht nicht so, wie die Union es dargestellt hat. Ich bin mir sicher, dass Friedrich Merz das selbst weiß. Deshalb finde ich es irritierend, welcher Zungenschlag jetzt bei ihm reinkommt. Es gehört zwar zum Wesen von Demokratie, dass wir Rechtsnormen immer ändern, anpassen, verschärfen oder lockern können. Aber die Grenzen werden durch unsere Verfassung bestimmt.

Bei den Zurückweisungen an der Grenze ist weniger klar, wie die Rechtslage ist. Das ließe sich nur herausfinden, wenn man eine Notlage erklärt.

Entschuldigung, aber ein Staat erklärt doch nicht einfach so zum Test eine Notlage und guckt, was dann passiert. Ich kann Ihnen sagen, was eine Notlage ist. Wir standen kurz davor, als wir hier im Winter 2022/2023 eine Gasmangellage befürchten mussten. Das wäre eine unbeherrschbare Situation gewesen – wenn die Häuser kalt werden, die Fabriken runterfahren müssen, die Wirtschaft einbricht. Das haben wir zum Glück abgewendet. In einer solchen Situation sind wir bei der Fluchtmigration nicht, auch wenn es anspruchsvoll ist und wir zu einer besseren Steuerung kommen müssen. Aber die Steuerung wird nicht besser, wenn man die europäischen Nachbarn vor den Kopf stößt.

Unsere Zeit ist durch Disruptoren wie Donald Trump und Elon Musk geprägt. Apropos Musk: War es ein Fehler, dass er seine Tesla-Fabrik in Brandenburg bauen konnte?

Nein. Dass Tesla in Deutschland produziert, ist ökonomisch gut und richtig. Das war kein Fehler. Es ist besser, dass die Autos, die wir in Deutschland fahren und verkaufen, auch hier produziert werden, statt sie zu importieren. Ich war damals bei der Werkseröffnung und habe mich mit Musk über Stromerzeugung, Solarenergie und Digitalisierung unterhalten. Damals war auch noch nichts von der Verehrung für Donald Trump oder für die AfD zu hören. Auch nicht, dass Grüne Spinner sind.

Und heute? Würden Sie sich mit ihm an einen Küchentisch setzen?

Das würde ich immer tun. Ich bin überzeugt, dass man mit denjenigen, die nicht meiner Meinung sind, reden muss und reden soll. Auch mit Elon Musk.

Und was darf auf Ihrem Küchentisch nicht fehlen?

Morgens ein solider Becher Filterkaffee. Der darf auch gern noch vom Vortag sein und auf dem Herd warm gemacht. Ich kann einfach so schlecht Dinge wegschmeißen. Worauf ich aber unbedingt am Küchentisch verzichte, ist das Handy.

Das Interview führten Dorothee Torebko und Rebekka Wiese.

Zur Person

PhilosophRobert Habeck, 1969 in Lübeck geboren, ist Kanzlerkandidat der Grünen. Seit 2021 ist er Vizekanzler und Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz. Er studierte Philosophie, Philologie und Germanistik und ist Doktor der Philosophie. Vor seiner Zeit als Politiker arbeitete er als freier Schriftsteller.

PolitikerSeine politische Karriere bei den Grünen begann in Schleswig-Holstein. Dort war er von 2012 bis 2018 Minister für Energie und Landwirtschaft. Von 2018 bis 2022 war er gemeinsam mit Annalena Baerbock Parteivorsitzender der Grünen. Im November 2024 stellten die Grünen Habeck als Kanzlerkandidat für die Bundestagswahl am 23. Februar auf.

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Erstellt:
15. Januar 2025, 00:10 Uhr

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