Russland-Ukraine-Konflikt: Bedeutung für Baden-Württemberg
dpa/lsw Stuttgart. Den Südwesten verbinden zahlreiche Partnerschaften mit der Ukraine und Russland. Das Land der Tüftler und Denker ist zudem für seine starke Wirtschaft bekannt. Auch hierzulande wächst die Sorge vor einer Eskalation.
Die Zuspitzung im Russland-Ukraine-Konflikt hat auch im Südwesten zu Besorgnis vor einer Eskalation der Lage geführt. Politiker im Land hoffen weiter auf eine friedliche Lösung. Die unmittelbaren wirtschaftlichen Folgen eines möglichen Krieges dürften für Baden-Württemberg dagegen gering sein. Was der Konflikt für den Südwesten bedeutet.
POLITIK: Ministerpräsident Winfried Kretschmann hofft trotz der Eskalation im Russland-Ukraine-Konflikt auf eine friedliche Lösung. „Wie alle Menschen betrachte ich die Entwicklungen mit großer Sorge“, sagte der Grünen-Politiker am Dienstag in Stuttgart. Er hoffe, dass es doch noch gelinge, den Krieg zu verhindern. Die Politik der Bundesregierung und der Europäischen Union habe seine volle Unterstützung. CDU-Wirtschaftspolitiker Christian von Stetten kritisierte in der „Heilbronner Stimme“ (Mittwoch) das Vorgehen der Ampel-Koalition im Ukraine-Konflikt: „Die Bundesregierung ist leider auf Putins Finte und den angekündigten Teiltruppenrückzug hereingefallen“, sagte der Hohenloher Bundestagsabgeordnete der Zeitung. „Andere Länderregierungen haben sich nicht so schnell blenden lassen und waren deshalb besser vorbereitet.“
PARTNERSCHAFT: Zahlreiche Kommunen in Russland und der Ukraine sind Baden-Württemberg über Städtepartnerschaften verbunden. Baden-Badens Oberbürgermeisterin Margret Mergen (CDU) hat den Beteiligten im Ukraine-Konflikt am Dienstag ein Dialogtreffen im Schwarzwald vorgeschlagen. Sie verwies darauf, dass etwa der französische Staatspräsident Charles de Gaulle und der deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) 1962 mit einer Konferenz in Baden-Baden den Grundstein für die Verbesserung der deutsch-französischen Beziehungen gelegt hatten. Freiburgs OB Martin Horn (parteilos) tauschte sich bereits am Montag mit Andrij Sadovyj, dem Amtskollegen in der Freiburger Partnerstadt Lwiw (früher Lemberg), über die Lage in der Ukraine aus. Zunächst hatte der SWR darüber berichtet.
BEVÖLKERUNG: Von den 11,1 Millionen Menschen im Südwesten kommen insgesamt über 47.000 aus Russland und der Ukraine. Mit rund 31.000 Menschen leben nach Angaben des Statistischen Landesamts etwa doppelt so viele russische Staatsbürger in Baden-Württemberg wie Ukrainer (rund 16.000). Die meisten Russen und Ukrainer leben im Südwesten in Stuttgart - jeweils mehr als 2000.
WIRTSCHAFT: Sowohl Russland als auch die Ukraine spielen für die Wirtschaft im Südwesten eine eher untergeordnete Rolle. Bei den Exporten lag Russland 2021 mit einem Anteil von 1,7 Prozent aller Ausfuhren auf Platz 16. In die Ukraine gingen 0,3 Prozent aller ausgelieferten Waren. Bei den Einfuhren ist die Rolle der Länder mit 1,0 Prozent (Russland) und 0,1 Prozent (Ukraine) noch geringer. Ein Sprecher des Verbands Unternehmer Baden-Württemberg rechnete am Dienstag damit, dass die Auswirkungen des Konflikts gesamtwirtschaftlich überschaubar blieben. Man habe allerdings die Sorge, dass der Konflikt und mögliche Sanktionen die ohnehin schon sehr hohen Energiepreise weiter nach oben treiben und sowohl Unternehmen als auch Verbraucher zusätzlich belasten könnten, teilte der Sprecher in Stuttgart mit.
Das besorgte ebenfalls den Präsidenten des Baden-Württembergischen Industrie- und Handelskammertages (BWIHK), Wolfgang Grenke. „Wir rechnen auch bei wichtigen Rohstoffen aus der Russischen Föderation und den Anrainern wie beispielsweise Aluminium, Titan, Zink oder Wolfram mit negativen Einflüssen auf die Lieferketten“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. „Unter den Unternehmen mit hohem Russland- oder Ukraine-Geschäftsanteil können natürlich einige durch die Krise erhebliche Nachteile erleiden“, so Grenke. Embargos träfen beide Seiten von Geschäftsbeziehungen. Er zeigte sich aber zuversichtlich, dass die Firmen nach der Corona-Pandemie auch diese Krise meistern.
Der Vorsitzende der Zeppelin-Geschäftsführung, Peter Gerstmann, sagte dem „Südkurier“ (Mittwoch): „Sollte der Handel mit Russland und der Ukraine zum Erliegen kommen, fehlen uns geplante Umsätze von 600 bis 800 Millionen Euro pro Jahr.“ Wenn man Länder wie Armenien, Usbekistan, Tadschikistan und Turkmenistan - die für das Friedrichshafener Stiftungsunternehmen ebenfalls wichtige Märkte seien - hinzunimmt, werde es noch deutlich mehr. „Wie auch immer die Krise geartet sein wird, sie wird uns erheblich treffen“, sagte Gerstmann der Zeitung. Die Auftragsbücher seien bislang in den osteuropäischen Märkten gut gefüllt. „Das steht jetzt alles im Feuer auf.“ Für rund 2600 Mitarbeiter in Russland und der Ukraine gebe es Evakuierungspläne, die bei Bedarf aus der Schublade gezogen würden.
KIRCHE: Der Pfarrer der Ukrainisch Griechisch-Katholischen Gemeinde in Stuttgart, Roman Wruszczak, sagte nach Angaben der Rottenburg-Stuttgart, dass viele seiner Gemeindemitglieder engste Kontakte mit der Ukraine hätten. „Die Situation vor Ort ist noch ruhig, dennoch unfassbar angespannt.“ Auf der einen Seite gebe es einige Bauern, „die ihr Land nicht verlassen möchten und verzweifelt schwören, mit der Mistgabel ihre Felder zu verteidigen“, so Wruszczak. „Auf der anderen Seite gibt es viele Familien, die die Notfall-Koffer bereits gepackt haben.“ Viele Menschen bräuchten nicht nur intensive Seelsorge, sondern auch qualifizierte psychologische Begleitung. „Meine Frau und ich sind bereit, in unser Haus eine ganze Familie der Kriegsflüchtlinge aufzunehmen“, sagte der Pfarrer.
Der russische Präsident Wladimir Putin hat am Montagabend die Unabhängigkeit der Separatistenregionen Donezk und Luhansk in der Ostukraine anerkannt. Der Kremlchef ordnete auch eine Entsendung russischer Soldaten in die Ostukraine an. Er plant damit bereits zum zweiten Mal nach 2014 einen Einmarsch in die Ukraine. Der Westen wirft ihm vor, damit gegen das Völkerrecht zu verstoßen.
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