Genetische Zeitmaschine

Schimpansen und Menschen haben mehr gemeinsam als gedacht

Schimpansen sind für ihre bemerkenswerte Intelligenz und ihren Werkzeuggebrauch bekannt. Aber könnte sich ihre Kultur im Laufe der Zeit genauso entwickelt haben wie die des Menschen? Eine neue Studie deutet darauf hin.

Werkzeugkasten bei Schimpansen: Fanle, eine 18-jährige Mutter, benutzt einen Steinhammer und einen Steinamboss, um vor ihrem vierjährigen Sohn Fanwa Nüsse zu knacken.

© Tetsuro Matsuzawa

Werkzeugkasten bei Schimpansen: Fanle, eine 18-jährige Mutter, benutzt einen Steinhammer und einen Steinamboss, um vor ihrem vierjährigen Sohn Fanwa Nüsse zu knacken.

Von Markus Brauer

In den letzten Jahrzehnten hat die Forschung eindeutig gezeigt, dass Schimpansen wie wir Menschen komplexe kulturelle Errungenschaften, wie den Gebrauch von Werkzeugen, von Generation zu Generation weitergeben.

Komplexen Technologien von Schimpansen

Die menschliche Kultur hat sich jedoch von der Steinzeit bis zum Weltraumzeitalter durch die Integration neuer Errungenschaften erheblich weiterentwickelt. Schimpansenkulturen hingegen scheinen sich nicht in diesem Masse zu verändern, weshalb man davon ausging, dass nur Menschen die bemerkenswerte Fähigkeit besitzen, im Laufe der Zeit komplexere Kulturen aufzubauen.

Wissenschaftler, die Schimpansen in freier Wildbahn studiert haben, widersprechen dieser Hypothese und vermuten, dass einige der komplexeren Technologien der Schimpansen – bei denen sie mehrere Werkzeuge nacheinander benutzen, um versteckte Nahrungsquellen zu erreichen – wahrscheinlich auf Vorwissen beruhen, das sie sich im Laufe der Zeit angeeignet haben.

Genetische Verbindungen zurückverfolgt

„Da die meisten Werkzeuge der Schimpansen, wie Stöcke und Pflanzenstängel, vergänglich sind, gibt es kaum Aufzeichnungen über ihre Geschichte, die diese Hypothese bestätigen könnten. Im Gegensatz zu menschlichen Beispielen wie der Entwicklung des Rades oder der Computertechnologie“, sagt die Erstautorin Cassandra Gunasekaram vom Institut für Evolutionäre Anthropologie der Universität Zürich.

Für die neue, im Fachmagazin „Science“ veröffentlichte Studie hat sich ein Team aus Anthropologen, Primatologen, Physikern und Genetikern von Universitäten und Forschungseinrichtungen in Zürich, St. Andrews, Barcelona, Cambridge, Konstanz und Wien zusammengeschlossen, um genetische Verbindungen zwischen Schimpansenpopulationen über Jahrtausende hinweg zurückzuverfolgen.

A new, multidisciplinary study led by the University of Zurich suggests that some of chimpanzees' most advanced behaviors may have been passed down and refined through generations:https://t.co/Gb6aQrQsZ6@UZH_Sciencepic.twitter.com/T7tqM6FQa1 — University of Zurich (@UZH_en) November 22, 2024

Frühe kumulative Kultur bei Schimpansen

Dabei wurden neue Erkenntnisse der Genetik genutzt, um Schlüsselelemente der Kulturgeschichte der Schimpansen in bisher nicht gekannter Weise aufzudecken.

Die Forscher sammelten Informationen über Marker von genetischer Ähnlichkeit von insgesamt 35 Studienstandorten von Schimpansen in Afrika. Dabei handelt es sich um genetische Hinweise auf Verbindungen zwischen verschiedenen Schimpansengruppen. Dabei ging es um eine Reihe von Verhaltensweisen bei der Nahrungssuche, die zuvor als kulturell erlernt beschrieben wurden.

Die Wissenschaftler unterteilten diese Verhaltensweisen in verschiedene Kategorien:

  • solche, die keine Werkzeuge erfordern
  • solche, die einfache Werkzeuge erfordern, wie zum Beispiel die Verwendung eines Schwamms, der aus einem Blatt hergestellt wird, um Wasser aus einer Baumspalte zu sammeln
  • komplexeste Verhaltensweisen, die auf einer Kombination von Werkzeugen beruhen.

Weitergabe komplexer Werkzeugsätze

Cassandra Gunasekeram erklärt, dass Schimpansen im Kongo zum Beispiel mit einem dicken Stock einen tiefen Tunnel durch harten Boden graben, um zu einem unterirdischen Termitennest zu gelangen. Anschließend fertigten sie ein Werkzeug an, um die Termiten herauszufischen, indem sie einen langen Pflanzenstängel durch die Zähne zögen, um so ein bürstenartiges Ende auszufransen.

Could we be MORE excited??? Huge congratulations to our lab member @cassandraguna for her first PhD publication in Science. SO proud of her! Check it out https://t.co/nob7ShgPOF#culturalevolution#primateculture#cumulativeculture#socialnetworks#chimps — Human Evolutionary Ecology Group UZH (@heeg_uzh) November 21, 2024

Das Ende pressten sie zu einer Spitze zusammen, die sie geschickt in den Tunnel einführten, um sie schließlich herauszuziehen und die Termiten abzuknabbern, die sich daran festgebissen hätten.

„Wir haben die überraschende Entdeckung gemacht, dass die komplexesten Technologien der Schimpansen – die Verwendung ganzer Werkzeugsätze – am engsten mit heute weit entfernten Populationen verbunden sind“, erläutert Andrea Migliano, Professorin für Evolutionäre Anthropologie an der UZH. „Dies entspricht genau der Vorhersage, dass solche fortschrittlichen Technologien selten erfunden oder verbessert werden und daher wahrscheinlich zwischen verschiedenen Gruppen weitergegeben werden.“

Weibliche Migration bringt kulturelle Innovationen

Bei Schimpansen sind es die geschlechtsreifen Weibchen, die in neue Gemeinschaften abwandern, um Inzucht zu vermeiden. So verbreiten sich Gene zwischen benachbarten Gruppen und über Jahrhunderte und Jahrtausende auch in weiter entfernte Regionen. Die Autor der Studie erkannten, dass dieselben weiblichen Migrationsbewegungen auch kulturelle Erfindungen in Gemeinschaften einführen könnten, die diese noch nicht besitzen.

Die Studie zeigt auch, dass Orte, an denen sowohl komplexe Werkzeugsätze als auch die Komponenten dieser Werkzeugsätze an verschiedenen Standorten verwendet werden, in der Vergangenheit durch Migration von Weibchen miteinander verbunden waren. „Diese bahnbrechenden Entdeckungen“, fügt Migliano hinzu, „bieten eine neue Möglichkeit zu zeigen, dass Schimpansen eine kumulative Kultur besitzen, wenn auch in einem frühen Entwicklungsstadium.“

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Erstellt:
22. November 2024, 11:50 Uhr

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