Runter vom Abstellgleis
Ältere Arbeitskräfte verdienen mehr Aufmerksamkeit. Die Unternehmen dürfen sie nicht verloren geben.
Von Matthias Schiermeyer
Stuttgart - Dass angesichts des sich anbahnenden demografischen Desasters alle Kräfte mobilisiert werden müssen, sollte längst jedem klar sein. Dazu gehört es vor allem, ältere Menschen so lange wie möglich im Erwerbsleben zu halten. Ob ausgerechnet den darauf angewiesenen Arbeitgebern diese Notwendigkeiten bewusst sind, ist fraglich.
Kleinbetriebe wissen ihre Routiniers zu schätzen. Doch im Zuge des Strukturwandels oder umfangreicher Sparpakete nehmen speziell größere Konzerne verstärkt eine Zielgruppe ins Visier: Nach dem Motto „Was interessiert mich die Fachkräftelücke des anderen Unternehmens oder der anderen Branche?“ legen sie Personalabbauprogramme auf, um ältere Beschäftigte loszuwerden.
Appelle von Politikern oder der Bundesagentur für Arbeit, diese Menschen nicht aufs Abstellgleis zu schieben, scheinen zu verhallen. Zu unflexibel, zu wenig belastbar, zu teuer und von der technischen Kompetenz her ohnehin von gestern – lautet zugespitzt ausgedrückt das Verdikt mancher Arbeitgeber. Viele der Betroffenen spielen gerne mit: Gelockt mit großzügigen Abfindungsangeboten lassen sie sich den Abschied aus dem Betrieb verschönern. Umfragen zufolge will ohnehin ungefähr jeder dritte Erwerbstätige vor dem Erreichen des gesetzlichen Renteneintrittsalters aufhören.
Wirtschafts- und sozialpolitisch sind diese Trends angesichts der bevorstehenden Rentenwelle der Babyboomer-Jahrgänge verhängnisvoll. Stattdessen müssten sich die Unternehmen viel mehr damit befassen, ältere Arbeitslose einzustellen.
Denn die haben, erst einmal bei der Arbeitsagentur gelandet, vielfach keine Chance mehr in Bewerbungsverfahren, weil sie mit ihrer ausgereiften Persönlichkeit und ihren teils überholten Fähigkeiten als nicht mehr integrationsfähig angesehen werden. Unrühmlich tun sich an dieser Stelle auch die öffentlichen Arbeitgeber hervor, die gerne auf irgendwelche Regelungen verweisen, mit denen arbeitsfähige Fachkräfte im Alter von 55 Jahren oder darüber außen vor gehalten werden. Alle Aufmerksamkeit gilt der Nachwuchssuche – Bewerbungen von 60-Jährigen etwa werden als exotisch abgetan oder gleich ignoriert. Das Erfahrungswissen dieser Menschen zählt kaum.
Die Statistiken belegen zwar, dass die Beschäftigungsquote älterer Menschen steigt. Doch stellt sich die Frage, ob dies in einem ausreichenden Maß geschieht, weil die Zuwächse von einem relativ niedrigen Niveau aus betrachtet werden – in einer Zeit des großen Arbeitskräfteüberhangs. Außerdem flachen die Kurven doch merklich ab, und der starke Anstieg der Erwerbstätigkeit von Älteren ist ganz überwiegend dem Wachstum der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung geschuldet, also weniger Ausdruck eines Sinneswandels in den Unternehmen.
Mit 55 oder 60 Jahren zu Hause zu sitzen, ist langweilig und finanziell nur bei günstigen persönlichen Rahmenbedingungen erträglich. Es sind Erhebungen zufolge jedoch gar nicht mal die materiellen Zwänge, weshalb ältere Menschen im Arbeitsleben bleiben möchten. Weiche Faktoren wie das Bedürfnis, Wissen an Jüngere weiter zu geben, nach Wertschätzung und einer sinnvollen Aufgabe, nach Spaß an der Arbeit oder sozialen Kontakten fördern die Motivation.
Die Unternehmen müssen ihre Personalpolitik folglich auch darauf ausrichten, die Leistungsbereitschaft und das Verantwortungsbewusstsein, das Fachwissen oder die guten Netzwerke der sogenannten Best Ager voll auszuschöpfen. Studien zufolge bringen heterogene Teams die besten Ergebnisse. Die Alterung der Belegschaften lässt auch keine andere Wahl. Sonst wirken die Klagen über Fachkräftelücken allzu unglaubwürdig.